„Seht euch die beiden an!“, sagt der ältere Herr. Das Fernsehgerät über dem Weinregal des kleinen Restaurants in Almada zeigt Premier António Costa, Sozialdemokrat und Chef der von Kommunisten wie dem Bloco de Esquerda (Linksblock) mitgetragenen Minderheitsregierung. Neben Costa steht Rui Rio, Vorsitzender des konservativ-liberalen PSD. Beide scheinen in bestem Einvernehmen und schütteln sich lange die Hand. Anderthalb Jahre vor der nächsten Wahl haben sie gerade ein Abkommen über Strukturfonds und neue Befugnisse für die Kommunen geschlossen. Nicht besonders wichtig, wäre da nicht die Symbolkraft des Vorgangs. Hat die Allianz des Partido Socialista (PS) mit Kommunisten und Linksblock ausgedient?
„É o fim“ (es ist das Ende), glaubt der Herr im Restaurant und fügt hinzu: „Von den Sozialisten konnte man nichts anderes erwarten, der Verrat steckt denen in den Knochen“. „Cunhal hätte sich nie so über den Tisch ziehen lassen!“, sagt die Frau, die ihm gegenüber sitzt, und trinkt mit verträumten Augen ihren Rotwein, als würde der legendäre KP-Führer, der vor zwölf Jahren starb, leibhaftig vor ihr stehen. Es ist für beide eine erneute Niederlage der Kommunisten. Almada, eine Stadt am Südufer des Tejo, wurde 40 Jahre lang von Politikern des PCP regiert. Bei der Kommunalwahl im Vorjahr jedoch eroberte der Partido Socialista das Amt des Oberbürgers. Die Kandidatin, eine ehemalige Schauspielerin, hatte bis zur Abstimmung ihren Wohnsitz in Paris. Die Leute verstehen die Welt nicht mehr. Erst ermöglichen die Kommunisten eine Regierung der Sozialisten – und jetzt das.
Der Händedruck zwischen Rui Rio und Premier Costa, der als Regierungschef alles anders machen wollte, scheint unmissverständlich. Er braucht die linken Parteien nicht mehr. Er regiert ab jetzt, falls nötig, mit Unterstützung der Konservativen und lächelt zuversichtlich in die Kameras. Er könnte mit einer absoluten Mehrheit rechnen, wären jetzt Wahlen. Costa, hat es geschafft, gegen die Rechtsparteien, die bis 2015 die Mehrheit der Abgeordneten stellten, eine erfolgreiche Minderheitsregierung zu führen. Was wird damit, sollten Kommunisten und Linksblock die Tolerierung beenden? Turnusgemäß wäre erst im Oktober 2019 die nächste Wahl.
Anfangs wurde das Kabinett Costa mit zwei externen Partnern im Parlament belächelt und Geringonça getauft, was sich mit Klapperkiste übersetzen lässt. Doch schien ein alternativ regiertes Portugal zu zeigen, wie sich mit den innerhalb der EU verhängten Spardiktaten für Euro-Krisenländer umgehen lässt. Die Menschen schöpften nach Jahren des Krisenmanagements der Konservativen und der Schocktherapien, die eine Auswanderungswelle sondergleichen auslösten, wieder Hoffnung.
Visa für Geld
António Brinco, ein 62-jähriger Gewerkschafter, sitzt in einem Lissabonner Café und faltet Umfragebögen in Briefumschläge. Es geht um Burnout unter Lehrern. Viele seiner Kollegen seien am Rande des Nervenzusammenbruchs. Und dafür gibt es Gründe. Wenn es nach einer monatelangen Dürre derzeit regnet, ist das ein Segen für die portugiesische Landwirtschaft, nicht aber für marode Schulen, deren Dächer in einem bedauernswerten Zustand sind. Für die Lehrerschaft ist das nur ein Drama von vielen. Es gibt nicht wenige Pädagogen, die seit Jahren auf eine Festanstellung warten oder wegen befristeter Verträge bei einem Einkommen unter tausend Euro netto hin und her ziehen müssen.
„Bald sind die alten Lehrer in Pension. Und wer bleibt übrig? Unmotivierte und unterbezahlte Kräfte, die unter Existenzangst leiden!“ Marco Oliveira (32) hat als Englischlehrer aufgegeben, als er im Vorjahr einer Schule im Norden zugeteilt werden sollte. Von 1.370 Euro brutto blieb nach dem Abzug von Steuern und Sozialversicherung ein Lohn von 960 Euro im Monat. „Ich lebte bei meinen Eltern und hatte kein Geld, mir in der Nähe der neuen Schule eine Wohnung zu mieten.“ Jetzt arbeite er bei einer Immobilienagentur und verbringe die Tage damit, Ausländern aus den EU-Staaten, aus Brasilien und Angola Wohnungen in Lissabon zu zeigen. „Das ist immerhin besser, als Touristen in Tuk Tuks durch die Stadt zu kutschieren oder in Hostels Betten zu machen“, glaubt Oliveira. Gut situierte Lissabonner würden derzeit in die Vororte ziehen, um von der durch den Tourismusboom aufgeblähten Immobilienblase zu profitieren.
Tatsächlich verdankt das Land seinen Wirtschaftsaufschwung besonders dem Fremdenverkehr. Portugal bietet eine Alternative zu Zielen in Nordafrika und in der Türkei. Besonders die Nachwehen des Arabischen Frühlings haben der Nachfrage einen Schub verschafft. Zudem gilt Portugal als ein europäisches Steuerparadies, was Popstars, Banker und Rentiers zu schätzen wissen. Es gibt Goldene Visa für Nicht-EU-Einwanderer, sofern die mindestens 250.000 Euro investieren. Viel Geld ins Land bringen ebenso die steuerlichen Sonderregelungen für EU-Bürger, die in Portugal erheblich geringere Abgaben als in ihren Herkunftsländern zu leisten haben. Das Haushaltsdefizit hat Finanzminister Mário Centeno – seit Januar auch der neue Eurogruppenchef – zuletzt auf 0,9 Prozent schrumpfen können. Dass öffentliche Investitionen in Schulen, Krankenhäuser, in das Straßennetz und Gerichtsgebäude radikal reduziert werden, ist die Kehrseite der Sanierung. Überall schließen Postämter und andere öffentliche Einrichtungen.
500.000 Auswanderer
Auch das Lohnbarometer deutet an, wer für die Konjunktur aufkommt. Ein Viertel aller Arbeitnehmer in Vollzeit verdient in Portugal nur den Mindestlohn, und das sind 516 Euro netto im Monat. Zuletzt freute sich Regierungschef Costa, dass Amazon in ein Logistikzentrum und Google in ein Call-Center investieren. Nur was wird dort verdient? Finanzminister Centeno befindet, dass der Mindest- und der Durchschnittslohn zwar niedrig, aber in den letzten zweieinhalb Jahren gestiegen seien. Zudem gebe es fast eine Viertelmillion weniger Arbeitslose, die Zahl der Beschäftigten sei gestiegen. Da schon die 800.000 Mindestlohnempfänger elf Prozent Lohnsteuer zahlen und neue Steuern erhoben werden, ist seit 2015 die Gesamtsteuerlast von 34 auf 37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gestiegen.
Hat sich dennoch in Portugal ein kleines europäisches Wunder ereignet? Besteht das Erfolgsrezept darin, trotz Sparvorgaben der EU wieder eine selbstbewusste Wirtschaftspolitik zu verfolgen? Dem Land würden lediglich Arbeitskräfte fehlen, um den Aufschwung zu verstetigen, ist die Neue Zürcher Zeitung überzeugt und erspart sich den Hinweis, dass augenblicklich vor allem die 500.000 Portugiesen fehlen, die zwischen 2011 und 2016 ausgewandert sind. Sie haben das Land verlassen, weil es für sie die persönliche Insolvenz bedeutet hätte, einen Job für 600 Euro im Monat annehmen zu müssen. Die meisten, die während der Krise ihre Arbeit verloren, hatten Kredite aufgenommen. Wer die weiter bedienen wollte, musste auswandern.
Wenn sich ein Unternehmer in Portugal beschwert, er finde keine Arbeitskräfte, lohnt es sich, danach zu fragen, welche Löhne er zahlt. Der Aufschwung profitiert von einem extrem niedrigen Lohnniveau. Und ein ausufernder Niedriglohnsektor passt schwerlich zu Mutmaßungen über ein Endes der Austerität.
Bisher hat Premierminister Costa die Vorgaben der EU strikt eingehalten und es geschafft, eine konservativ-liberale Wirtschaftspolitik durch eine geschickte, auf internationale Wirkung bedachte PR-Strategie als sozial und links erscheinen zu lassen. Doch ist es schwierig, Täuschungen lange aufrechtzuerhalten, wenn die Fakten eine andere Botschaft aussenden. Und die besagt: In den vergangenen zweieinhalb Jahren wurden weiterhin Banken mit Milliarden Euro vor dem Fall bewahrt, wichtige Investitionen gestrichen und steuerliche Anreize für reiche Investoren geschaffen. Alles, um Brüssel ein akzeptables Haushaltsdefizit präsentieren zu können. Für das Volk wurden zuvor gestrichene Feiertage wieder eingeführt und Kredite mit niedrigeren Zinsen konsolidiert, wodurch die Staatsschulden (126 Prozent des BIP) nicht gesunken sind. Was allein an Zinsen dafür aufgebracht werden muss, ist mehr als für das öffentliche Gesundheitssystem ausgegeben wird.
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