Folterverhöre Wieviel erfuhren US-Ermittler bei Waterboarding-Verhören? In unserem Interview-Spezial machen wir auch einen Rückblick auf eine Form jenseits des Gesprächs: die Folter
Am 2. Mai 2011 tötete eine Spezialeinheit der US-Streitkräfte in Abbottobad in Pakistan den Al-Qaida-Führer Osama bin Laden. Der entscheidende Schritt zu bin Ladens Entdeckung war die Entlarvung eines seiner Kuriere: Abu Ahmad al-Kuwaiti („Der Kuwaiti“). Eine Tatsache, die eine erneute Debatte über die Wirksamkeit der Folterverhöre der Amerikaner auslöste.
2009 waren sogenannte „enhanced interrogation techniques“ aus der offiziellen Verhör-Gebrauchsanweisung der CIA gestrichen worden. Auch, weil sich die so genannten „weichen Verhöre“, also die freundlichen, Nähe vortäuschende Techniken der FBI-Agenten, oft als erfolgreicher erwiesen hatten als die harte CIA-Schule. Inzwischen bezeichnet die Obama-Regierun
a-Regierung die unrühmlichen Folterverhöre als „nebensächlich“ in der Jagd auf bin Laden. Sie bestätigt damit eines der ältesten Argumente von Foltergegnern: Wenn Kommunikation unter einem so extremen Machtungleichgewicht wie bei der Folter stattfindet, folgt das Gesagte nicht mehr der Logik von wahr und falsch – selbst wenn der „Befrager“ wirklich nur die Wahrheit hören will.Jedes Verhör folgt der Idee, den Häftling aus seiner „Komfortzone“ herauszuholen, also aus jener psychologischen Verfassung, in der er sich sicher und im Recht fühlt. Im Dezember 2001 erkannten CIA-Agenten, dass dies bei vielen mutmaßlichen Al-Qaida-Kämpfern nicht gelang. Zumindest gaben die Verdächtigen kaum Auskunft, entweder, weil sie nichts wussten, oder – so die Vermutung der Agenten – weil sie ein spezielles Training durchlaufen hatten, das sie gegen herkömmliche Verhörmethoden stählte.Daraufhin erteilte die CIA dem Psychologen James Mitchell den Auftrag, ein „Drehbuch“ zu entwickeln, um den Willen der Al-Qaida-Kämpfer zu brechen. Mitchell ist der ehemalige Leiter der „Survival Evasion Resistance Escape“-Abteilung der Air Force, kurz SERE (dt.: Überlebens-, Ausweich-, Widerstands- und Fluchttraining). Das SERE-Programm dient zur Vorbereitung von US-Soldaten, um bei feindlichen Verhören länger widerstehen zu können.Mitchell hatte nun eine ebenso einfache wie folgenreiche Idee: Er wollte Foltertechniken als Verhörmethode bei den Al-Qaida-Verdächtigen einsetzen. Er wandte sich dafür an John Bruce Jessen, seinen Nachfolger bei der Air Force. Die Situation wirkt in der Rückschau absurd: Obwohl die beiden weder Erfahrung mit dem Durchführen von Verhören im Allgemeinen hatten noch mit dem Verhören von Al-Qaida-Verdächtigen im Speziellen, verfassten die beiden Psychologen gemeinsam ein Dokument mit dem Titel „Erkennen und Entwickeln von Gegenmaßnahmen bei Widerstand von Al-Qaida gegen Verhörtechniken“.Die vorgeschlagenen Maßnahmen verstießen gegen die Genfer Konventionen zur Behandlung von Kriegsgefangenen, weshalb die US-Regierung den Status der Al-Qaida-Verdächtigen von Kriegsgefangene in „feindliche Kämpfer“ änderte. Die Techniken wurden in verschiedenen Geheimgefängnissen angewendet und fanden Aufnahme in das offizielle „Drehbuch“, nach dem CIA-Agenten zwischen 2003 und 2006 Al-Qaida-Verdächtige verhörten. Konkret handelt es sich um zwölf verschiedene Techniken, darunter:1. Aufmerksamkeitsgriff (kräftiges Packen des Häftlings am Kragen)2. Manipulation der Nahrung (fades Essen)3. Schläge auf den Bauch (mit der Rückseite der geöffneten Hand, weil Faustschläge innere Verletzungen verursachen können)4. Kaltwasserdusche und Zellenkühlung auf 10 Grad5. Schlafentzug (bis zu 180 Stunden)6. „Walling“ (heftiges Stoßen des Häftlings gegen eine Wand)7. Stresspositionen (bis zu 40-stündiges Stehen oder Verharren in engen Kisten)8. Waterboarding: „Bei dieser Prozedur wird die Person an eine geneigte Bank gebunden (…). Die Füße der Person sind angehoben. Ein Tuch wird über Stirn und Augen gelegt. Dann wird kontrolliert Wasser auf das Tuch gegossen. (…) Der erhöhte Atemimpuls ruft zusammen mit dem Tuch ein Gefühl des ‚Erstickens und der aufkommender Panik‘ hervor, also das Gefühl des Ertrinkens. Während 20 bis 40 Sekunden wird ununterbrochen Wasser nachgegossen. (…) Das Gefühl des Ertrinkens hört unmittelbar auf, wenn man das Tuch entfernt. (…) Diese Prozedur löst automatisch das Empfinden des Ertrinkens aus, welches die Person nicht kontrollieren kann, selbst wenn sie sich darüber im Klaren ist, dass sie nicht wirklich ertrinkt.“Allein im März 2003 unterzog man Chalid Scheich Mohammed, dem Chefplaner von 9/11, 183 Mal der Waterboarding-Folter. Mehr als 100 Mal wurden bei ihm andere Verhörtechniken aus dem CIA-„Drehbuch“ angewandt, manche so extrem, dass die Agenten das Verhör unterbrachen, in Sorge, sie hätten „rechtliche Grenzen überschritten“. Ein Auszug aus dem Erinnerungsprotokoll:Agent 1: Sobald Sie eine Antwort geben können, sagen Sie das vereinbarte Codewort. Dann brechen wir sofort ab. Haben Sie mich verstanden?Häftling:Ja.Agent 1: Wir werden das hier weitermachen.Einige Minuten verstreichen.Agent 2: Hol ihn hoch.Agent 1: Wir werden das wiederholen.Agent 2: Reden Sie.Häftling:Ich habe Ihnen alles gesagtAgent 1: Wir machen weiter, bis Sie reden.Der kürzlich verstorbene britische Publizist Christopher Hitchens unterzog sich 2008 zu Recherchezwecken einem Waterboarding. Hinterher sagte er über seine Erfahrung: „Ich hätte alles verraten, meine Liebsten, mein Land, meine Ideale. Aber die Frage ist: was, wenn ich nichts mehr zu verraten habe, aber weiter gefoltert werde? Dann würde man sehr schnell den Verstand verlieren“.Chalid Scheich Mohammed gestand seine Rolle bei der Planung der 9/11-Attentate, die eigenhändige Enthauptung des US-Journalisten Daniel Pearl sowie 29 weitere Verbrechen und geplante Anschläge. Beobachter nahmen die unter Folter erzwungenen Bekenntnisse mit Skepsis auf. Am 10. März 2007 sollten die Aussagen von Chalid Scheich Mohammed bei einer Anhörung in Guantanamo Bay verifiziert werden:Vorsitzender: Sind Ihre Aussagen eine Folge der Behandlung, der Sie unterzogen worden sind in dem Zeitraum von 2003 bis 2006?Häftling:Durch CIA-Leute, ja.Vorsitzender:Worauf ich hinaus will, ist: Haben Sie Ihre Aussagen gemacht aufgrund der Behandlung – oder wie Sie sagen: aufgrund der Folter – also haben Sie ausgesagt aufgrund dessen?Häftling:Ich erinnere mich nicht mehr genau. (...) Ich wurde gefragt: „Kennen Sie diesen Mann? Er sagt, er kenne Sie.“ Aber ich kannte ihn nicht. (...) Dann sagte ich: Ja ich kenne ihn, oder nein, ich kenne ihn nicht. Und …Vorsitzender:Ich verstehe. Möchten Sie etwas korrigieren, was Sie damals gesagt haben?Häftling:Ich bereue es nicht zu sagen, dass ich ein feindlicher Kämpfer bin. Aber Sie halten Menschen gefangen, die falsche Aussagen machen (…)… die Häftlinge haben Falschaussagen als eine Folge der Behandlung gemacht?Häftling:Ich auch.Vorsitzender:Hmh.Häftling:Ich habe gesagt: Ja, ich kenne ihn. Und die und die auch (…), aber ich wusste es nicht. Viele hier sind festgehalten, obwohl sie nichts mit den Taliban zu tun haben (…).Chalid Scheich Mohammed gestand alles. Der FBI-Experte Ali Soufan sagt gar, er gestand mehr, als er tatsächlich getan hatte. Aber selbst nach 183 Mal Waterboarding und unvorstellbaren Qualen belog er die Ermittler in einem Punkt: Er sagte, Abu Ahmed al-Kuwaiti, bin Ladens Kurier, sei unwichtig.Chalid Scheich Mohammed wird voraussichtlich 2012 vor ein ziviles Strafgericht in New York gestellt.
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