Was habe ich gesehen?
Forbrydelsen (Das Verbrechen – Kommissarin Lund, 2007), Laufzeit: rund 20 Stunden (20 Folgen à 55 Minuten).
Warum habe ich es gesehen?
Ich halte Dänemark für das begabteste europäische TV-Land.
Worum geht es?
Wer hat Nanna Birk Larsen getötet? In Kopenhagen wird ein Schulmädchen ermordet aufgefunden. Sie wurde zuvor mehrfach vergewaltigt. Die Eltern sind verzweifelt, wollen Gerechtigkeit, wollen Rache. In 10 nervenzerreißenden Episoden verfolgen die eigensinnig-leidenschaftliche Kommissarin Lund und ihr charakterlich schwieriger Kripo-Partner den Mörder des Mädchens. Die Aufklärung gestaltet sich als schwierig. Die Spuren führen mitten hinein in den Bürgermeister-Wahlkampf. Jeder benimmt sich verdächtig und in fast jedem Abschnitt kommt eine neue, zutiefst dubiose Figur hinzu. Egal wohin sich Lund wendet: überall menschliche Abgründe.
Wer war es?
In Dänemark gab es während der Ausstrahlung der Serien eine Reihe Wettbüros, die auf den Ausgang der Serie setzten, nach der ersten Staffel waren die Favoriten: Bürgermeisterkandidat Troels Hartmann (Odds: 2,50), der Mitarbeiter des Vaters des Mordopfers Vagn Skærbæk (3,75). Dann der Lehrer Rama (6,00), Vater Theis Birk Larsen (8,00), Ex-Freund Oliver (10,00), und Co-Kripo-Ermittler Jan Meyer (15,00). Mitte der zweiten Staffel änderten sich die Wettquoten: Bei Morten Weber bekam man 3,65 Mal seinen Einsatz. Dann kam Vagn Skærbæk (4,00), Sarah Lunds Partner Bengt (4,50), Vater Theis Birk Larsen (5,25). Das Finale sei hier nicht verraten.
An was erinnert die Serie?
In den stärksten Momenten an Twin Peaks, der Mutter aller Serien. Ansonsten ist Kommissarin Lund wie ein sehr, sehr guter Tatort, gestreckt auf 20 Stunden.
Was bleibt?
Interessant ist die ambivalente Darstellung der Kommissarin: Einerseits wird sie tough und feministisch dargestellt, sie will den Fall lösen und dafür muss die Familie hinten anstehen; ihr Sohn und ihr Freund sind zweitrangig. Sie hat also traditionell "männliche" Eigenschaften, ist mit ihrem Beruf verheiratet. Ich denke: Cool, dass Frauen auch mal so sein dürfen, so gezeigt werden! Aber: Das wird im Film dann doch nicht ganz durchgehalten, der Konflikt mit ihrem Privatleben wird groß behandelt, eben weil sie eine Frau ist. Ihr männlicher Kollege Meyer ist genauso versessen auf den Fall, hat aber offenbar keinen Privat-Konflikt; seine Frau bringt ihm sogar Bananen ins Büro. Fazit: Männer, die mit ihren Berufen verheiratet sind, dürfen das einfach sein. Man könnte argumentieren: Die Serie stellt es so dar, wie es wirklich ist. Frauen dürfen erfolgreich sein, aber sie bezahlen einen Preis. Okay. Aber wäre es andererseits nicht an der Zeit, wenn endlich mal erzählt würde: Hier ist eine Frau, die macht ihren Job, und für was anderes interessiert sie sich nicht. Punkt. Und dann nicht den beleidigten Freund und den vernachlässigten Sohn und die frustrierte Mutter in die Serie einführen.
Das sagt meine Frau:
Toll, dass die üblichen Tatort-Ingredienzien wie Liebe, Sex, Zärtlichkeit und Gewalt eher marginal sind.
Wer sollte es sehen?
Tatort-Fans, die sich von der 90-minütigen schnell-schnell-Narration verarscht fühlen.
Was sehe ich als nächstes?
Sorcerer.
Unser Kolumnist Mikael Krogerus sieht sich jede Woche einen Film an oder auch mal eine ganze TV-Serie. Vergangene Woche hat er allerdings den gemacht.Bechdel Test
Kommentare 12
Lieber Mikael Krogerus;
die Serie lief schon im Zweiten; und ein besserer Tatort. I diagree! Schon deshalb besser, weil hier endlich mal GETRAUERT werden durfte. Und nicht, wie im Tatort, die Leute ohne die allerkleinste Träne im Auge im Verhör ihres gerade gestorbenen Mannes/ Frau/ Bruder usw., Rede und Antwort stehen. Sind die Deutschen ein Volk von Betongemütern? Oder haben sie es nur gelernt, preussisch Haltung zu bewahren? Sie sind auch immer allein, danach; keiner ruft an, keiner kocht eine tröstende Suppe, niemand hilft einem, die Sachen rauszusuchen, die der Tote im Sarg tragen soll oder schlägt sich für einen mit der Sterbeversicherung rum... Was für eine Trauerkultur haben wir bloß?
"Hier ist eine Frau, die macht ihren Job, und für was anderes interessiert sie sich nicht. Punkt. Und dann nicht den beleidigten Freund und den vernachlässigten Sohn und die frustrierte Mutter in die Serie einführen."
Neulich im Tatort wieder zu sehen, am Sonntag. Dieser Saarländische Kommissar darf seinen Hochzeitstag vergessen. SIE macht ihm aber nicht etwa eine Szene, nein! - sondern legt sich brav aufs Sofa. Auf dass er, nach-fürsorglich-liebevoll, sie beim Heimkommen noch auf den Hals küssen kann. Polizistenfrau sein heisst klaglos-tapfer sein.
Aber die Schauspieler, fanden Sie die nicht gut?
Lieber Mikael Krogerus;
die Serie lief schon im Zweiten; und ein besserer Tatort. I diagree! Schon deshalb besser, weil hier endlich mal GETRAUERT werden durfte. Und nicht, wie im Tatort, die Leute ohne die allerkleinste Träne im Auge im Verhör ihres gerade gestorbenen Mannes/ Frau/ Bruder usw., Rede und Antwort stehen. Sind die Deutschen ein Volk von Betongemütern? Oder haben sie es nur gelernt, preussisch Haltung zu bewahren? Sie sind auch immer allein, danach; keiner ruft an, keiner kocht eine tröstende Suppe, niemand hilft einem, die Sachen rauszusuchen, die der Tote im Sarg tragen soll oder schlägt sich für einen mit der Sterbeversicherung rum... Was für eine Trauerkultur haben wir bloß?
"Hier ist eine Frau, die macht ihren Job, und für was anderes interessiert sie sich nicht. Punkt. Und dann nicht den beleidigten Freund und den vernachlässigten Sohn und die frustrierte Mutter in die Serie einführen."
Neulich im Tatort wieder zu sehen, am Sonntag. Dieser saarländische Kommissar darf seinen Hochzeitstag vergessen. SIE macht ihm aber nicht etwa eine Szene, nein! - sondern legt sich brav aufs Sofa. Auf dass er, nach-fürsorglich-liebevoll, sie beim Heimkommen noch auf den Hals küssen kann. Polizistenfrau sein heisst klaglos-tapfer sein.
Aber die Schauspieler, fanden Sie die nicht gut?
Sorry für 2mal, drückte den Knopf nur 1mal. Und DISAGREE muss es heissen.
@Anette Lack: In der Tat war das eine besondere Stärk der ersten Lund-Staffel: Auf der ganzen Länge mal zu zeigen, was ein solches Verbrechen bei der betroffenen Familie anrichtet. Wie die Eltern mit ihren Söhnen versuchen, danach weiterzuleben - das war grausam anzuschauen.
Und wann, verdammt, kommt jetzt endlich die zweite Staffel im deutschen Fernsehen? Und was passiert da? Eigentlich unvorstellbar, dass Lund noch mal einen solchen Monster-Fall bekommt.
Danke, Jan Pfaff, ja, wie sich alle verändern... wie sie dieser Tod ihrer Tochter und Schwester verändert. Bis zur sehr bitteren Konsequenz. Auch da heisst es doch in deutschen Krimis immer, frei nach Tucholsky "Es wird nach dem Auffinden der Leiche ... gewöhnlich wird abjeblendt."
Es gibt noch eine zweite Staffel? Danke für den Hinweis! Und, was die Qualität des dänischen Fernsehens angeht: "Der Adler" ( snipurl.com/vw7y5), lief auch bereits im Zweiten. Auch bemerkenswert und sehr spannend. Gibts bereits auf DVD.
Ja, doch, liebe Annette Lack, die Schauspieler sind natürlich großartig.
Es gibt so viele Aspekte, die wirklich beindruckend sind an der Serie: zum Beispiel auch, dass die Lund nicht so wahnsinnig überragend ist. Schlau und intuitiv-detektivisch, aber eben auch voller falscher Annahmen und Fehlern. Das gefällt mir sehr. Auch gut: dass es praktisch keinen Humor gibt. Keine dieser unerträglich witzelnden Tatort-Kommissare, die immernoch einen trockenen Spruch machen müssen.
Ich bin grad an der zweiten Staffel, Jan, man muss es sehen, um es zu verstehen. Was natürlich nervt und ja auch schon hinlänglich diskutiert wurde: dass nach einer Zeit die immer neuen Verdächtigen, die immer wieder aufs neue aufgebaute Spannung ermüdend ist. Beispiel "Rama", so sehr er auch verdächtig wirkte, störte mich das Wissen darüber, dass wir ja erst in Folge 6 sind, er also noch nicht der Mörder sein kann. Das hatte Lynch in Twin Peaks viel besser gelöst. (Angeblich sollen seine dfrehbuchautoren ja auch selbst nicht gewusst haben, wer Laura palmer ermordert hat – der Fall wurde von Folge zu Folge geschrieben).
Wobei ich den Adler jetzt sehr konventionell fand. "24" auf Dänisch. Die erste Folge ist grossartig, danach wird es recht plump.
Man muss sich halt selbst einreden, dass man immer gerade den letzten Teil anschaut, auch wenn man erst bei Folge 6 ist - dann stört es nicht so.
Und ein kleiner Hint, worum's geht?
zwei Jahre nach dem Mord an Nanna. Eine Anwältin wird brutal ermordet. Lund lebt seit der Versetzung irgendwo im Ländlichen. Ihr Chef will sie zurückholen…
"Man muss sich halt selbst einreden, dass man immer gerade den letzten Teil anschaut, auch wenn man erst bei Folge 6 ist..." Guter Trick. :)
@Mikael Krogerus:
Völlig richtig, die immer wieder neue konstruierten Verdächtigungen - erst konnte der Politiker es nicht gewesen sein, dann doch, dann nicht... nervten zuletzt. Aber der Eindruck, den Jan Pfaff auch oben schildert, war doch stärker. Es war alles sorgfältiger als hier, und die Rollen waren nicht nur holzschnittartig. Hier könnten einige Tatorte schon fast als Satire durchgehen...
Was mich interessiert, vielleicht ein bisschen off the topic: Schauen Sie die auf Dänisch? Kann man automatisch ALLE skandinavischen Sprachen, wenn man Finnisch beherrscht? (Wenn ja, wäre ich etwas neidisch...) Denn das ist doch eigentlich gar nicht verwandt?
Dankbar für alle (skandinavischen) Serien, Filme, Bücher-Tipps
Anette
Dass einzig interessante an den Tatorts sind ja die Rezensionen des Kollegen Dell… der Rest ist überladene Angst vor Langeweile.
Was Sie interessiert: ja, ich schaue sie auf Dänisch. Das ist ganz wunderbar; Dänisch ist ja mehr ein Dialekt als eine eigene Sprache. Also ähnlich dem Schweizerdeutschen voller irrer Lautmalereien und Schimpfwörtern und Wortschöpfungen. Habe einmal in die deutsche Version reingeschaut – und es fiel auf, wie prollig Jan Meyer rüberkommt, dabei ist er im Dänischen fast witzig. Wer Finnisch kann, kann nicht Dänisch, aber wer Schwedisch kann, hat wenig Mühe mit Norwegisch und Dänisch. Als in Schweden geborener Finne, der in Dänemark studiert hat, kommt mir die Serie entgegen.
Gerade liefen die ersten beiden Teile auf arte, wird jeden Dienstag ab 22 Uhr mit zwei weiteren Folgen fortgesetzt.
Die ausgestrahlten Teile sind immer eine Woche auf arte +7 verfügbar; nach meiner Einschätzung wg. jugendgefährdendem Inhalt wahrscheinlich nur zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens. arte ist aber auch nett zu Anti-Nachteulen.