Das menschliche Schicksal

Alltagslektüre Mikael Krogerus folgt den legendären Partien der kubanischen Schachmachine José Raul Capablanca gegen Alexander Aljechin: im Buch "Die letzte Partie" von Fabio Stassi

Was habe ich gelesen?
Die letzte Partie, Fabio Stassi

Seitenzahl: 235

Amazon-Verkaufsrang: 63.766

Warum habe ich es gelesen?
Die Lektorin des Autors, eine Bekannte, hat es mir empfohlen. Ich dachte zuerst auch: Okay, die muss es ja empfehlen. Aber dann dachte ich: Sie hat das Buch auch irgendwann zum ersten Mal gelesen und daraufhin den Autor unter Vertrag genommen. Schlecht kann es also nicht sein.

Worum geht es?
Um die legendären Partien der kubanischen „Schachmaschine“ José Raul Capablanca gegen seinen russischen Intimfeind Alexander Aljechin. Es ist die Zeit zwischen den Weltkriegen: Die Männer tragen noch Hüte, die Frauen zieren sich noch „wie kleine Mädchen“ und das superlangweilige Brettspiel Schach stellt noch „das menschliche Schicksal dar“. Fabio Stassi hat die wahre Geschichte der beiden Kontrahenten um eine Menge vielsagender Anekdoten und B-Handlungen erweitert, die den Blick des Lesers langsam in die kranke Psyche eines besessenen Genies lenken. Das ist unterhaltsam, aber auch furchtbar irritierend. Schon ganz am Anfang besorgte ich mir The Immortal Games of Capablanca von Fred Reinfelt, um zu überprüfen, ab welcher Stelle Fabio Stassi die Phantasie durchgeht. (Zum Beispiel in der Beschreibung der ersten Begegnung zwischen dem Russen und dem Kubaner 1914: Sie erkennen im jeweils anderen den einzigen echten Gegner. Stassi, der alte Schwerenöter, treibt ihre Rivalität auf die Spitze: Bei ihm wetten sie um den Besitz einer Frau, der Geliebten des Großfürsten. Jungenphantasie. Mir wäre die Wirklichkeit lieber gewesen.)

Was hängen bleibt:
Der Schriftsteller hatte eine gute Idee: Das Buch vollzieht formal den Aufbau eines Schachspiels nach. Ein Schachbrett hat 64 Felder, also hat Stassi sein Buch in 64 Kapitel eingeteilt. Bei 235 Seiten macht das im Schnitt 4 Seiten pro Kapitel. Viele sind kürzer. Das ist angenehm. Die 64 Kapitel geben natürlich – Sie werden es sich gedacht haben – den Verlauf einer Partie wieder, denn ein durchschnittliches Schachspiel hat rund 32 Züge (also 64 Halbzüge, da ja Weiß und Schwarz zieht). Das Ganze ist wahnsinnig aufgeladen: Das Leben ist ein Spiel. Jeder Zug ein Opfer. Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? (Früh fragt sich der Leser: Warum sind wir nicht geblieben, wo wir waren?).

Wie liest es sich?
Stassi schreibt in einer schönen, schlichten, altmodischen Sprache. Die Übersetzung ist vermutlich sehr gut. Und doch musste ich mich zur Lektüre zwingen, fand immer wieder Ausreden, nahm andere Bücher zur Hand, schlief beim Lesen ein. Vielleicht, denke ich, ist es ein tolles Buch, das sich aber nicht zwischendurch in einer U-Bahn oder spät im Bett lesen lässt.

Das beste Zitat:
„Ich habe die Frau wegen ein paar Holzfiguren verlassen“.

Wer sollte es lesen?
Leser, die Carlos Ruiz Zafón, Stefan Zweig und Daniel Kehlmann schätzen – alle drei nichts für mich.

Was lese ich als nächstes?
Das „Un-Glück“, von Constantin Seibt und Michael Spittler.


Die Alltagslektüre: In seiner Kolumne unterzieht Freitag-Autor Mikael Krogerus jede Woche ein Buch seinem persönlichen Literatur-Check. Zuletzt: "... über die Fragen hinaus. Gespräche mit Schriftstellern" von André Müller


Alle früheren Folgen der Kolumne finden Sie hier

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