Auf Seite 84 steht der Satz, in dem sich die genaue Beobachtung, der feine Humor und das ganz nebenbei Politische des neuen Adam-Soboczynski-Romans am eindrucksvollsten ergänzen: „Wer immerzu sagt, er müsse sich entspannen, betont immerzu, wie viel er doch arbeiten, wovon er sich entspannen müsse. Mithin, er verrechnet die Arbeit mit seiner Freizeit, was die Freizeit zur Funktion der Arbeit degradiert. Die Freizeit ist dann der Ort, der keine Mühe, keine Aufregung, keinen Übermut, keine Unfreundlichkeit mehr lohnt.“ Es lohnt sich, den Satz noch einmal zu lesen.
Der Plot in dem kleinen Bändchen Glänzende Zeiten geht so: ein namenloser Ich-Erzähler erregt sich in bester Thomas-Bernhard-Manier über die neoliberalen Tugenden unserer Zeit.
enden unserer Zeit. Mut, Früh-Aufstehen, Gesundheit, Sex, die richtige Wohnung, Lachen, Liebe – all das, was uns angeblich so glücklich macht, wird hier stilvoll aber erbarmungslos hingerichtet. Zum Thema „Leibesübung“ zum Beispiel lesen wir, dass die Kunst körperlicher Tätigkeit ja historisch darin bestand, die Mühe, die sie machte zu verbergen. Zum Jogging aber gehöre es heute, die Mühe, die es macht, hemmungslos, fast pornografisch zur Schau zu stellen.Die Erzählung kreist lose um den Protagonisten – der, man ahnt es, gut geschnittene Anzüge und zielloses Flanieren schätzt und generell das Gefühl nicht los wird, dass früher alles besser war. Und der uns dabei eine wohlbekannte Welt vor Augen führt: unsere eigene. Er beschreibt die „Glättung, Aufhellung, Gesundung, Normierung der Welt, die ungute Disziplinierung, die Verbannung individueller Verrücktheiten und Fluchten des Alltags, obgleich sich doch jeder ungeheuer individuell glaubt“. Ja, genau so ist es! möchte man bei solchen Sätzen laut rufen und dem Autor die Hand schütteln aus Dankbarkeit, dass endlich jemand mal sagt, was alle ahnen (und diejenigen, die ihren Foucault gelesen haben, schon längst wissen).Natürlich arbeitet sich der 35-jährige Autor – Adam Soboczynski ist Redakteur der Zeit – auch an Erwartbarem ab. So stört er sich ausführlich am Rauchverbot und darüber, dass Hausmeister heute Facility Manager heißen. Er erregt sich über die Tatsache, dass neuerdings Kinder überallhin mitgebracht werden dürfen – auch in Trendbars – und dass die Deutschen in der Bahn immer ihre Schuhe ausziehen und unter Oberhemden T-Shirts tragen.Unbeirrt nostalgischDas alles ist so originell, wie über Flugzeug-Passagiere lachen, die nach der Landung klatschen. Dennoch zählt es zu den außergewöhnlichen Fähigkeiten des Adam Soboczynski, Allgemeinplätze derart gut auszuleuchten, dass man das Gefühl hat, sie zum ersten Mal so zu sehen. Ein Beispiel: „Oft habe ich schon gedacht, dass die Paare, die mit Kindern immer in Cafés und in Bars herumsitzen, ihre Kinder eigentlich nur mitnehmen, um zu verhindern, dass andere Leute einander rauchend näherkommen, da sie selbst, erloschener Leidenschaft wegen, es den Leuten, die ohne Kinder sind, einfach nicht gönnen, dass die einander sich näherkommen, weshalb sie jede Bar, die früher immer Ort der dunklen Geheimnisse, der schlüpfrigen Anbandelei und abwegigsten Frivolitäten gewesen ist, zum Kinderplatz verwandeln.“ So lautet ein typischer Soboczynski-Satz – für jeden mit Deutsch als Fremdsprache ein echter Alptraum.Wer aber mit ausufernden Nebensatzkonstruktionen, endlosen Einfügungen und mit dem langen Warten auf das Verb am Satzende kein Problem hat, wer also, anders gesagt, mit der Schönheit deutscher Prosa klarkommt, der wird dieses Buch ständig bei sich tragen wollen wie ein Punk seine Ratte. Denn so unbeirrt nostalgisch wie Soboczynski denkt, schreibt er auch. Es ist ein Buch wider dem windigen Zeitgeist und wider die neo-liberalen Selbstoptimierungstechniken. Und es ist ein Buch wider die SMS-Verknappungssprache, wider die 140-Buchstaben-Logik, wider die zwanghafte Knackigkeit von Sprache und wieder den Irrglauben, sich selbst und seinen Leser nicht hie und da etwas zumuten zu dürfen.Das einzige, was man diesem beobachtungsbegabten Schreiber nach der Lektüre vorhalten kann ist, dass er nicht über dieses abgehangene „Beschreiben aus einer ironischen Halbdistanz“ hinausgeht. Man hockt da mit einer kleinen oder großen Wut über die lächerlichen Werte unserer Zeit und fühlt sich ein wenig allein gelassen – denn sind wir nicht längst an einem Punkt angelangt, an dem Schmunzeln allein nicht mehr hilft?Die Aufsätze machen sich prima im magazinigen Feuilleton, man kann bei jedem zweiten Satz kopfnickend zustimmen, aber irgendwann verliert das seinen Reiz, weil die eigentlich radikale Kritik nur die abgedroschene Flucht ins dandyhaft-Ironische anbietet. Was man sich wünscht beim Lesen: dass Soboczynski sich an ein mutig-wütendes politisches Pamphlet wagt. Und vielleicht aber ist genau dieser Wunsch das Verdienst des Buches: Dass man sich nach der Lektüre ein politisches Pamphlet wünscht.
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