Die Geburt des Feindes

Alltagslektüre War die bisherige Lektüre von Mikael Krogerus zu unpolitisch? Zu untheoretisch? Zu wenig relevant? Naja, er kann auch anders. Und liest diese Woche Carl Schmitt

Was habe ich gelesen: 
Der Begriff des Politischen: Ein kooperativer Kommentar" target="_blank">Der Begriff des Politischen von Carl Schmitt


Seitenzahl: 124


Amazon-Verkaufsrang: 232.064

Warum habe ich es gelesen?


Ein Freund wies mich daraufhin, dass meine bisherige Lektüre total irrelevant gewesen ist. Und apolitisch. Und untheoretisch. Das ist starker Tobak. Für die Weihnachtstage also irgendwas Politisches, Relevantes, Theorielastiges. Kurz sollte es auch noch sein, fand ich. Und fand Carl Schmitt.

Worum geht es?


Für normale Theoretiker ist Politik demokratisch-institutionell strukturiert: Alle sagen öffentlich, was sie doof oder toll finden, irgendwann entscheidet man. Nicht so bei Calle Schmitt. Für ihn zeigt sich die "wahre" Qualität des Politischen im Krieg, genauer: in der Unterscheidung eines Feindes, den man in letzter Konsequenz kriegerisch besiegen will. Es geht Schmitt also, das ist bekannt, um das Freund-Feind-Schema als Basis für Staatlichkeit. Und darum, was passiert, wenn der Feind plötzlich kein Staat mehr ist.

Weshalb sich die Lektüre von Schmitt lohnt:

Der Begriff der Humnität, also der Menschlichkeit, ist für Schmitt ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansion. Die Berufung auf die Humanität soll dem Feind die „Qualität des Menschen“ absprechen, ihn außerhalb des Gesetzes und außerhalb der Zivilisation positionieren und somit den Krieg zur äußersten Unmenschlichkeit treiben. „Die Menschheit kann keinen Krieg führen, denn sie hat keinen Feind, wenigstens nicht auf diesem Planeten. Der Begriff der Menschheit schließt den Begriff des Feindes aus, weil auch der Feind nicht aufhört, Mensch zu sein“, schreibt Schmitt.

In einem zweiten ebenfalls lesenswerten Kapitel („Das Zeitalter der Neutralisierungen und Enpolitisierungen“) macht sich Schmitt über den quasi-religiösen Glauben an die Technik und Beweisbarkeit lustig.

Was bleibt hängen?


Bei Freund-Feind denkt man natürlich sofort an George W. Bushs unglaubliches „Either you are with us or you are with the terrorists“.

Man denkt an die „Essentialisierung“ des Feindes im Anschluss an den Anschlag vom 11. September 2001. Essentialisierung heißt hier, ich wusste das auch nicht, die Beurteilung des Feindes anhand moralischer, unpolitischer Kategorien. Al-Qaida war „eine Krake“, die Attentäter „Monster“. Mit diesen Kategorien wird dem Feind nach Schmitt jeglicher politischer Status abgesprochen – die Folgen sind bekannt: Abu Ghraib, Guantanamo. Die Fundamentalisten waren „nicht-staatliche Akteure“, letztlich feindliche „Andere“, von denen wir uns abgrenzen. Es lohnt sich darüber nachzudenken, was für ein Bild wir von Moslems hatten vor 9/11. Und wie sehr der Diskurs seither unser Bild vom „Anderen“ prägt. Man muss sich fragen, ob eine Minarett-Initiative in der Schweiz ohne den Bizarr-Diskurs Post-9/11 überhaupt denkbar gewesen wäre? Wie wir uns im Alltag eigentlich von den „Anderen“ „abgrenzen“? Ich dache an die „Unterschichtskinder mit migrantischem Hintergrund“ in der Kita meiner Tochter und daran, ob Obamas letztlich peinlich-dialektische „Just war“-Rede anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo nicht genau jenen, nach Schmitt widersinnigen, Krieg im Namen der Menschheit beschwor.

Alles Dinge, über die ich nachdachte, während mein Großonkel den Weihnachtsmann gab, meine Tochter entzückt ihre Barbiepuppe herzte und ich ein digitales Weinthermometer von Pulltex auspackte. Die Welt ist verrückt. 


Wie liest es sich?


Im Vorwort nervt Schmitt mit übertriebener Didaktik und kruden Fremdwörtern („encadrieren“). Ab Seite 20 aber zeigt er, dass er ein Topschreiber war, der mit kühlen Analysen und griffigen Formulierungen uninformierte Leser wie mich von der Richtigkeit seiner Gedankengänge überzeugt. Kein Wunder, dass der Opportunist zwischenzeitlich auch mit den Nazis gut konnte.

Das beste Zitat:
 „Wer Menschheit sagt, will betrügen.“

Wer sollte es lesen?


Menschen, die sich von der Illusion verabschieden wollen, dass manchmal Krieg ein probates Mittel ist.

Was lese ich als Nächstes?

Alice von Judith Herrmann.

Die Alltagslektüre: In seiner Kolumne unterzieht Freitag-Autor Mikael Krogerus jede Woche ein Buch seinem persönlichen Lese-Check. Zuletzt: Wahre Geschichten von Sophie Calle

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