Gleich knallt's

Im Gespräch Tod Wodicka schickt in seinem Debüt-Roman einen Vater mit Mittelalter-Tick nach Europa, auf der Suche nach seinen Kindern. Er selbst sucht in Berlin sein Glück

Das Gespräch mit Tod Wodicka findet abends in einer kleinen Bar in Berlin-Neukölln statt. Der 33-Jährige nuckelt an seinem Bier wie ein Baby an der Flasche und sieht aus wie der jüngere, etwas versoffene Bruder von Christopher Walken.

Der Freitag:

Herr Wodicka, Sie …
Tod Wodicka:

Das tut mir leid.
Ich glaube, sie hatte keine Lust mehr, sich ständig um mich zu kümmern. Sie war nie dafür gemacht, mit einem Schriftsteller zusammen zu leben. Nur wenige Frauen sind dafür geschaffen, und sie war besonders unbegabt darin.

Wie sollte die Frau eines Schriftstellers denn sein?
Ich habe keine Ahnung! Sie muss sehr verständnisvoll sein. Ich kann wirklich keinem Mädchen empfehlen, mit einem Schriftsteller zusammen zu sein. Ich sollte eigentlich jedem Mädchen sagen: Schau, ich bin sicher, dass wir wirklich interessante Gespräche führen können, aber bei allem was folgt, bin ich wie ein Riesenbaby. Und willst du wirklich mit jemandem zusammen sein, der den ganzen Tag zu Hause in seiner Phantasiewelt rumhängt und schreibt, und wenn er nicht schreibt, dann liest er? Einer, der ständig das Gefühl hat, die ganze Welt würde sich nur in seinem Kopf abspielen? Und dann diese Launen! Es gibt kurze euphorische Momente, in denen man denkt: Hey, es geht, ich kann ja schreiben! Und dann folgen wieder zwei Wochen, in denen du dich aus dem Fenster stürzen willst.

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Ihr Buch handelt auch von einem, wenn man so will, Riesenbaby: Ein Mann, der nicht ohne andere funktionieren kann. Er ist 63, seine Frau ist an Krebs gestorben, seine Kinder hat er lange vernachlässigt und jetzt wollen sie nichts mehr von ihm wissen. In einer extremen Form von Eskapismus lebt er wie ein Mann aus dem Mittelalter. Ist das Ihre eigene Geschichte?
Das Mittelalter nicht. Die Flucht ja. Schreiben ist auch Flucht. ­Schreiben hat etwas sehr Krankes. Es macht mich unsozial und kaputt. Manchmal überkommt mich dieses klare Gefühl, dass die ganze kranke, traurige kleine Welt des Schreibens entlarvt wird: dieser pathologische Rückzug in ein Neuerfinden von sich selbst und von anderen. In diesen klaren Momenten scheint das alles zunächst peinlich oder lächerlich. Nach einer Weile ist es nur noch unheimlich.

Wovor haben Sie dann Angst?
Es ist ja nicht so, dass es nicht auch etwas anderes in der Welt gäbe, was Sinn ergibt. Es ist bloß so, dass es nichts anderes für einen selbst gibt.

Und, kann man vor diesem Gefühl fliehen?
Nein, es holt dich ein. Aber ich würde den Impuls, fliehen zu wollen, auch nicht verurteilen.

„Schreiben ist Flucht. Es hat etwas sehr Krankes"

Eine junge Frau mit auffallend schön geschwungenen Lippen tritt an den Tisch. „Verkaufst du Drogen?“, fragt sie. „Nein, leider nicht, hast du welche?“, antwortet Wodicka. „Nein, aber ihr zwei
seid ganz schön hübsch,“ lallt die Frau und stolpert an die Bar.

Wow, sie hat mich für einen Drogendealer gehalten, das ist das Beste, was mir diese Woche passiert ist.
Nehmen Sie Drogen?
Eigentlich nicht. Ich denke, dafür bin ich selbst viel zu durchgeknallt. Wenn ich Drogen nähme, würde ich die Kontrolle verlieren. Aber ich interessiere mich sehr dafür, ich habe mich jetzt ein Jahr lang mit halluzinogenen Drogen beschäftigt. Mein nächstes Buch wird davon handeln.

Ihr aktuelles handelt vom Mittelalter – warum?
Weil mir das Buch die Möglichkeit gab, mich damit zu beschäftigen. Ich war immer an historischen Themen interessiert, aber nie interessiert genug, um Historiker zu werden. Ich denke, das ist eine der Freiheiten des Schreibens: Du kannst für eine bestimmte Zeit in einer ganz anderen Welt leben, die dich schon immer fasziniert hat. Du kannst für einen begrenzten Zeitraum etwas sein, was du immer sein wolltest, aber wofür du nie talentiert oder geduldig genug warst. Ich würde nicht soweit gehen und mich wie ein Mann aus dem Mittelalter kleiden, aber ich kann das Gefühl meines Protagonisten Burt nachvollziehen. Er hält sich für historisch falsch eingeordnet.

Burt ist ein merkwürdiger Kerl, der einem während der Lektüre langsam sympathisch wird und gerade wenn man anfängt ihn zu mögen, erfährt man, was für ein Drecksschwein er eigentlich ist.
Ja, ich spiele ein bisschen damit. Das Buch handelt eben auch von unserem tiefen Wunsch, dass die Menschen, die uns umgeben, so sind, wie wir sie gern sehen würden. Und es handelt von der Enttäuschung, wenn wir feststellen, dass sie anders sind.

In Ihrem Buch geht es eigentlich um eine gestörte Vater-Kind-Beziehung. Sie schrieben das Buch, während Ihre Frau schwanger war. Wollten Sie sich selbst warnen, wie man es nicht machen sollte?
Ja. Nein. Ich weiß nicht… Als ich das Buch schrieb, war meine Frau schwanger. Und je größer ihr Bauch wurde, desto schneller schrieb ich. Ich war besessen von dem Gedanken, dass ich dieses Buch fertig stellen musste, bevor mein Kind zur Welt kommt. Ich wollte schon immer ein Schriftsteller sein, und es war mir die letzten Jahre nie geglückt. Mir war klar: Ich kann jetzt nicht noch mal scheitern. Ich will nicht mehr kellnern.

Der amerikanische Ritter

Tod Wodicka hat seinen ersten Roman geschrieben. Es ist ein lustiges Buch. Es ist auch ein trauriges Buch. Es ist die Geschichte des 63-jährigen Witwers Burt, der in einer Art Extrem-Eskapismus beschließt, wie im Mittelalter zu leben. Er betrinkt sich maßlos und befolgt zwanghaft die oberste Regel, dass alles moderne „NEE“ ist („nicht der Epoche entsprechend“). Sein Eskapismus kulminiert in einer Reise nach Europa, um die 900-Jahr Feier von Hildegard von Bingen zu begehen. Tat­sächlich ist es eine verzweifelte Reise zurück zu seinen Kindern, die sich von ihm abgewendet haben (Seine Tochter, schwer genervt von dem Mittelalter-Tick ihres Vaters, wählte das denk­bar entfernteste Hobby: Sie wurde ein Star-Trek-Fan).

Es ist ein sehr erwachsenes Buch. Es handelt nur auf den ersten Blick von einem Mittelalter-Spinner. Wie der Protagonist sagt, geht es vor allem um dieses „dauerhafteste, unwahrscheinlichste, angsteinjagendste Ding überhaupt: die Familie“. Das Buch hat, bei allen Schwächen, etwas, das vielen guten Büchern fehlt. Es ist übertrieben, maßlos, widersprüchlich, unvernünftig – und damit: sehr menschlich.

Jetzt sind Sie Schriftsteller. Ist das gerade die beste Zeit Ihres Lebens?
Nein. Ich habe gute Erinnerungen an meine frühe Kindheit. Ich liebte es, ein Kind zu sein. Aufgewachsen bin ich in einer verschlafenen republikanischen Kleinstadt im Norden von New York, und ich ahnte noch nicht, wie unwohl ich mich hier einmal fühlen würde.

Was ist dann passiert?
Ich war acht Jahre alt, als mein Vater nach New York zog, um mit einem Mann zu leben. Das war ein Schock! In dieser konservativen Kleinstadt war ‚schwul‘ das Schlimmste, was man sein konnte. Und mein Vater war das wichtigste, was ich hatte. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was schwul bedeutet. Es war eine Beleidigung, die man sich an den Kopf warf. Es war schlimmer, als ein Mädchen zu sein. Ich war erst acht Jahre alt und mir wurde plötzlich klar: Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Wenn dein Vater heimlich schwul ist, wenn dieses absolut Undenkbare in meinem Haus passiert, was zum Teufel passiert dann bei anderen? Ich weiß noch, wie ich durch unsere Straße ging und mir die Häuserfassaden anschaute und überlegte, was sich wohl wirklich in diesen Familien abspielt. Ich kam mir vor wie in David Lynchs Film Blue Velvet. Es war verrückt, aber unglücklich wurde ich später, als Teenager.

Wurden Sie gehänselt, „wie der Vater so der Sohn?“
Ja, natürlich. Man nannte mich einen Homo und manchmal, das war wirklich schlimm, Sohn eines Homos. Ich war nicht schwul, aber ich war anders. Deswegen gefiel mir auch das neue Leben meines Vaters. Ich verbrachte viel Zeit mit seinen schwulen Freunden in New York City. Ich liebte meinen Vater und auch seinen ‚neuen besten Freund‘, wie er ihn lange betitelte.

Sie hatten eine spezielle ­Beziehung zu Ihrem Vater, Sie haben ein Buch geschrieben über eine Vater-Sohn-Beziehung. Jetzt sind sie selber Vater. Was macht einen guten Vater aus?
Hm, lassen Sie mich überlegen. Vielleicht, dass ein Vater präsent ist. Ich meine jetzt nicht Präsenzzeiten. Ich bin ja ein Vollzeitvater. Aber ich merke, wie ich so oft nebenbei andere Dinge erledige und überhaupt nicht bei der Sache bin.

Burt stellt ebenfalls irgendwann fest, dass er nie richtig da war, als es um die Kinder ging. Er reist nach Europa, wo sein Sohn inzwischen lebt, um ihn zurückzugewinnen. Warum sind Sie nach Europa gereist?
Ich kam mit 18 Jahren nach England, um zu studieren. Ich wollte einfach weg aus meinem kleinen Kaff. Ich fühlte mich auf diese etwas lächerliche pubertäre Art ‚europäisch‘.

Sie leben seither in Europa. Seit drei Jahren in Deutschland. Was war ihr erster Eindruck von Deutschland?
Mir ging es genauso wie Burt im Buch: Ich kam an einem sehr heißen Sommertag nach Deutschland. Nach Rheingau. Zuerst fragte ich mich: Wo ist der Rhein? Dann: Wo sind die Deutschen? Ich lief an verzweifelt sauberen Einfamilienhäusern vorbei, die in perfekt gepflegte Gärten gepflanzt worden waren – und nirgends eine Menschenseele. Ich weiß noch, wie ich dachte: Wo sind die? Im Urlaub? Dürfen sie für ein paar Monate im Sommer keine Deutschen mehr sein – Freigang wegen guter Führung? Wer schneidet dann die Hecken?

In Ihrem Buch schreiben Sie: „Deutschland liegt hinter uns, Böhmen liegt vielversprechend vor uns, und ich merke, wie ich bei dem Gedanken an Armut und Unsauberkeit ganz aufgeregt werde“.
Es war alles sehr absurd und sehr anders, als ich mir dieses historische Land vorgestellt hatte. Die Burgruinen waren zwar 1.000 Jahre alt, aber man merkte nichts davon. Ich hatte mir Deutschland mehr wie Prag vorgestellt.

Trotzdem leben Sie seit drei Jahren in Deutschland. Was ist passiert?
Ich habe ein Kind mit einer Deutschen.

Ich auch.
Oh. Das tut mir Leid. Haha.

Was kennen Sie von Deutschland?
Das erste Jahr lebten wir in Kleve. Das war eines der schlimmsten Jahre in meinem Leben. Die Menschen waren alle gleich. Das einzige Bild von den Deutschen aus Kleve, das ich erinnere, ist: Menschen, die vor ihren Häusern Laub harken. Dann beschloss meine Freundin, dass wir nach Berlin ziehen. Ich sah Berlin zum ersten Mal, als ich aus dem Umzugswagen ausstieg. Es war Liebe auf den ersten Blick.

In was genau haben Sie sich verliebt?
Ich mag, dass es uninspirierend ist. Und ich denke, das liegt daran, dass es so gemütlich ist.

Reden wir von der gleichen Stadt?
Berlin ist wie Badewasser. Es ist wunderbar, sich darin zu bewegen. Es erfordert kaum Anstrengung. Aber es ist nicht inspirierend, ich könnte nie darüber ­schreiben, über Kleve schon. Das ist inspirierend. Vielleicht bin ich naiv, aber ich fühle mich sicher und aufgehoben in Berlin. Und was die Arbeitslosigkeit oder ‚die Krise‘ angeht: Ich bin arm. Ich kann mir kaum meine Miete leisten. Mich kann die Krise nicht beeindrucken.

Was halten Sie von den Berlinern?
Mir gefallen sie. Und ich bin jemand, Sie werden es gemerkt haben, dem mehr Negatives als Positives auffällt. Aber über Berlin kann ich wirklich nichts Negatives sagen. Jetzt lebe ich in Neukölln und es ist toll, dass hier so viele Immigranten sind. Ich habe mich in meinem Heimatort in den USA immer fremd gefühlt. Hier fühle ich mich auch fremd, aber es ist okay, weil die meisten Menschen in meiner Umgebung auch Fremde sind.

Tod Wodicka, geboren 1976 in Glenn Falls, New York, studierte an der Manchester University in England. Er lebt mit seinem Sohn in Berlin. Der amerikanische Ritter ist sein erster Roman, den die Redaktion des Magazins The Believer in den USA 2008 auf ihre believer book award editors short list gewählt hat. (Im Original trägt der Roman den einprägsamen Titel All Shall Be Well; And All Shall Be Well; And All Manner of Things Shall Be Well...)

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