Grass mit SS

Im Gespräch Ingolf Gillmann, Textchef der Bild am Sonntag, über Schlagzeilen

Der Freitag: Herr Gillmann, zu Axel Springers 100. Geburtstag – Ihre Schlagzeile?

Ingolf Gillmann: Spontan, „100 Jahre Einsamkeit“.

Genial!

Und zu naheliegend. Als Michael Jackson starb, habe ich geschrieben: „50 Jahre Einsamkeit“. Aber wenn man über die Springer-Zeile länger nachdenkt, stimmt sie: Als Verleger war Axel Springer so groß, dass er bestimmt einsam war.

„Wir sind Papst“ – viele „Bild“-Überschriften sind legendär. Gibts ein Rezept?

Wie schon der Kollege Goethe sagte: „Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen“. Also erst die Geschichte verstehen, dann die Schlagzeile fühlen. Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich an die Zeile zum 11. September 2001 denke. Im Hintergrund die Türme – und dann die Zeile: „Großer Gott, steh uns bei“.

Ist Humor wichtig?

Ich glaube nicht, dass Headlines lustig sein müssen. Sie müssen Lust auf die kleinen Buchstaben machen. Ich erinnere mich an einen Text über Alain Delon, in dem behauptet wurde, der frühere Frauenschwarm sei jetzt einsam. Und da haben wir die Headline gemacht: „Allein Delon“.

Wie textet man Titelseiten?

Egal, ob Spiegel, Bild oder Freitag – die Titelzeile muss ein No-Brainer sein. Sehen, verstehen, kaufen. Da darfst du keinen schlauen Gag machen wollen.

Ein typischer Fehler?

Die meisten wollen eine richtige Zeile. Da ist zum Beispiel ein Porträt über Florian Henckel von Donnersmarck, der einen Hollywood-Film mit viel Geld und Angelina Jolie dreht. Dann schreiben die drüber: „Der 100-Millionen-Mann“. Das ist gefühlloser Mist.

Was halten Sie von Wortspielen wie zum Beispiel „Der Name der Dose“?

Das muss schon wirklich ein Hammer sein. Die letzte Hammeränderung, die ich in diesem Bereich erinnere, war von Max Goldt: „So sicher wie das Atmen in der Kirche“.

Warum gibt es keine Preise für die besten Schlagzeilen?

Müsste es geben, ja. Zwei Zeilen aus dem Spiegel würde ich für den Kisch-Preis nominieren. Die erste war eine Geschichte über den kriselnden Verein Hertha BSC. Die Headline: „Hertha BSE“. Die zweite war ein Porträt über Franz Beckenbauer, da stand drüber: „Der Firlefranz“.

Ich würde Sie nominieren für die Zeile, die Sie mal für die „Weltwoche“ zur Trauung von Prinz Charles mit Camilla machten: „Ein Königreich für ein Pferd“.

Ein bisschen platt. Und sehr fies. Das erinnert mich an Günter Grass. Als er mit seiner Nazi-Vergangenheit rausrückte, da haben wir geschrieben: „Grass jetzt mit SS“.

Wie viele Google-Hits darf eine Headline haben, damit Sie sie nehmen?

Gute Einfälle google ich tat­sächlich, und ich würde sagen: eine einstellige Trefferzahl ist in Ordnung. Es ist ein kleines Spiel, Zeilen zu schreiben, die keinen Treffer haben. Neulich ist mir das für eine Geschichte auf der Kosmetikseite gelungen: „Gel allein macht nicht glücklich“.

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