Japan für Wilde

Alltagskino Unser Kolumnist Mikael Krogerus ließ sich von einem Künstler zu einer Meditation über das Reisen inspirieren: Guerillakrieg, Großwildjagd und Ménage à trois inklusive.

Was habe ich gesehen?
Sans soleil (1982), Laufzeit: 100 min, Regie: Chris Marker

Warum habe ich es gesehen?
Ich wollte Perdita Durango sehen, als mir ein befreundeter Street-Art-Künstler, der hochbegabte The Wa eher beiläufig von einem Film erzählte, der ihn inspiriert habe. Man will natürlich wissen, was inspirierende Künstler inspirierend finden.

Worum geht es?
Etwas schleppende Off-Erzählstimme (Alexandra Stewart) liest aus Briefen des (fiktiven) Kameramanns Sandor Krasna. Es sind im weitesten Sinne Reiseberichte, verfasst in Stream-of-Consciousness-artigen Assoziationsketten. Dazu sehen wir wild geschnittene 16 mm Bilder aus Japan, Guinea-Bissau, Japan, Guinea-Bissau, Japan, Japan, und irgendwann auch noch ein bisschen Paris und Island und dann, übergangslos, wenn auch wirklich schön, eine Art reflexive Nacherzählung des Hitchcock-Klassikers Vertigo. Nicht immer passen Wort und Bild zusammen. Die vorherrschenden Themen: Tanz, Guerillakrieg, Geister, Popkultur, Tiere. Wir erfahren, was es mit den skurrilen Takenoko-Tänzern auf sich hat, die tranceartigen in japanischen Parks tanzen und die Aufmerksamkeit suchen, ohne die Betrachter wahrzunehmen; wir lernen erstaunt, dass Japaner mehr über den Tod eines Pandas als über den Tod des zeitgleich verstorbenen Ministerpräsidenten trauern; wir erahnen die komplizierte Dreiecks-Geschichte zwischen Guinea, den Kapverdischen Inseln und Portugal, hören vom „Dick Hill“ auf Okinawa und betrachten einen einsamen Leuchtturm in der Sahelzone. Es ist im Prinzip eine Meditation über das Reisen. Über die Fremdheit des Anderen und unsere Faszination dafür. Chris Marker filmt genau das, über das man sich wundert, wenn man woanders ist: Fernsehprogramme, Rituale, Sitten, Glauben, Geschichte, das Verhältnis zu Tieren. Natürlich, es ist leicht, ihm vorzuwerfen, er würde einen rousseauschen „der-Edle-Wilde“-Blick auf die rückschrittlichen Naturvölker haben. Aber selbst, wenn es so wäre, dass sich seine Begeisterung für das Fremde nur aus seiner westlich-hegemonialen Position heraus erklären lässt, es ist ein neugieriger, ein guter Film, der sich und dem Zuschauer einiges zutraut.

Erinnert an:
Sendung ohne Namen, aber für Intellektuelle.


Was bleibt?
Wenn überhaupt irgendwas, dann löst der Film in uns das dringende Bedürfnis aus, zu reisen, anstatt Dokus wie diese hier zu sehen.

Stärkste Szene:
Bei Minute 55 sehen wir, wie eine Giraffe bei einer Großwildjagd erlegt wird. Das riesige Tier wird getroffen, läuft weiter. Dann ein zweiter Schuß, voll in den Körper, Blut schießt aus Ein- und Austrittsloch der Kugel. Das Tier stolpert, versucht sich aufrecht zu halten, die dünnen Beine knicken ein. Ein Jäger tritt heran und schießt dem Tier in den Schädel. Alles ohne Kommentar. Am Ende picken Aasgeier die Augen aus.

Der typische Satz:
”The more you watch japanese television, the more you feel it is watching you.”

Was gefällt The Wa daran?
The Wa reist seit 10 Jahren um die Welt. Seine Art zu reisen und dabei die Welt zu sehen, hat mehr mit Sans Soleil zu tun als mit The Beach.

Was sehe ich als nächstes?

The Corner

Unser Kolumnist Mikael Krogerus sieht sich jede Woche einen Film an. Vergangene Woche sah er El Secreto de Sus Ojos.

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