Jordan Peterson heißt der derzeit am heftigsten diskutierte Intellektuelle der westlichen Welt. Der Psychologieprofessor aus Kanada vermischt auf eine ungute Art Konservatismus mit Evolutionspsychologie, Antifeminismus mit Mystizismus und Heidegger mit trivialer Verhaltenspsychologie. Sein Werk umfasst zwei Bücher, 12.200 Tweets und ungefähr drei Milliarden Stunden Youtube-Vorlesungen. Seine Leitthese aber lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Frustrierten Menschen – er meint: frustrierten Männern – fehle es an Verantwortung und Struktur.
Man muss kein großer Menschenkenner sein, um einzusehen, dass er wenigstens hier einen Punkt hat. Den meisten geht es besser, wenn sie Verantwortung übernehmen. Menschen, die sich wertlos fühlen, kann es helfen, anderen zu helfen. Menschen, deren Leben aus dem Ruder gelaufen ist, tun gut daran, Routinen zu entwickeln.
Es ist nicht überliefert, ob Peterson ein Fußball-Fan ist, aber ich wage zu behaupten, dass man, anstatt Peterson mit all seinen fragwürdigen Nebenwirkungen zu konsumieren, lieber Fußball schauen sollte. Ich jedenfalls kenne keine wirksamere Tagesstruktur als eine Weltmeisterschaft: Sie ist ein Segen für Menschen wie mich, die keinen vernünftigen Beruf ausüben und die hin und wieder mit dem Leben hadern.
Morgens erwacht man voller Vorfreude und steht sofort auf. Zum Frühstück liest man die Nachbesprechungen oder Vorberichte, dann kann man ein bisschen Büro spielen, bis um 14 Uhr der erste feste Termin ansteht. Idealerweise schaue ich das erste Spiel des Tages zusammen mit meinem kosovarischen Nachbarn. Er hat auch keinen richtigen Beruf, labert nicht viel rum, kann aber prima Kaffee kochen und hat einen Fernseher, groß wie eine Wandtafel.
Wenn man es geschickt anstellt, schafft man es in den jeweils 60-minütigen Pausen zwischen den 14 Uhr-, 17 Uhr- und 20-Uhr-Spielen, Peterson-mäßig Verantwortung zu übernehmen: Hausaufgaben betreuen, Abendessen kochen, die Kleine ins Bett bringen, während wie durch ein Wunder der ältere Sohn plötzlich von sich aus sein Zimmer aufräumt, Müll rausbringt und die Küche herrichtet – alles nur, um rechtzeitig vor dem Bildschirm zu erscheinen. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, alle Räder greifen ineinander, jeder Handgriff sitzt, und plötzlich bekommt man das Gefühl, jetzt gerade nirgends anders sein zu wollen als dort, wo man ist.
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