Maslows Bedürfnishierarchie ist ein Klassiker der Psychologie, ihre pyramidenförmige Darstellung wohl die bekannteste Infografik der Welt. Seit Jahren geistert eine Variante mit dem Zusatz, dass Wifi und Handyaufladen unsere tiefsten Grundbedürfnisse seien, durchs Internet.
75 Jahre nach dem Entstehen der Bedürfnishierarchie entschlossen wir uns, eine Art Maslow 2.0 zu entwickeln: 40 neue Bedürfnispyramiden, die zeigen, was wir wirklich brauchen. Sie sind nicht von letztem Ernst.
Bei der Beschäftigung mit Grundbedürfnissen stießen wir auf eine wenig bekannte Wahrheit: Abraham Maslow hatte nie von einer Pyramide gesprochen. Nirgends in seiner Arbeit taucht sie auf. Sie wurde Jahre später von einem Unternehmensberater entwickelt, dessen Quelle ein BWL-Professor war, der Maslows Theorie falsch verstanden hatte. Was wollte Maslow mit seiner Theorie? Warum wurde sie so populär? Und wie kam es zu zur Pyramide?
Brot alles, Brot nichts
Abraham Maslow, ein Verhaltensforscher mit dem sagenhaften IQ von 195, formulierte in den 1940er-Jahren eine Frage, die sein Leben prägen würde: Was braucht der Mensch? Seine Antwort, wie oft bei ihm, eher gefühlt als faktisch belegt, lautete: Körperliche Bedürfnisse (Durst, Hunger, Verdauung, sexuelle Lust) – sie sind die tiefsten Bedürfnisse. An zweiter Stelle steht der Wunsch nach Sicherheit, Struktur, Rhythmus. Das dritte Bedürfnis ist jenes nach Zugehörigkeit, Zusammenhalt, nach Liebe, Freundschaft, Familie, Kindern. Umgekehrt entsteht jetzt eine neue Angst, die vor Einsamkeit. Schließlich folgt das Bedürfnis nach Anerkennung, der Wunsch nach Respekt und Aufmerksamkeit, aber auch nach Selbstachtung.
Diese vier Stufen nannte Maslow Defizitbedürfnisse. Wenn sie nicht erfüllt sind, empfinden wir einen Mangel. Sobald sie befriedigt sind, vergessen wir, dass wir sie hatten. In Maslows Worten: „Wer hungrig ist, den macht ein Brot und ein Brot allein glücklich. Wer aber satt ist, dem bedeutet ein Brot nichts.“ Anders verhält es sich mit der letzten Bedürfnisstufe, der sogenannten Selbstverwirklichung.
Damit meinte Maslow die Erfüllung, das zu tun, was uns wirklich entspricht. Später ergänzte er das Modell um eine noch höhere Stufe: Die Transzendenz, den Wunsch nach etwas Größerem und Reineren als uns selbst. Das wirft Fragen auf. Warum wurde die Theorie so populär?
Maslow stellte seine Thesen vor Psychoanalytikern in New York vor. Sie kamen gut an, mehr aber nicht. Berühmt wurden sie erst durch Douglas McGregor, einen Professor vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), der auf Basis von Maslows Arbeit eine radikale Idee formulierte: Nicht Belohnung, sondern Erfüllung ist die wahre Antriebsfeder des Arbeitens.
Der Ansatz veränderte das Verständnis von Maslows Bedürfnishierarchie grundlegend: Aus einer positivistischen Individualpsychologie wurde eine Unternehmensberater-Fibel, die auf den Satz hinauslief: Es gibt fünf Bedürfnisse, Angestellte streben immer nach der nächst höheren Stufe. Das entsprach nicht Maslows Idee. Er glaubte, dass man verschiedene Bedürfnisse gleichzeitig haben kann, und dass es zum Beispiel Menschen gebe, für die Selbstverwirklichung wichtiger ist als Liebe. Manche empfänden unterschiedliche Bedürfnisse zu unterschiedlichen Zeiten, andere hätten überhaupt keine. Und wie kam es zur Pyramide?
Ein Ökonom zeichnete 1957 Maslow als Treppe: eine Stufe wird nach der anderen erklommen. Das brachte einen gewissen Charles McDermid, einen Unternehmensberater, auf die Idee, die Theorie mit einer Pyramide zu illustrieren. Er war es also, der ein Bild schuf, das ebenso genial wie falsch war: Genial, weil die Wahrnehmung des Menschen vom Bild zum Text geht – die meisten merken sich Bilder besser als Worte, erkennen Zusammenhänge eher in Visualisierungen als in Sätzen. Falsch, weil die Pyramidenform sagt, dass die Bedürfnisse in einer Abfolge befriedigt werden müssen.
Zeit seines Lebens versuchte Maslow die Pyramide aus den Lehrbüchern zu entfernen. Aber sie passt einfach zu gut ins Management-Weltbild: Oben, das sind die Leute, um die es geht, unten, das ist die graue Masse.
Getrieben von der Idee, dass mehr Geld, mehr Sicherheit oder mehr Möglichkeiten glücklich macht, gibt es ein Rennen um die wenigen Plätze an der Spitze. Es ist bezeichnend, dass die einzige Management-Theorie, die je „viral gegangen“ ist und zum „Meme“ wurde, inhaltlich falsch ist.
Info
All you need. Was wir wirklich wollen Roman Tschäppeler, Mikael Krogerus Verlag Kein und Aber, 2019, 96 S., 8 €
Kommentare 16
neben dem dekorativen, dem auf-laden des körperlichen,
war das bekenntnis-hafte der haut-ritzung immer präsent:
ob als bekenntnis zu einem partner, zu einer gruppe,
zu einem lebens-motto ("HASS").
Das macht ja Abraham Maslows Arbeit nicht falsch. Es gibt nunmal Grundbedürfnisse und Verwirklichungsbedürfnisse und die Grundbedürfnisse kommen immer vor den Verwirklichungsbedürfnissen. Wer nichts zu Essen hat und Hunger leidet, wird wohl kaum Selbstverwirklichungsbedürfnisse oder gar Selbsttranszendenzbedürfnisse ausbilden können, da seine Gedanken immer darum kreisen müssen, wie er sich die nächste Mahlzeit beschaffen kann, gebunden wird. Wenn er aber einer Arbeit nachgehen kann, die auskömmlich ist und er genug verdient, dass er seine Grundbedürfnisse befiedigen kann, erst dann, tauchen Selbstverwirklichungsbedürfnisse auf usw. Also es gibt sie, die Hierarchie des Bedürfnisse. Das ist aber keine Herrschaftshierarchie, sondern eine natürliche Hierarchie eine Wachstumshierarchie.
Also was Sie da von sich geben ist nun ein wirklich sehr vulgärer Pseudo-Materialismus, der allenfalls einem Großteil der Selbstkonstituierung der Menschen der westl. Hemisphäre in den Moderne-Zeiten entspricht, aber empirisch so nicht als Universalie des Humanums gefunden werden kann. Neben diversen asketischen Praktiken von der Stoa über Ordensleute bis zum Brahmanen-Ideal nehmen Eros, Zärtlichkeit, Sex, Familie, Kinderreichtum, Kunst, Religion u. v. a. m. oft gerade in den Hungerkulturen einen klaren Vorrang vor z. B. Nahrungsaufnahme/ Essen(skultur) bzw. deren Verbesserung ein. Auch das westlich-moderne Selbstentlastungsparadigma "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral" findet sich so nur im kleineren Teil und den kürzeren Zeiten der Menschenwelt. Ist aber nicht ganz untypisch für sonst so"inspiriert" vor sich hin schwalmende Wohlstands-Gören ohne sinnvolle Verortung und Halt: Hauptsache man kann die eigene Hanswurstigkeit erstmal allen Anderen auch überstülpen.
"Es ist bezeichnend, dass die einzige Management-Theorie, die je „viral gegangen“ ist und zum „Meme“ wurde, inhaltlich falsch ist."
Nee, mit MT'en kenn' ich mich aus. So wie die B.-Pyr. angeblich viral gegangen ist, so sind es mind. eine handvoll weiterer MTen, - und wie die BP als MT eben auch weitgehend nur in entspr. aufgestellten bzw. impegnierten Kreisen "verbreitet". Dass man Vieles auch außerhalb dieser Kreise finden kann, das mit der BP als MT nahenzu deckungsgleich geht, liegt an den - auch deutlich VOR Maslow, erst recht VOR McDermid aufgetretenen- Moderne-Materialismen seit etwa dem 18. Jh. Nicht zuletzt die Freudsche Topik II postuliert im "Es" schon entspr. Vorgängigkeit/Aprioritäten, trifft aber eben nur auf entsprechend ("selbst"-/vor-) konstituierte Menschen zu.
Ich muß @dos beipflichten. Solch eine Position entspricht einem sehr vulgärern (Pseudo) -Materialismus.
Bestreiten lässt sich der Vorrang der Nahrungsbeschaffung leicht, wer sich nicht mit dem elementaren Vorgang beschäftigen muss.
Die Idealisierung spiritueller Höhenflüge endet spätestens dann, wenn geneigte Pilger ihre milden Gaben einstellen (würden) und das Existenzielle sich unerbittlich bemerkbar macht.
Maslow also hin oder her, erst das Existenzielle, dann das, was das Leben an feinsinnigeren Möglichkeiten bieten kann.
"Maslow also hin oder her, erst das Existenzielle, dann das, was das Leben an feinsinnigeren Möglichkeiten bieten kann."
Ja, das ist die Kernbotschaft von Maslow.....
Das hat weder mit Vulgerismus noch mit Materialismus zu tun. Es beschreibt einfach nur eine Bedürfnishierarchie. Ausnahmen bestätigen die Regel......
Ja, an der Rede von den "Pilgern", "milden Gaben", "sich nicht mit der Nahrungsbeschaffung befassen müssen" etc. sieht man die Weltferne dieser Vulgärmaterialisten, - gegen die gar nicht soviel spräche, würden sie ihr ja mit einiger Legitimität ausgestattetes Hanswurstsein nicht zum Paradigma für Alle erklären.
Ich wiederhole zum 3. o. 4. Male die Erfahrungen anderer, die z. B. als "Entwicklungshelfer", aber auch in zig anderen "Rollen" auf sog. "Hungerkulturen" in Afrika u. andernorts gestoßen sind. Man trifft auf Familien, deren Eltern maximal abgemagert sind, die vor kurzem ein o. mehrere Kinder an den Hunger verloren haben, der Rest läuft mit aufgeblähten Hungerbäuchen herum. Was machen gar nicht so wenige dieser Leute, wenn andere, Weiße o. Farbige, bei ihnen vorbeikommen? Sie nötigen diese, von dem viel zuwenigen an Nahrung, das sie noch haben, zu essen, - sie verrichten ihre relig. Pflichten, fertigen tradit. Kunst an usw.
Erst informieren, dann bellen......
https://de.wikipedia.org/wiki/Maslowsche_Bedürfnishierarchie
Ja warum beherzigen Sie dann Ihren Rat nicht? SIE haben hier doch zuerst rumgebellt.
Anyway, mit etwas Glück lässt sich vlt. das (wie alles Recht ...) RELATIVE Recht (=Zulassung, Duldung) auf ein gewähltes, "bestimmtes" Bedürfnis-Apriori vor den harschen Moralen vergangener Zeiten u. anderer Kulturen aus den Materialismen der westl. (Post- u. Post-Post) Moderne in die neuen Global-Zeiten retten.
pk4766
Aufhören rumzuschwurbeln : Wenn ich nichts zum fressen habe sind mir all Eure geistigen Ergüsse scheißegal (fullstop)
"entmenschlichte"? KZ-Häftlinge, kranke und verzweifelte Pflegeheiminsassen, die keinen Sinn mehr sehen und Asketen.
Für Sie anscheinend irgendwie alles dasselbe, womit man dann seine abstruse Weltsicht zu untermauern versucht, oder?
Wer mag das für alle diese Menschen entscheiden, fragen Sie ernsthaft? So, als ob sich die von wirklich Entmenschten in Todeslager verfrachteten oder die dahinsiechenden Kranken sich das selbst ausgesucht hätten, sich quasi dafür "entschieden" hätten.
Machen Sie das eigentlich absichtlich (oder eher unbewusst?) hier mit solchen Aussagen provozieren zu wollen?
"Hungerkulturen"
Ja, ne, is kla man. (Be-)Nennen Sie doch mal eine Volksgruppe, die willentlich hungern (will) und sich stattdessen lieber mit "traditionaler Kunst" (sic!) beschäftigt.
Und setzen wir das dann ins Verhältnis, zu den 15.000 Kindern, die jeden verschissenen Tag wegen Nahrungsmangels krepieren müssen!
Und Sie echaufieren sich (ernsthaft?) über "Vulgärmaterialisten"?
Die von Ihnen erwähnte Erfahrung(-statsache?) dass es Menschen gibt, die auch im Elend noch an andere oder Gott glauben (können), besagt doch nicht, dass dieses Elend gewollt oder gar gewählt ist.