Trügerische Luftnummer

Alltagskino Mikael Krogerus weilt immer noch in einem Ferienhaus in den Berner Alpen. Ohne Handyempfang. Aber mit riesiger DVD-Auswahl. Was will ihm der Besitzer damit sagen?

Was habe ich gesehen?Con Air (1997), Laufzeit: 117 min, Regie: Simon West.

Warum habe ich es gesehen?

Aufmerksame Leser wissen, dass ich mich derzeit in einem abgelegenen Ferienhaus in den Berner Alpen befinde. Abgelegen ja, aber nicht unzivilisiert. Denn das Ferienhaus verfügt über eine absurd aufwendige DVD-Projektor-Anlage, die in einem diametralen Verhältnis steht zu der Tatsache, dass man hier oben kaum Handyempfang hat. Neben der Leinwand stapeln sich mannshoch DVDs. Eine kleine Auswahl: Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen?, Ein Quantum Trost, Notting Hill, Space Invaders, fast alle Belmondo-Filme, Indiana Jones IV, Emma, Tim und Struppi (die komplette Edition).

Nicht unähnlich Bücher- und Platten-, so verraten auch Filmsammlungen eine Menge über ihre Besitzer. Wovon zeugt die Zusammenstellung des eigentümlichen Ferienhauseigentümers? Ist sie lieblos? Willkürlich? Mainstream? Oder verhält es sich umgekehrt: Denkt er, ich sei simpel? Versteckt sich hinter der Auswahl eine geheime Botschaft? Ist sie vielleicht das Ergebnis einer empirischen Untersuchung und spiegelt den typischen Filmwunsch eines typischen Ferienhausmieters? Ich entschied mich für Con Air.

Worum geht es?

Ein Transportflugzeug soll 20 gemeingefährliche Verbrecher in ein Hochsicherheitsgefängnis überführen: Kinderschänder, Massenmörder, Massenvergewaltiger, hollywoodtypische kongeniale Bösewichte – und: einen Guten, den völlig zu unrecht acht Jahre inhaftierten Ex-Elitesoldat Cameron Poe (Nicolas Cage, mit – Achtung, ein Hinweis! – Jesusfrisur). Die Bande übernimmt das Flugzeug, ein comic-hafter FBI-Agent (John Cusack) die Verfolgung. Anstatt das Flugzeug abzuschießen, kommt es zu einem völlig wahnsinnigen, einstündigen Actionfinale, bei dem am Schluss die Maschine in einem Casino in Las Vergas landet und alle bis auf Cage, einem Diabeteskranken, einem Transvestiten und einem Pädophilen sterben. Naja.

Was bleibt?

In der Nacht danach träumte ich wild von einer Gruppe Pädophiler; meine Frau und ich sollten sie resozialisieren. Nach einer aufreibenden Therapiesession (in Ansätzen erinnerte es an Gestaltherapie; wir malten mehr als wir sprachen), hatten die Gefangenen Freigang. Niemand kam zurück.

Und ein wenig ist es das, was auch von Con Air zurückbleibt: vergebene Liebesmüh. Sämtliche Stars der späten 1990ern sind dabei (Malkovich, Buscemi, Cage, Cusack, Ving Rhames, um nur einige zu nennen), und ich bin mir sicher, dass sich Simon West wirklich viel Mühe gegeben hat, aber irgendwie hat es nicht geklappt. Der Film ist zu laut, zu ähnlich seinen Vorgängern, hat zu viele unlogische Plotwendungen. Er ist rassistisch (die Schwarzen sind alle drogensüchtig, gewalttätig oder nette Opfer), er ist sexistisch (Frauen tauchen nur auf als liebende Ehefrauen oder Vergewaltigungsphantasien), er ist homophob (ein super-klischierter Transvestit ohne Funktion für den Plot ist mit von der Partie), vor allem aber ist der Film eines: zu wenig überraschend. Obwohl ich schon mehr als zweihundert solcher Filme gesehen habe und meine, ich sei schmerzfrei, habe ich von Con Air mehr erwartet.

Diese Person wäre ich gern:

Steve Buscemi, der den Kinderkiller gibt. Er hat eine schöne Szene, in der er seelenruhig die Aggression der Hijacker analysiert (Kindheitstrauma) und dann übergangslos von seinem letzten Kindermord erzählt („Ich trug ihren Kopf vier Tage bei mir…“).

Was sehe ich als nächstes?Lexusdarkride

Unser Kolumnist Mikael Krogerus sieht sich jede Woche einen Film an manchmal sogar eine komplette Serie oder ein ganzes Sport-Turnier. Vergangene Woche stimmte er sich auf den Bergurlaub ein, mit Kevin MacDonalds Dokudrama Sturz ins Leere.

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