Uns Louis

Fan Warum nur lässt der FC Bayern München niemanden gleichgültig – oder was das Verhältnis zu den Münchnern mit dem Dasein an sich zu tun hat

Bis vor kurzem gab es nur vier Arten sich dem FC Bayern gegenüber zu verhalten. Man konnte ihn lieben (der Fan), man konnte ihn immer dann lieben, wenn er die Champions-League-Vorrunde überstanden und sich wieder von ihm abwenden, wenn er ausgeschieden war (der Pragmatiker), man konnte ihn klammheimlich unterstützen (der heimliche Liebhaber) und man konnte ihn mit einer Leidenschaft und Häme verabscheuen, die an Hass grenzte (der Bayern-Hasser). Gleichgültige gab es nicht.

Bayern-Hasser unterstellen den Bayern oft großkapitalistisches Gebaren, Arroganz, pures Glück. Dieser Hass gab dem Alltag eine Struktur, ähnlich wie das Lästern über deutsche Politiker oder das Lamentieren über Boni-Zahlungen. Aber was steckt hinter dem Hass? Ist es die durchaus sympathische Verbrüderung mit den so genannten Kleinen, in deren Chancenlosigkeit man sein eigenes mittelmässiges Dasein widererkannte und eine daraus folgernde Abneigung gegen einen Club, der all das verkörpert, womit man selber hadert (Großkapitalismus, Selbstvertrauen, Glück)? Ist es irgendeine schlecht sublimierte Kränkung aus der Kinderzeit, als man vom Klassengrößten beim Völkerball vorgeführt wurde? Oder ist es eine biografisch bedingte, oft geographisch erklärbare Liebe zu einem anderen Verein (Nürnberg etwa), dessen Antipode nun mal der FC Bayern ist?

Kuscheltier statt Hassobjekt

Man wird es wohl nie erfahren, denn in dieser Saison ist dem Niederländer Louis van Gaal etwas gelungen, was schier unmöglich schien: er hat aus einem Hassobjekt ein Kuscheltier gemacht. Das ist in jeder Hinsicht beachtenswert, denn van Gaal verkörpert im Prinzip all das, was man an Bayern immer gehasst hat. Ein an Egozentrik grenzendes Selbstbewusstsein, eine hochkonzentrierte Arroganz und vor allem: Erfolg. Van Gaal ist der Gegenentwurf zu Jürgen Klinsmann, dem verhinderten Unternehmensberater, der mit so viel Vorschußlorbeeren und grenzenloser Sympathie gestartet war. Durch Ganzheitlichkeit, Sprachkursen und Powerspeeches wollte er die Bayern zu mündigen Spielern erziehen. Van Gaal behandelt seine Stars wie das, was sie, vermutlich, sind: begabte Kinder.

Seit der FC Bayern so herzerfrischenden, supererfolgreichen Offensivfußball spielen lässt (der auch international was hergibt), ist es nicht mehr ganz so leicht, ihn zu hassen. Der Schweizer Psychoanalytiker Ludwig Binswanger skizzierte 1956 die „Drei Formen missglückten Daseins: Verstiegenheit, Verschrobenheit, Manieriertheit“. Der deutsche Philosoph Rainer Paris ergänzte den Dreiklang 2007 in einem Essay um die vierte Kategorie „Bescheuertheit“. Wenden wir die daseinsanalytischen Figuren mal auf die verschiedenen Arten an, sich gegenüber dem FC Bayern zu verhalten.

1. Verstiegenheit (der Fan)

Als verstiegen beschreibt Binswanger die innere Situation, wenn das Gewünschte das Mögliche übersteigt. So erging es lange dem FC Bayern und seinen echten Fans. Echte Fans, das waren jene, die litten wie Schweine, wenn ihr Verein mal wieder die hochgesteckten Ziele verfehlte. Fans, die als E-Mail-Signatur ihre Mitgliedsnummer eintrugen und die sich selbst in linksintellektuellen Kreisen nicht zu schade waren öffentlich zu weinen, wenn Barcelona den Bayern zeigte, was ne Harke ist. Der Inbegriff dieses Fans ist Uli Hoeness selbst, ein hart arbeitender Mann, der so gerne und fast um jeden Preis (35 Millionen für Gomez!) international dazugehören will. Das ständige Ausscheiden im Champions League Viertelfinale erzählte bislang eine andere Geschichte. Die Verstiegenheit ist das Unvermögen, sich selbst gesetzte Ziele zu erreichen. Binswanger beschrieb dieses Problem am Beispiel eines Bergsteigers, der sich in einer Wand verstiegen hat. Die Höhe seiner Entscheidung hat mit der Weite seiner Erfahrung nicht schrittgehalten. Und nun kann er – in der Wand – weder vor noch zurück, aber auch nicht aufhören. Bayern kam nicht weiter in Europa, konnte aber gleichzeitig die selbstgesetzten Ziele nicht zurückschrauben. Laut Binswanger kann der Bergsteiger nur durch fremde Hilfe wieder festen Boden unter den Füssen gewinnen. Diese fremde Hilfe ist in Form von van Gaal aufgetaucht. Völlig unabhängig davon, wie das Finale in Madrid ausgehen wird: Van Gaal erlöste die echten Bayern Fans von der Angst, dass es das, wovon sie träumen, vielleicht nicht gibt.

2. Die Verschrobenheit (der Hasser)

Unter Verschrobenheit versteht Binswanger Personen, denen der volle Einsatz verunmöglicht ist durch die „hartnäckige, engstirnige, peinlich-konsequente Verfolgung eines Prinzips“. Dadurch verliert die Person die Freiheit, in jeder Situation etwas anderes, „aber immer das Richtige zu tun“. Diese Beschreibung trifft auf die Bayern-Hasser zu. Hinter ihrem Hass steht Prinzipientreue und, mit Binswanger, die Unfähigkeit, die eigene Meinung zu revidieren. Der Bayern-Hasser hat es derzeit schwer. Viele sind umgeschwenkt. Der Autor dieser Zeilen hat, kein Witz, das Weiterkommen der Bayern gegen Manchester unter einer begeistert jubelnden Menschenmenge in einer links-alternativen Kneipe erlebt. Hinter an der Bar saßen ein paar griesgrämige Bayern-Hasser. Vielleicht hätten sie gern auch mal die Arme hochgerissen. Man sah ihnen an, was sie dachten: die fetten Jahre sind vorbei.


Als wesentlich erweist sich bei dieser Kategorie das „angsterfüllte, verzweifelte Nicht-Selbstseinkönnen“ zusammen mit der „Überbetonung eines Vor-Bilds zur Verdeckung der Heimatlosigkeit, Weltunsicherheit und Bedrohtheit“. Hinter dieser Beschreibung steckt der heimliche Bayern-Fan, der sich nach außen als St.Pauli-Anhänger gibt („Überbetonung eines Vorbilds zur Verdeckung der eigenen Weltunsicherheit“), der aber zuhause in Bayern-Wäsche schläft und „angsterfüllt, verzweifelt“ sein Fan-Sein verdeckt. Ein unangenehmer, bemitleidenswerter Zeitgenosse, der sich sogar in diesen Stunden noch nicht völlig als Fan outet, aus Angst, man würde seine Leidenschaft als „uncool“ betrachten.

4. Die Bescheuertheit (der Pragmatiker)

Bescheuertheit ist laut dem deutschen Soziologen Rainer Paris „Verstiegenheit hoch zwei“. Temporäre Bayern-Fans, die nun angesichts der historischen Chance, dass die Münchner das Triple holen, plötzlich laut davon reden, dass „die einfach toll spielen“, sind die wohl am heftigsten wachsende Gruppe. Es sind die gleichen Leute, die während der WM 2006 begeistert waren „von der Stimmung“ und fähnchenschwingend vor Kneipen standen. Es sind die gleichen, die sich spätestens wenn die Bayern nach dem Sommer in ein Leistungsloch fallen von dem Verein wieder abwenden werden. Darf man über solche Leute lästern? Nein. Letztlich ist der überwundene Bayern-Hass nichts anderes als, die etwas esoterische Erkenntnis, dass Freude stärker ist als Mißgunst.

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