Verkatert von der Großschanze

Alltagslektüre Für alle, die Skispringen als irrste, aber interessante Extremsportart schätzen: Mikael Krogerus liest die Autobiografie des finnischen Ausnahmeathleten Janne Ahonen

Was habe ich gelesen?Königsadler, Janne Ahonen und Pekka Holopainen

Seitenzahl: 280 Seiten.

Amazon-Verkaufsrang:62

Warum habe ich es gelesen?

Musste kurzfristig ein Porträt über die finnische Skisprunglegende Janne Ahonen machen – das Buch erzählt mehr über ihn als er vermutlich selbst weiß. (Der Stapel der Bücher, die ich mir vorgenommen habe zu lesen und dann aber nicht oder nicht zu Ende las, wächst bedrohlich).

Worum geht es?

Janne Ahonen war der erfolgreichste Skispringer der vergangenen 15 Jahre. Hatte alles gewonnen – bis auf olympisches Gold – dominierte diese irreste aller Sportdisziplinen, neben der „Extremsportarten“ harmlos wirken wie Kindergeburtstage. Dann, plötzlich, es war das Jahr 2008, trat Janne Ahonen zurück. Es war ein Schock für Finnland und ein Fest für die Konkurrenz. Gerade mal zwölf Monate konnte Janne Ahonen sich still halten, dann kündigte er schon wieder sein Comeback an, um in diesem Winter endlich olympisches Gold zu holen. Im Frühherbst, unmittelbar vor seinem Comeback, überraschte Ahonen erneut, diesmal mit einer schonungslosen Autobiographie: „Königsadler“.

In dem Buch, geschrieben von dem brillanten finnschen Sportjournalisten Pekka Holopainen, erfuhr man Dinge, die man lieber nie gewusst hätte. Auf 300 Seiten wird Ahonen – ein Vorbild, ein braver, schweigsamer Familienvater, ein konstanter, kontrollierter Vollprofi – komplett dekonstruiert. Geschichten, die irgendwie in seiner langen Karriere nie an die Öffentlichkeit gerieten, plaudert er hier ohne Hemmungen aus: Wie er völlig verkatert von der Großschanze in Planica springt und 240 m weit fliegt – Weltrekord! –, aber schwer stürzt und dabei seinen Helm zertrümmert. Als Sanitäter ihn in Krankenhaus bringen wollen, weigert er sich und lässt sich erst 48 Stunden später in Helsinki behandeln. Weil er Angst hatte, sie würden seinen Restalkohol im Blut entdecken.

Dann die Horrorgeschichten über seine Hungerkuren (nur 200 kcal täglich, kein Wasser, nur Kaffee – so nahm er in drei Wochen 8 Kilo ab und kam auf sein Kampfgewicht: 65 Kilogramm bei 1.84 m Länge). Beim Lesen jeder Seite fürchtete man, Janne Ahonen würde auch zu einem Matti Nykänen mutieren können, jenem großen finnischen Skispringer, der seit 20 Jahren nur noch durch Messerstechereien, Alkoholismus und Gefängnisaufenthalte von sich Reden macht.
Aber am Ende des Buches hat man den Eindruck, dass Janne Ahonen sicher ein wenig verrückt ist, aber letztlich einfach ein großartiger Sportler, der es sich nicht nehmen lässt, zu Rauchen, Spaß zu haben und trotzdem großartige Erfolge zu feiern. Dass seine Frau, dies nur nebenbei, sich Null für seinen Sport interessiert, wirft ein interessantes Licht auf die Gleichberechtigung in Finnland.

Was bleibt hängen?
Sportlerbiografien sind meist Abrechnungen oder Heldengesänge. Holopainen aber, eigentlich Reporter beim Klatschblatt Ilta-Sanomat, gelingt eine genaue, feinfühlige, hartnäckige aber nie unangenehm intime Zeichnung eines der größten Athleten der vergangenen 20 Jahre.


Wie liest es sich?
Wenn man sich, wie ich, für Skispringen interessiert: wie der Sportteil einer guten Tageszeitung. Wer sich nicht dafür interessiert, sollte unbedingt die Finger davon lassen.

Das typische Zitat
„Janne macht am Schanzentisch, was er will. Andere machen nur, was sie können. Aber das hängt eben vom persönlichen Wagemut ab und von nichts anderem. Die Handbremse ist entweder angezogen oder sie ist es nicht. Bei Janne ist sie nicht angezogen“, behauptet Mika Kojonkoski, Trainer der finnischen Nationalmannschaft zwischen 1997 und 2001.

Was lese ich als nächstes?
Mach dieses Buch fertig von Keri Smith

Die Alltagslektüre: In seiner Kolumne unterzieht Freitag-Autor Mikael Krogerus jede Woche ein Buch seinem persönlichen Lese-Check. Zuletzt: Sieben Jahre von Peter Stamm

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