Was hätte Reinhold Messner getan?

52 Filme - 52 Wochen Unser Filmkolumnist Mikael Krogerus macht Ferien in den Alpen. Deshalb schaut er das Bergsteiger-Drama "Sturz ins Leere". Und das macht ihn wirklich fertig

Was habe ich gesehen? Sturz ins Leere (2004), Laufzeit: 104 Minuten, Regie: Kevin Macdonald.

Worum geht es?

Zwei Briten wollen einen Berg in den peruanischen Anden besteigen. Und zwar von der Nordseite, einer 2.000 Meter hohen steilen Eiswand. Hawking, eine Person, den die beiden Kletterer kurz vorher kennengelernt haben, entscheidet sich spontan, die beiden bis zum Basislager zu begleiten. Eine Entscheidung ungefähr so verhängnisvoll, wie mit Christiane F. 1979 ins Sound zu gehen. Egal. Hawking bleibt zurück im Lager. Die beiden anderen erreichen den Gipfel, aber 80 Prozent aller Unglücke passieren auf dem Abstieg. Der eine, Simpson, stürzt und bricht sich das Bein, hängt in einer Gletscherspalte. Der andere, Yates, kann ihn kaum halten und nach mehrstündigem Kampf gegen die Schwerkraft und das Gewissen zieht er sein Taschenmesser und durchtrennt das Seil. Sein Kletterfreund stürzt in die Geltscherspalte und in den Tod. Der Clou: Er stirbt nicht. Irgendwie kämpft er sich durch die Gletscherspalte. Dehydriert, halbtot, mit zertrümmertem Schienbeinknochen und keiner Chance auf Rettung. Irgendwann durchbricht er die Eisdecke und ist raus aus der Spalte. Jetzt beginnt die Hölle erst richtig: Im gleißenden Sonnenlicht – ohne Wasser – zieht er sich selbst über den Gletscher. Er entscheidet sich zu sterben. Eine Woche später taucht er mehr tot als lebendig im Basislager auf.

Warum habe ich ihn gesehen? Ich mache eine Woche Ferien in den Berner Alpen.
Was bleibt?

Eine ganze Menge. Wie geht das? Warum hat er nicht aufgegeben? War es richtig von Yates, seinen Kletterkumpel zurückzulassen? Was hätte er sonst machen sollen? Mit ihm sterben? Warum? Warum nicht? Was hätte Reinhold Messner getan? Der Film ist stellenweise schwer zu ertragen. Simpsons Schmerz. Yates anhaltende Gewissensbisse. Simpson sagt natürlich, er hätte es auch so gemacht. Aber das ist es nicht, was Unbehagen bereitet. Was einen wirklich fertigmacht ist die Erzählung von Simpson. Er sagt: „Ich war ein Nichts“. Man schaut sich diesen Mann an und denkt: Du warst in der Hölle. Dann denkt man: Es gibt sie also.

Wie ist der Film?

Es ist ein Dokudrama. Zu 50 Prozent erzählen die beiden Protagonisten Simpson und Yates ihre Erinnerungen und zu 50 Prozent sehen wir nachgestellte Szenen am Berg. Furchtbare, angsteinjagende Szenen, die einem jede Lust auf alpine Abenteuer nehmen. Trotzdem sind die Erzählstrecken viel schlimmer. Weil sie echt sind. (Man sollte, wenn möglich den Originalton hören. Aus mir unerklärlichen Gründen klingen die Synchronsprecher, als seien sie B-Figuren in Der Prinz von Bel Air).

Ist es ein guter Film?

Ich kannte das Buch Touching The Void, Simpsons Erinnerung an die Katastrophe, das die Grundlage für den Film bildete. Es ist nach Into Thin Air von Jon Kracauer das beste Bergbuch, das ich kenne. Der Film war gut. Ungefähr so gut, wie Der Name der Rose als Film ist, wenn man das Buch nicht kennt.

Diese Person wäre ich gern:

Wenn überhaupt: Hawking. Vier Tage sitzt er und wartet. Dann kommt Yates, halbtot, und sagt: „Simpson ist tot“. Trotzdem bleiben sie noch eine Woche. In der Nacht vor ihrem Aufbruch hören sie Hilferufe, es ist der mehr als tote Simpson. Während Simpson und Yates bald wieder kletterten, gehe ich davon aus, dass Hawkings bis heute die Lust vergangen ist.

Was sehe ich als nächstes?

Etwas Harmloses.

Unser Kolumnist Mikael Krogerus sieht sich jede Woche einen Film an manchmal sogar eine komplette Serie oder ein ganzes WM-Turnier. In der letzten Woche hat er ein paar Filme aus der neuen -Filmothek gesichtet.

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