Boxsport Früher war Boxen mal ein faszinierender Sport, heute ist er zur Farce verkommen. Und wer ist schuld daran? Die Deutschen. Die Klage eines wahren Fans
Boxen ist die primitivste Form des Zweikampfs: zwei Männer, fast nackt, kämpfen gegeneinander in einer erleuchteten Arena, eingesperrt wie wilde Tiere in einem seilumspannten Quadrat. Obwohl Boxen wie jede Religion ein komplexes Regelwerk bereithält, lässt es sich in einem Satz zusammenfassen: Zwei Leute steigen in den Ring, und nur einer wird ihn als Sieger wieder verlassen.
Dass dieser Sport zu Gewalt verleitet, ist Unsinn. Wer schon einmal einem Match beigewohnt hat, weiß, dass die Gewalt im Ring zwar faszinierend, nicht aber inspirierend ist. Denn ein Boxkampf handelt mehr von Masochismus als von Sadismus. Mehr von Niederlagen als von Erfolgen. Als Muhammad Ali nach seinem epischen 14-Runden-Sieg gegen Joe Frazier im „Thrilla von Manila“ sagte, der K
gte, der Kampf sei ein Erlebnis gewesen, „das dem Tod am nächsten kommt“, dann war das keine Aussage, die man am eigenen Leibe überprüfen wollte.Pein und PeinlichkeitenWas genau macht den Reiz des Boxens aus? Vielleicht ist es die Erinnerung an Situationen, in denen wir uns ungerecht, unfair, würdelos behandelt fühlten und in denen wir den Wunsch verspürten, einer Person ins Gesicht zu schlagen. Vielleicht ist es die Aussicht, dass in jedem Boxkampf – anders als im Leben – die Möglichkeit besteht, dass der Außenseiter durch einen glücklichen Treffer siegt. Eine Möglichkeit, am schönsten beschrieben in den Trainerworten: „They all go, if you hit them right“ – die fallen alle um, wenn du sie nur richtig triffst. Und vielleicht liegt der Reiz in der Verruchtheit, die das Boxen umgibt, die es zum Rotlichtbezirk unter den Sportarten macht.Von dieser Faszination ist heute nicht mehr viel übrig. Die Gegenwart des Boxens ist, genau genommen, eine Katastrophe. Die Nacht, als dieser Sport endgültig seine Würde verlor, war der 20. Dezember 2008. Der groß angekündigte Schwergewichts-Kampf zwischen dem für den deutschen Promoter Wilfried Sauerland boxenden Russen Nikolai Walujew und dem US-Amerikaner Evander Holyfield fand in Zürich statt. Schwergewicht heißt: die Boxer wiegen mehr als 90 Kilogramm. Wer gewinnt, ist der stärkste Mann der Welt. Walujew war 2,13 Meter groß und wog 150 Kilogramm. Er war der größte und schwerste – manche sagen: untalentierteste – Schwergewichtsweltmeister, den es bisher gab. Evander Holyfield war mal Anfang der neunziger Jahre der beste Boxer der Welt gewesen. Zum Zeitpunkt des Kampfes hingegen war er 46 Jahre alt und wog 44 Kilo weniger als Walujew – was eigentlich gleichbedeutend mit einer K.O.-Niederlage hätte sein müssen. Holyfield aber verprügelte den Russen nach allen Regeln der Kunst, wenn auch in einer, seinem Alter geschuldeten, lächerlich zeitlupenhaften Langsamkeit. Dass Holyfield Walujew verdrosch, war eine Sensation – die noch übertroffen wurde von der Entscheidung der Punktrichter, den Sauerland-Schützling Walujew dennoch zum Sieger zu erklären. Es gab Proteste, namhafte Boxer weigerten sich in Deutschland zu boxen, es war von Schiebung die Rede. Was im Tumult unterging: Keiner der beiden hatte den Titel verdient. Der Gedanke, dass Walujew nun denselben Titel innehatte wie einst Muhammad Ali, berührte peinlich.Was also war hier passiert? Um zu verstehen, warum der Boxsport zur Farce verkommen ist, muss man wissen, dass es keine eindeutigen Weltmeister gibt. Internationales Boxen ist aufgeteilt in vier Anbieter: WBA, WBC, IBF, WBO. Ein Weltmeister teilt sich also im schlimmsten Fall den Titel mit drei anderen. Nur selten ist jemand Meister aller Klassen. Und genau darin liegt das Problem: Weil sich Weltmeister gut vermarkten lassen, organisieren die mächtigen Boxpromoter nicht Kämpfe, die den Stärksten aller Klassen ermitteln sollen, sondern eher Kämpfe, in denen der Champion seinen Titel gegen einen unterlegenen Gegner verteidigt und seine Bilanz – am besten durch einen K.O.-Sieg – verbessert. Statistiken wie „36 Siege, davon 25 durch K.O, keine Niederlagen“ sind noch immer der beste Werbespruch, um Laien von der Unverwundbarkeit eines Boxers zu überzeugen. Man kann diese Bilanz auch anders lesen: ein Boxer, der in seiner gesamten Karriere keinen einzigen ernsthaften Gegner hatte.Das ist aber nur die Voraussetzung, nicht der Grund, warum das Boxen zu einer Zirkusshow pervertiert ist. Bei den tieferen Ursachen spielt ausgerechnet Deutschland eine gewichtige Rolle. Denn seit einigen Jahren hat sich das Gravitationsfeld des internationalen Boxens verschoben: von den USA nach Deutschland. Deutschland ist zu einer Art Transit- und Trainingsland für die talentierten Boxer aus den ehemaligen Sowjetstaaten geworden.Deutschlands Aufstieg als Boxnation ging ein Zweikampf zwischen dem Spielhallenbesitzer Hans-Peter Kohl und dem Wuppertaler Wilfried Sauerland voraus. Den beiden Promotern gelang der Geniestreich, das deutsche Fernsehen für Boxen zu begeistern. Und so traten Anfang des Jahrtausends die besten Boxer der Welt plötzlich unter deutscher Fahne auf. Vor Millionen von begeisterten TV-Zuschauern. Parallel zu dieser Entwicklung stagnierte das öffentliche Interesse am Boxen in den USA, weil die aufsehenerregenden Boxer ausstarben und das Boxen in der Pay-TV-Diaspora verschwand und somit für viele Zuschauer unerreichbar wurde.Liebschaft oder LiebeDie „deutschen“ Talente sind junge, hungrige Männer aus den ehemaligen Sowjet-Staaten. Sie erhalten etwas über 3.000 Euro pro Monat, Krankenversicherung, Trainingsmöglichkeiten. Die eingedeutschten Boxer kämpfen ungefähr so, wie die Nationalmannschaft Fußball spielt: pragmatisch, konzentriert, stark dort, wo der Gegner schwach ist. Das ist nicht schön anzusehen. Aber sehr erfolgreich. Und genau hier liegt das Problem: Promoter und Zuschauer haben sich daran gewöhnt zu gewinnen. Sie haben sich so sehr daran gewöhnt, dass sie vergaßen, was einen guten Boxkampf ausmacht: zwei gleich starke Gegner.Noch deutlicher wird das Problem im Mittelgewicht, bei dem vielversprechendsten deutschen Boxer im Sauerland-Stall: dem gebürtiger Armenier Arthur Abraham. Seine Markenzeichen: kompakte Doppeldeckung, wenig risikobereit, eindimensionales Schlagrepertoire, tödlicher Punch. Bei seinem letzten Kampf am 27. Juni boxte er gegen Mahir Oral. Dessen Leidensfähigkeit wurde hinterher von der Presse als Nehmerqualität hochgeschrieben, tatsächlich erinnerte sein Unwille aufzugeben eher an Selbstgefährdung. Ein ungleiches, fast unfaires Duell. Wie ein Erwachsener, der gegen ein Kind boxt. Es spricht für die Abwesenheit von jeglichem Boxverständnis der Fans, dass sie nach Abrahams Sieg feierten. Denn der Kampf offenbarte vor allem dessen große Schwäche: er braucht sehr lange, um in den Kampf zu kommen. Und wenn er angreift, ist seine Deckung ohne Not offen. Ein geschickter Boxer hätte ihn auskontern können.Felix Sturm wäre so ein Boxer. Der gebürtige Bosnier ist talentiert, schnell, vielseitig. Wenn Abraham eine Maschine ist, ist Sturm ein Künstler. Die beiden gehören zu den besten Mittelgewichtsboxern der Welt. Beide kommen aus Deutschland. Beide wollen gegeneinander boxen – warum, verdammt nochmal, findet der Kampf nicht statt? Abrahams Promoter sagen, die Sturm-Manager wollten den Fight verhindern, aus Angst, die Bilanz ihres Schützlings zu versauen. Inzwischen ist Abraham ins drei Kilo schwerere Supermittelgewicht gewechselt und will dort beweisen, dass er jeden schlagen kann. Es wirkt wie der Versuch, mit einer neuen Liebschaft eine alte Liebe zu überwinden.Aber warum forderten die Fans nicht den Kampf Sturm gegen Abraham? Warum freuen sich die champagnerfeuchten VIP-Bereiche, wenn Abraham acht Runden braucht, um den hilflos überforderten Oral zu besiegen? Warum lassen sie sich von einem Tanzbären wie Walujew verführen?Anders als in den boxaffinen USA, wo die Fans immer einen Fight der beiden besten Boxer fordern, scheint es hierzulande, als wollten die Zuschauer nicht einen guten Kampf sehen, sondern einen Deutschen, der den Gürtel gewinnt.
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