Ich bin nicht vom Land. Ich habe nie eine Kuh gemolken. Ich habe auch keine Erinnerung daran, dass meine Eltern jemals mit uns Brot gebacken, Heu geerntet oder Scheunendächer umgedeckt hätten. Und doch verspüre ich mit zunehmendem Alter eine diffuse Sehnsucht nach etwas, das ich nie wirklich gekannt habe: Waldboden. Knarrende Holzdielen. Brustwickel. Wirsing-Auflauf. So Zeugs halt. Meine Sehnsucht nach dem einfachen Leben ist nichts Originelles, ich kenne viele, die ähnlich denken wie ich; mit der Eröffnungsfrage „Haben Sie schon mal überlegt, aufs Land zu ziehen?“ machen Sie derzeit in einer Dinnerrunde nichts falsch. Vielleicht hat es auch etwas mit den Kindern zu tun.
Kindern gefällt es in der Natur. Es ist nicht ganz klar, warum das so ist, aber Kinder langweilen sich im Allgemeinen draußen weniger als drinnen. Man muss kein Gerald-Hüther-Apostel sein, um festzustellen: Kinder können sich mit ein paar Kieselsteinen und einem Weiher länger beschäftigen als, sagen wir, mit dem Star Wars TX-130 TCW Republic Fighter Tank. Wenig Aufsicht und ein paar Kieselsteine – damit können Kinder auch im eventlastigen 21. Jahrhundert viel anfangen. Und so kam es, dass ich mit meinen beiden Kindern an einem Sonntag zum „Bio Hoffest 2012“ ging. Auf der Suche nach der Natur in der Stadt.
Wurst fällt nicht vom Himmel
Unter dem Motto „Bio mit allen Sinnen erleben“ hatten diverse Landwirte, Imker, Naturschutzverbände, Grünstromanbieter und Ökobanker versucht, den Potsdamer Platz in Berlin in einen großen Bauernhof zu verwandeln. Das Landbild, das hier vermittelt wurde, lässt sich grob so umreißen: Kühe sind nicht lila, Mohrrüben wachsen nicht im Edeka, Wurst fällt nicht vom Himmel. Es gab eine Strohhüpfburg, eine Kinderbäckerei, einen Kräutergarten, mehrere Trecker und kleine Gehege mit lustigen Schweinen und schönen Hühnern. Ein beleibter Landwirt versuchte schreiende Kinder daran zu hindern, zwei Kälber zu streicheln und/oder zu füttern. Um die Eltern kümmerten sich die Flyerverteiler an ihren Infoständen („Ei care – zur Förderung des Zweinutzungshuhns“). Es ging um intakte Naturschutzgebiete, regionale Ausflugsziele, um biologisch-dynamischen Anbau und Öko-Strom. Es gab so viel Interessantes, dass man erschöpft erstmal weiterging.
Die Idee des Biohoffests, erklärte ein freundlicher Mitarbeiter der Fördergemeinschaft ökologischer Landbau (FÖL), sei „die Sensibilisierung der Berliner und Berlinerinnen für Bioprodukte aus dem Umland“. Ein wenig unklar blieb, ob sich die Berliner an diesem Sonntag für Bio sensibilisieren lassen. Eine kleine nicht-repräsentative Umfrage unter den Besuchern ergab folgendes Bild: neun von zehn der Befragten gaben an, im Radio von einem Kinderfest erfahren zu haben. Zehn von zehn interessierten sich nicht für Bio und fühlten sich durch das Fest auch nicht angeregt, ihren Lebensmittelkonsum umzustellen. Sechs von zehn verwiesen darauf, dass Bio für sie viel zu teuer sei.
Trotzdem zogen sie alle schnäppchenjagend („Mitmachaktionen allesamt kostenfrei“) von 12 bis 18 Uhr über das Hoffest. Drei von ihnen, nämlich wir, hatten nach Abschluss der Eröffnungszeremonie Lust, die ländlichen Spiele auszuprobieren. Mein Sohn gewann den Gummistiefel-Weitwurf, verlor aber im Schubkarren-Wettrennen. Meine Tochter stürzte sich todesmutig von einem Strohballen-Berg, um dann gutgelaunt beim Wettmelken anzustehen.
Britta Steffen verkostet Säfte
Die Enttäuschung war zunächst groß, als sie feststellte, dass sie nicht an lebendigen Tieren, sondern nur an einem Plastikeuter herumdrücken durfte. Trotzdem melkte sie mit entrücktem Gesichtsausdruck zehn Minuten lang, ehe ein lautes „Hallo, hallo, hallo – es geht wieder los auf der Showbühne!“ uns zum nächsten Event trieb: veganes Burgerkochen mit Björn Moschinski und gleich anschließend Doppel-Olympiasiegerin und Hoffest-Patin Britta Steffen verkostet Voelkel-Säfte! Das Burgerkochen immerhin war ein Höhepunkt. Moschinski ist der Jamie Oliver der Vegan-Szene: Dreadlocks, lässiges Auftreten und kann mit Kindern. Während der Zubereitung hörte kein Schwein zu, aber als die ersten Grünkern-Burger fertig waren, bildete sich vor der Bühne eine Gruppe von 30 oder 40 Kindern, die wie in der Schule die Hand hoben und laut riefen: „Hier! Hier!“ Die Burger, übrigens, schmeckten großartig.
Etwas weiter entfernt von den Infoständen war das Hoffest leider kaum zu unterscheiden vom Hafengeburtstag und anderen schrecklichen Stadtfesten: Fressbuden (Bio-Würste, Bio-Pommes, Bionade), Hüpfburgen, Fußball-Lichtschranken-Schießen-Aktionen und Sprung-Trampoline machten sich Konkurrenz. Es war laut. Es war voll. Es ging um Konsum. Und es nervte unheimlich. Ich fühlte mich betrogen.
So gut mir die Idee gefällt, Bio-Höfe in der Region zu stärken und Kinder an Grünkern-Burger heranzuführen – gibt es wirklich keine andere Art, Menschen zu erreichen, als sie mit „kostenfreien Angeboten“ anzulocken und ihnen Ballone in die Hände zu drücken? Warum muss jedes Produkt, jede Idee, jede Information zum atemlosen Event hochgejazzt werden? Warum ist es ein Erfolg, wenn das Bio Hoffest mehr als 100.000 Besucher vermelden kann, die anschließend doch kein bio kaufen? Wäre es nicht sinnvoller, mit Hilfe einer Zugangssperre bloß 100 Gäste zuzulassen, damit die sich in Ruhe informieren können und ihre Kinder an Plastikeutern herumdrücken dürfen, ohne gleich vom nächsten Event bedrängt zu werden?
Die Gastronomie hat das längst verstanden und setzt auf Langsamkeit. Wo bleibt das Slow Event für Slow Food? Es würde perfekt passen: Bio setzt auf lokale Produkte und nachhaltige Herstellungsweisen, auf Muße bei der Zubereitung und Genuss beim Verzehr. Es liegt auf der Hand, dass also auch die Inszenierung bedächtig sein darf. Denn letztlich fehlte dem Fest, was man in der Stadt am meisten vermisst: Ruhe, Raum und Zeit. Den Kindern hat es trotzdem gefallen. Klar.
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