Zidanes Lachen

Alltagskino Unser Kolumnist schaut dem Fußballer 90 Minuten dabei zu, wie er abwesend herum steht oder auf den Boden rotzt. Weil er "Zidane-Purist" ist, genügt ihm das

Was habe ich gesehen?

ZidaneEin Porträt im 21. Jahrhundert (2005)


Laufzeit: 91 min, Regie: Douglas Gordon, Philippe Parreno.

Warum habe ich es gesehen?
Zinédine Zidane war der schönste Spieler meiner Zeit (ich bin 1976 geboren, er 1972). Nie war der Sport eleganter.

Worum geht es?

23. April 2005, Villareal gegen Real Madrid. Von dem Spiel sieht man wenig, denn alle der 17 für den Film eingesetzten Kameras sind auf Zidane gerichtet. Was erfährt man? Zidane steht während der 90 Minuten viel rum, scheint ins Nichts zu starren, während um ihn herum das Spiel läuft. Ab und an rotzt er auf den Boden, gestikuliert ein wenig, vereinzelt gibt er Anweisungen „Va!, va!“. Mal trabt er, mal geht er, mal lungert er herum wie ein Junkie, der auf seinen Dealer wartet. Insgesamt hat er erstaunlich selten den Ball. Aber wenn! Anfangs zeigt er einen schönen Hackentrick, Mitte des Films tankt er sich eher brachial als elegant auf links durch und spielt einen guten Pass auf Ronaldo. Zidane hat etwas Zen-artiges; eine mönchhafte Aura scheint ihn zu umwehen. Mehrfach meint man, ein mildes Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen. Und dann, wir schreiben ungefähr die 88. Minute, rastet er plötzlich aus, rennt auf einen Spieler von Villaeral zu und versetzt ihm einen Haken. Rote Karte. Die 90-minütige Meditation über den Meister endet mit seinem Rauswurf.

Was sieht man von Zidane?

Nicht viel. In den 90 Minuten gibt es ihn mal von nah, man von fern, mal hat er den Ball, dann wieder nicht. Auffallend: Wie gut man ihn kennt. Die linkische Art, beim Gehen die Fußspitze in den Rasen zu drücken, die markante Nase, an der immer ein Schweißtropfen hängt, die hohen Wangenknochen, die asketischen Gesichtszüge, die Halbglatze – insgesamt scheint mir Zidane vertrauter als mein eigener Vater. Auch auffallend: Wir erkennen das, was er macht – nämlich Fußball spielen – nicht wieder, weil die Perspektive so ungewohnt ist. Der gesamte Film ist frei von kluger Spielverlagerung, packenden Torszene, panischen Befreiungsschlägen; aber auch von Interviews, Analysen, Spielständen, Minutenanzeigen – der Film hat also, mit anderen Worten, nichts mit dem Spiel zu tun, dass uns so über alle Maßen begeistert. Das ist für alle, die auf ein Best-Of des Zidane-Tricks hofften, natürlich eine herbe Enttäuschung. Für Zidane-Puristen wie mich aber ist die Aussicht, ihn 90 Minuten so nah, so intim, so ausschließlich im Bild zu sehen, aufregend wie das Erste Mal.


Was bleibt?

Es gibt einige gute Filme über den Sport und seine Stars. Chariots of Fire etwa, auch Jerry Maguire oder On Any Given Sunday. Selbst Höllentour und Sommermärchen halte ich für sehenswert. Aber keiner ist wie Zidane. Die französisch-kanadische Co-Produktion ist ein aufwändiger Dokumentarfilm, der eher wie ein Rohschnitt wirkt und an der Grenze zum Kunstprojekt steht.

Die beste Szene?

Minuten vor dem Platzverweis scherzt Zidane mit seinem Mitspieler Roberto Carlos, fast 30 Sekunden lang sieht man ihn wirklich herzlich lachen. Ich möchte diesen Gesichtsausdruck in Erinnerung behalten. Es ist das Lachen des Mannes, der im WM-Finale 2006 einen Elfmeter mit nurejewscher Eleganz ins Tor chipte.

Was sehe ich als nächstes?

Im Auftrag des Terrors.

Unser Kolumnist Mikael Krogerus sieht sich jede Woche einen Film an. Manchmal auch eine Mini-Serie. Und manchmal auch den Poker Channel. Vergangene Woche sah er n-tv Livestream Das Wunder von Chile.

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