Klima Durch die Pandemie wird deutlich, was wir in der Klimapolitik lernen müssen: Globale Krisen sind nur lösbar, wenn sich die Gesellschaft am Leben und Kollektiv orientiert
Corona zeigt, dass individuelle Maßnahmen nicht effektiv gegen globale Umwelt- und Gesundheitsrisiken sind
Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images
Die Viruspandemie ist global allgegenwärtig, aber die gesundheitliche, soziale und ökonomische Krise, die sie auslöst, ist nicht die einzige weltweite Krise. Auch die Klimaerwärmung trifft den gesamten Globus mitsamt seines Öko- und Sozialsystems. Wir befinden uns also inmitten von mindestens zwei globalen Krisen. Beide kosten Leben. Beide fordern schnelle Antworten. Was folgt, ist ein Versuch, aus ihrem Vergleich zu lernen. Eines vorweg: Verglichen werden können lediglich die politischen Maßnahmen, die auf die Krisen erfolgen. Die Opfer der verschiedenen Krisen entziehen sich jeglichen Vergleichs. Welche Erkenntnisse lassen sich also aus der Corona-Krise gewinnen – und womöglich auf unseren Umgang mit der Klimakrise übertragen?
1. Wenn wir
1. Wenn wir wollen, dann können wirUnternehmen schalten auf Homeoffice um. Autokonzerne stoppen ihre Produktion. Fabriken schließen. Der Flugverkehr wird eingeschränkt. Länder rufen den Katastrophenfall aus. Donald Trump deklariert den „state of emergency“. Die ganze Welt steht auf der Notbremse. Es scheint, als ob vieles, wofür Klimaaktivistinnen, Umweltverbände und Nachhaltigkeitsforscher schon seit Jahrzehnten kämpfen, plötzlich innerhalb von Tagen – wenn nicht Stunden! – möglich wird. Wenn wir wollen, dann können wir eingreifen, und zwar radikal, um die Corona-Kurve abzuflachen.Gilt das auch für die globale CO2-Emissionskurve? Seit 1990s sind die Emissionen um etwa 60 Prozent gestiegen. Trotz des Pariser Klimaabkommens setzte sich dieser Trend unvermindert fort – bis zur Pandemie. Der „Corona-Effekt“ mache einen Rückgang von etwa 20 Millionen Tonnen CO2 im Vergleich zum Vorjahr aus, vermeldete vergangene Woche der Thinktank Agora Energiewende. Je nach Szenario erhöht das Virus die Reduktion um 30 bis 100 Millionen Tonnen. Im untersten Fall wären die 40 Prozent genau erreicht, im höchsten sogar um fünf Prozentpunkte überschritten.Man sieht, was entschlossene kollektive Antworten auf eine Krise bewirken können. Daher drängt sich die Frage auf: Wollen wir den Klimawandel wirklich angehen, oder tun wir bisher nur so?2. Wir nehmen die Klimakrise noch nicht ernstSchon jetzt sterben Millionen Menschen und Tiere weltweit an extremen Wetterereignissen, Waldbränden, Dürren, Missernten und anderen Folgen von Klimawandel, Umweltverschmutzung und Ressourcenausnutzung. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass allein Luftverschmutzung jährlich 7 Millionen Menschen das Leben kostet. Seitdem es Menschen auf der Erde gibt, sind noch nie so viele Tier- und Pflanzenarten ausgestorben wie jetzt. Als Gegenmaßnahme strengere Regeln zu beschließen, wird meist als unzumutbare Eingriffe in die Freiheit des Individuums und der Marktwirtschaft abgetan.Als Maßnahme gegen Corona hingegen werden Regeln und Freiheitseinschränkungen relativ locker durchgewunken. Es scheint beinahe, als wetteiferten Nationen derzeit darum, wer die strengsten, scheinbar konsequentesten Krisenstäbe führt. Das funktioniert, weil Corona als Krise ernst genommen wird: Die Gesellschaft akzeptiert diese Einschränkungen, um sich nachhaltig zu schützen. Umweltprobleme dagegen werden zwar gerne als Krisen benannt, jedoch nicht als solche behandelt – obwohl Wissenschaftler den Klimawandel langfristig als sehr gefährlich einstufen.3. Postwachstum ist die effektivste KlimapolitikCorona schafft temporär, was jahrzehntelange Klimaverhandlungen zu wünschen übriglassen. CO2-Ausstöße in China haben sich um ein Viertel verringert. Warum? Weil die Industrie herunterfährt. Weil Menschen zuhause bleiben, anstatt zu reisen oder konsumieren. Eigentlich wissen wir längst, dass grünes Wachstum, bei dem das Wirtschaftswachstum angeblich von seinen negativen Umwelteinflüssen abgekoppelt wird, nicht funktioniert. Sowohl die Europäische Umweltagentur, als auch der Weltbiodiversitätsrat IPBES sind sich da einig. In Politik und öffentlicher Debatte ist diese entscheidende Einsicht leider noch nicht angekommen. Weiterhin gilt: Volles Wachstum voraus!Die durch die Corona-Maßnahmen erzwungene Postwachstumswirtschaft könnte eine Wirtschaftskrise mit sich bringen, und schon jetzt stehen Wirtschaftsverbände in den Startlöchern, um Corona-Subventionen einzufordern, damit es nicht zur Rezession kommt. Im Kontext der Klimakrise aber wirkt das Anfeuern von Wachstum so, wie jetzt wilde Corona-Partys zu schmeißen und den Gästen gleichzeitig Vitaminpillen zu verabreichen. Letztere könnten die Virusverbreitung zwar entschleunigen, insgesamt führt die Strategie aber zur Katastrophe. So, wie die Wirtschaft jetzt auf eine Pandemie-Produktion umstellen muss, also Dinge produzieren, die eine unter einem globalen Virus leidende Gesellschaft braucht – so müsste die Wirtschaft auf eine Klimawirtschaft umgestellt werden. Insgesamt weniger und bedürfnis- statt profitorientiert.4. Globale Risiken erfordern kollektive AntwortenCorona zeigt, dass individuelle Maßnahmen globalen Umwelt- und Gesundheitsrisiken wenig entgegensetzen können. Es hilft zwar, wenn sich Individuen die Hände waschen. Nur dadurch lässt sich aber keine Pandemie abwenden – nicht, wenn alle weiterhin zur Schule oder Arbeit müssen. Globale Risiken erfordern kollektives, koordiniertes Handeln. Um das in die Wege zu leiten, müssen unsere gemeinsamen Institutionen – Vereine, Unternehmen und natürlich der Staat – agieren, um sicherzustellen, dass alle mitziehen. Das gilt für Corona, das gilt auch für das Klima.Was bringt es, wenn die, die es sich leisten können, Elektroautos fahren, während die anderen auf ihre Benziner angewiesen bleiben? Was bringt es, wenn manche nachhaltig leben, während die anderen unser kollektiv-verbleibendes CO2-Budget rasant verheizen? Leider sind wir es nicht gewohnt, unser Handeln auf das Gemeinwohl auszurichten. Unser Wirtschaftssystem verlangt, dass wir uns als Konkurrentinnen oder Konsumenten verstehen – als homo oeconomicus. Was Corona uns jetzt veranschaulicht: Individuelle Nutzenmaximierer kommen in Krisenzeiten bestenfalls der Klopapier-Industrie zugute.5. Unsere Verwundbarkeit wächst und ist ungleich verteiltSeit Corona ist uns bewusster, wie verwundbar wir auch an unserem reichen und verwöhnten Zipfel der Welt sind. Extreme Ereignisse vermehren sich im Zuge globaler Erwärmung. Das birgt Risiken für Gesundheit, Nahrungsmittelsicherheit, Wetter und vieles mehr. Christiana Figueres, ehemalige Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), warnt, dass wir vermehrte Krankheitsausbrüche erwarten müssen. Das gilt besonders, wenn wir Klimaziele weiter in die Zukunft verschieben.Ebenso lernen wir, dass Extremereignisse nicht alle gleich treffen. Corona trifft ältere Mitbürger schlimmer als jüngere. Quarantänemaßnahmen treffen den Mittelstand und Selbständige anders als Großunternehmen und Angestellte. Einkommenseinbußen treffen Eigentümer anders als Mieterinnen.Um die sozial extrem ungleichen Folgen von Pandemien und durch die Klimakrise bedingte Unwetter und Naturkatastrophen abzufedern, bräuchte es eine kollektive Lösung für die Existenzsicherung. Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) könnte diese Probleme mildern und dazu beitragen, dass wir grüne Wachstumsmythen hinter uns lassen, um eine effektive postwachstumsorientierte Klimapolitik in die Wege zu leiten. In Zeiten globaler Risiken brauchen wir eine Politik, die es versteht, Vermeidbares wirksam abzuwenden und Unvermeidbares gerecht zu verteilen.
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