Die Welt blickt auf Lampedusa, wo Tausende Flüchtlinge aus Tunesien gestrandet sind und nun in überfüllten Auffanglagern ausharren. Gleichzeitig befinden sich seit dem 25. Januar knapp 300 Flüchtlinge in Griechenland im größten Hungerstreik, den die EU bislang erlebt hat. Dass es zu diesem Streik gerade dort gekommen ist, kann kaum verwundern. Griechenland kennt kein geregeltes Asylverfahren – oft werden Flüchtlinge in Abschiebegefängnisse interniert oder – ohne dass ihr Antrag jemals überprüft wird – sofort abgeschoben. Dürfen sie vorläufig im Land bleiben, droht ihnen Obdachlosigkeit.
Die Hungerstreikenden kämpfen aber nicht nur für eine menschenwürdige Asylpolitik in Griechenland – vorrangig kämpfen sie gegen die „Festung Europa“. Griechenland und Italien liefern Präzedenzfälle für eine europäische Asyl- oder Abschottungspolitik.
Protektionismus statt Solidarität
Nur ein Jahr nach dem Schengen-II-Abkommen von 1990 und der damit verbundenen Entstehung eines europäischen Binnenraums bekannten sich die Mitglieder auch zu einer gemeinsamen Asyl- und Flüchtlingspolitik, mit dem Ziel Europa "als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" zu stärken. Ein einheitliches und solidarisches Asylrecht gibt es jedoch bis heute nicht. Stattdessen konzentrierte man sich im Laufe der Jahre verstärkt auf protektionistische und sicherheitspolitische Belange, besonders auf die Bekämpfung illegaler Einwanderung und des Schlepperwesens. Dabei halfen elektronische Datenbanksysteme (SIS, EURODAC), verstärkte Grenzkontrollen und die Dublin-II-Verordnung.
Diese 2003 eingeführte Regelung sieht vor, dass Flüchtlinge nur noch in dem europäischen Land einen Asylantrag stellen können, das sie bei ihrer Einreise als erstes betreten haben. Dublin-II folgt damit der deutschen Drittstaatenregelung, die besagt, dass Flüchtlinge, die über ein für sie sicheres Drittland eingereist sind, ihr Recht auf Asyl in Deutschland nicht mehr geltend machen können. Für Deutschland bedeuten die Dublin-II-Verordnung und die Drittstaatenregelung, dass ein Recht auf Asyl faktisch abgeschafft ist. Einen Asylantrag stellen darf nur noch, wer direkt mit dem Flugzeug einreist.
Gaddafi kooperiert mit Italien
Länder wie Spanien, Italien und Griechenland dagegen sind mit den ankommenden Flüchtlingen überfordert und müssen auf andere fragwürdige Methoden zurückgreifen. Italien kooperiert zu diesen Zweck mit Libyen. Beide Länder verpflichteten sich 2008 vertraglich, gemeinsam gegen „illegale“ Einwanderung vorzugehen. Italien stellt dazu die Boote, und gemeinsam wird vor der Küste Libyens und in den internationalen Gewässern auf dem Mittelmeer patrouilliert. Boote mit Flüchtlingen sollen an der Abfahrt gehindert, Boote, die schon in internationalem Gewässer sind, zurück nach Libyen geschickt werden. Die Zurückgewiesenen erwartet dort eine Internierung in Auffang- oder besser gesagt Folterlagern. Was mit ihnen passiert, ist ungewiss - Libyen hat die Genfer Flüchtlingskonvention nicht unterschrieben – die Verantwortung für die Internierten liegt allein bei den libyschen Behörden.
Europäisches Grenzschutzkorps
Die EU selbst hat ein System ähnlich dem italienisch-libyschen Muster etabliert. Die „europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ (kurz FRONTEX) kontrolliert internationale Großflughäfen, europäischen Landes- und vor allem Seegrenzen. FRONTEX- Operationen nennen sich Nautilus, Poseidon oder Hera und erfassen unter Umständen den gesamten Mittelmeerraum. In Zusammenarbeit mit den Transitländern sollen dabei die Flüchtlingen daran gehindert werden, das europäische Festland zu erreichen. Den Herkunfts- und Transitländern wird zusätzlich Geld und Personal zur Verfügung gestellt, um Flüchtlingslager und Grenzposten zu errichten.
Dass der europäische Grenzschutz dabei aus dem europäischem Hoheitsgebiet ausgelagert wird, stört kaum jemanden. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass FRONTEX die Zurückgewiesenen auch in unsichere Drittstaaten zwingt. PRO ASYl und Amnesty International machen zusätzlich auf ein weiteres unrechtmäßiges Vorgehen von FRONTEX aufmerksam: Die EU hat die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, die das Zurückweisen schutzbedürftiger Flüchtlinge untersagt. Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt auch für internationale Gewässer, das heißt – auf dem Meer aufgegriffene Flüchtlinge haben das Recht, einen Antrag auf Asyl in Europa zu stellen. Dieses Recht wird ihnen versagt, wenn sie von FRONTEX ohne Prüfung ihrer Schutzbedürftigkeit zur Umkehr gezwungen werden.
Wenn nicht jetzt, wann dann?
Die EU verschreibt sich in ihrer Grundrechtscharta elementaren Menschenrechten und dem Schutz von Flüchtlingen: Die derzeitige Politik hingegen erlaubt FRONTEX Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention, die Genfer Flüchtlingskonvention und das internationale Seerecht.
Angesichts der Situation von Lampedusa wird wieder einmal klar, dass es nicht mehr reicht, nur die Grenzen abzuschotten. Flüchtlingspolitik muss weiter gehen, die gesamte EU sollte sich ihrer Verantwortung für die tunesischen Flüchtlinge bewusst werden. Auch weil Europa den tunesischen Diktator jahrelang geduldet und toleriert hat, ohne Rücksicht auf die Lage der Menschen in Tunesien zu nehmen. Die EU-Staaten können sich jetzt nicht mehr aus der Verantwortung stehlen. Sie müssen sich solidarisch zeigen und vorübergehend Flüchtlinge aus Italien übernehmen.
Doch selbst wenn dies geschehen sollte – mit freiwilligem und sporadischem Beistand im Einzelfall ist es nicht getan. Es ist Zeit für einen Neuanfang - für eine solidarische Asylpolitik, in der die „Lasten“ gleichmäßig zwischen den Ländern verteilt werden.
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