Feministischer Kreisverkehr

Eventkritik Beim "Roller Derby" rempeln sich Rollschuh-fahrende Frauen von der Bahn. Was die dritte Welle des Feminismus damit zu tun hat? Ein Besuch beim Saisonauftakt in Berlin

Wer die Halle der „Arena“ in Kreuzberg an diesem Abend betritt, muss zunächst durch ein langes Spalier: 28 junge Frauen, 56 Rollschuhe – mit einer Laola-Welle wird jeder Zuschauer begrüßt, der zum Roller Derby kommt. Die Spalier-Frauen tragen Netzstrumpfhosen, darüber Hotpants und kurze Röckchen. Sexy, aber auch schräg. Es ist ein schriller Sexappeal, einer mit schwarzen Sternchen, Totenköpfen, Nieten, Tattos, Piercings. Irgendwo zwischen Punk und Rockabilly. Auf den Rückseiten der enganliegenden Oberteile sind Kampfnamen zu lesen: Kata Pulta#18, Elen A.Mok#42, God Tammit#61.

Aus den Lautsprechern schrammeln die Strokes. Die Rollergirls zwinkern den Ankommenden zu, dann drehen sie einige Runden durch die Halle. In wenigen Minuten werden sie sich als Gegnerinnen mit Body-Checks und Blocks von der Rennbahn drängen. Auch als Roller-Derby-Neuling kann man den ersten Eindruck dieses Abends aber nicht missverstehen: Hier geht es um mehr als Sport. Mindestens genauso wichtig ist die Show, das ganze Drumherum.

Fast alles ist erlaubt

Zum Saisonauftakt des Roller Derby in Berlin treten zwei Mannschaften des Berliner Vereins Bear City Roller Derby gegeneinander an: The Fantastic 14 versus The Good, the Bad and the Gorgeous (TBG). Vor dem Anpfiff und nach Abpfiff sind die Teams miteinander befreundet. In den 60 Minuten dazwischen geht es aber zur Sache.

Jeweils vier Spielerinnen einer Mannschaft positionieren sich als „Pack“ hinter einer Startlinie, in geringem Abstand dahinter lauern zwei Jammerinnen; die einzigen Spielerinnen, die Punkte sammeln können. Ein kurzer Pfiff und schon geht es los, die Jammerinnen müssen versuchen, das Pack so oft wie möglich zu überrunden. Das klingt einfacher, als es ist, denn die Mannschaften dürfen so ziemlich alles tun, um die Überholmanöver der Gegner zu verhindern. Body Checks und Blocks bringen die Spielerinnen in voller Fahrt zu Fall, sie drängen sich von der Bahn ab, rasen ineinander, fallen übereinander, stehen wieder auf und rasen weiter. Alle tragen Knie-, Ellenbogen- und Handgelenkschoner, Beißschienen und Helme.

Roller Derby gilt als „Vollkontaktsport“. Bei all seiner Härte ist das Spiel jedoch auch fair, es geht nicht darum jemanden zu verletzen, der Körpereinsatz ist allein taktisch. Ein 50-seitiger Regelkatalog legt fest, welche Angriffe legitim sind, welche verboten. So darf man nicht an der Bekleidung ziehen, kratzen oder mit dem Ellenbogen boxen. Schiedsrichter in der Mitte der Bahn passen auf, dass sich alle daran halten. Ein Roller Derby besteht aus einer Serie von Rennen, die jeweils 2 Minuten dauern. 30 Sekunden Pause, die Spielerinnen werden ausgewechselt und dann geht das Spektakel von vorne los.

„Was macht denn die mit dem goldenen Streifen auf dem Helm? Und warum starten TBG ohne Jammerin?“ Benedikt Cantwell, 33, ist mit seinen Freunden zum ersten Mal bei einem Roller Derby. Um sich vorzubereiten, hat er sich einige Youtube-Videos angeschaut. Trotzdem: So ganz hat er die Regeln noch nicht durchdrungen. Da ist er allerdings nicht der Einzige, die meisten der knapp 800 Zuschauer verstehen von dem, was auf dem Spielfeld vor sich geht, nicht mal die Hälfte. Viele sind zum ersten Mal hier, haben über Mund-zu-Mund-Propaganda davon gehört.

Jennifer Collins und Lauren Simpson, beide 25, sind mit einer Spielerin befreundet. Die Sportart kannten beide schon vorher, Simpson kommt aus den USA. Dort wurde der Sport von einem Sportpromoter und einem Journalisten in den vierziger Jahren erfunden, entwickelte sich schnell zum Trendsport und geriet dann irgendwann in Vergessenheit. Erst Ende der Neunziger feierte Roller Derby im Zuge des Third Wave Feminsim sein Comeback in Texas, eroberte die USA und nun nach und nach auch Europa. In den Neunzigern dominierte in der Frauen-Bewegung der Wunsch, aus allen geschlechtlichen Zuschreibungen auszubrechen, um mit ihnen zu spielen. Dabei zählte die Praxis mehr als die Theorie. Roller Derby passte genau in diesen Kontext. Es wird nur von Frauen gespielt. Die stylen sich als punkige Girlies, um sich publikumswirksam umzurempeln. Danach wird gefeiert und getrunken – das unterläuft das Rollenklischee der braven Püppchenfrau ziemlich wirksam.

Männer sind nur Zuschauer

Männer dürfen nur als Schiedsrichter und Zuschauer am Spektakel teilnehmen. Sie kämen vielleicht auch, um im Kreis rollende Frauen in Hotpants zu bestaunen, sagt eine Amerikanerin, die sich Master Blaster nennt und beide Teams trainiert. „Aber sie kommen sicher nicht nur deswegen immer wieder: Der Sport reißt sie mit. Wir sind hart, aber fair. Das fasziniert auch die Männer.“ Wichtig ist den Spielerinnen, dass ihr Sport nicht kommerziell ist. Sie machen die Werbung für ihre Veranstaltungen selbst, organisieren alles ehrenamtlich, große Sponsoren gibt es nicht.

Das Publikum an diesem Abend ist bunt gemischt. „Wir dachten hier sind alle so rockabillymäßig drauf, aber es sind auch Familien mit Kindern und Jugendliche da. Das ist sehr angenehm,“ sagt Jennifer Collins. „Tanzt auf den Rängen und unterstützt eure Mannschaft“, ruft der Moderator. Die Zuschauer feuern die Roller Girls an. Die grünen Fantastic 14 sind gut. Sie blocken besser, sammeln deutlich mehr Punkte als ihre Gegnerinnen. Die taktischen Manöver der Jammerin werden von grün gekleideten Fans bejubelt. Die gleichen Fans feuern aber auch TBG an, schließlich liegen die ja hinten und man wünscht sich ein spannendes Rennen. Am Ende gewinnen die Fantastic 14, doch das ist Nebensache.

Die meisten Zuschauer strömen aus der Arena. Die Sportveranstaltung ist vorbei, das Spektakel noch nicht. Ein kurzes Gastspiel einer Rockband, eine kurze Siegerehrung und dann laden die Rollergirls zur After-Party ein. „Wir sind legendär dafür, dass wir auf den Tischen tanzen“, ruft eine Spielerin den übriggebliebenen Fans zu. Das glaubt man nach diesem Rennen sofort.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Mirijam Zastrow

hier und da, dies und das - Praktikantin beim Freitag

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