Lesen, lesen, lesen (1)

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Zu Weihnachten verschenkte ich Nick Hornbys "Mein Leben als Leser" und kam nicht umhin zuvor selber einen Blick hinein zu werfen. Das Buch ist eine Sammlung seiner monatlichen Kolumnen im amerikanischen Literaturmagazin "The Believer". In diesem Kolumnen zählt er auf, welche Bücher er im jeweiligen Monat 1. gekauft und 2. gelesen hat, gibt seine Meinung dazu und würzt das ganze mit wunderbaren Anekdoten und Gedanken zu seiner Lektüre.

Nick Nornby soll und kann mir kein Vorbild sein, aber ich möchte die Idee aufgreifen und in einem regelmäßigen Blog berichten was ich gerade lese, gelesen habe und was ich dazu denke.

Im Moment finde ich Lesen schwierig. Nicht, dass es nichts zu lesen gäbe, aber ich finde nichts was mich wirklich fesselt, worauf ich mich ganz und gar einlassen kann.

Zuletzt gelungen ist das Rohinton Mistry mit "Das Gleichgewicht der Welt", einer indischen Geschichte über die Leben vierer ganz unterschiedlicher Menschen, deren Wege sich während des Ausnahmezustandes 1970 in Bombay kreuzen. Anfangs ist die Begegnung eher distanziert, die niederkastigen Schneider, die einsame Hindi-Witwe und der Parsi-Student leben in völlig unterschiedlichen Welten und gehen doch einen kurzen aber dafür wichtigen Teil ihrer Wege zusammen. In "Zirkuskind", einem meiner absoluten Lieblingsbücher, beschreibt Irving das Gefühl der absoluten Fremdheit, das Indien in ihm auslöst. "Das Gleichgewicht der Welt" bringt mir diese fremde Welt eine ganze Ecke näher und ich habe die Lektüre nicht nur genossen und mich vollständig fesseln lassen, ich habe auch eine Menge gelernt. Das Ende hinterließ mich rat- und irgendwie trostlos. Auch vorher wusste ich von verstümmelten Bettlerkindern, Slums und der tiefen Verwurzelung des Kastensystems. Aber der Roman lies all das echt werden, real. Es dauerte ein bisschen bis der Nachhall leiser wurde.

Danach folgte ein großes Loch und bis heute ist es mir nicht richtig gelungen, es wieder zu füllen. Ich kann nicht nichts lesen, also halte ich mich mit dürrer Thrillerkost (von Joy Fielding und Molly Katz) über Wasser, bis ich mich endlich entscheiden kann..

Zur Auswahl stehen Mary Shelleys Frankenstein, das mir gerade einfach nicht "passt", "Firmin" von Sam Savage, das eigentlich durch sein Thema (eine Ratte, die Bücher verschlingt, erst im Wortsinne, dann lesend) besticht, mich aber, zumindest zur Zeit, kein bisschen reizt und "Die Bücherdiebin" von Markus Zusak. Letzteres habe ich sogar angefangen und es gefällt mir nach den ersten Seiten wirklich außerordentlich gut. Die Idee, den Tod als Ich-Erzähler zu wählen, mag ich, aber noch fehlt mir der Drang unbedingt weiterlesen zu wollen. Noch.

Außerdem liegt hier noch Sturmhöhe von Emily Bronte, das aber außer Konkurrenz. Bei diesem Buch bin ich mir sicher, dass es als Nächstes drankommen wird, wenn ich denn endlich ein anderes gelesen habe.

Das einzige Buch, dass ich jeden Tag gerne aufschlage ist Pu der Bär von A.A. Milne, das ich abends meinem Sohn vorlese. Warum habe ich das als Kind nienienie gelesen? Diese wunderbar fantasievollen Geschichten, die Milne für und mit seinem Sohn Christopher-Robin spinnt, sind so bezaubernd, dass ich Disney für seine uninspirierte Adaption verklagen möchte. Jeder Charakter hat seinen eigenen, auch für einen Vierjährigen unverwechselbaren Ton, und schon bei Pus erstem Abenteuer, als er als Wolke verkleidet den Bienen ihren Honig stehlen möchte lachen wir gemeinsam über den "dummen, alten Bären", der an nichts anderes als Essen denkt. So langsam nähern wir uns den letzten Seiten und ich hoffe bald den zweiten Band "Pu baut ein Haus" in die Finger zu bekommen. Leider ist er mir bisher nur in Form von Gesamtausgaben begegnet. Zur Not wäre aber noch "Pu der Bär - Rückkehr in den Hundertsechzigmorgenwald" von David Benedictus im Haus - eine Fortsetzung die im letzten Jahr erschienen ist und zumindest nach dem ersten durchblättern Sprache und Charme des Originals einzufangen scheint. Wie auch immer der Autor das geschafft haben mag. Sollte es soweit sein: Ich werde berichten!

Aber was lese ich nun selber?

Diese völlige Entscheidungsunwilligkeit passt zu meiner allgemeinen Stimmung, ist mir aber garnicht recht. Meine erste freie Woche für dieses Semester ist jetzt vorbei und damit hoffentlich auch die bleierne Trägheit, die mich immer befällt wenn ich zur Ruhe komme. Dass ich zum ersten Mal seit langem wieder - ganz ohne äußeren Druck - einen Text fabriziere wäre ein gutes Zeichen dafür. Dass ich übergründlich meine Küche geputzt habe, obwohl draußen dicke Schneeflocken vor dem Fenster tanzten, von Frühjahrsputz also keine Rede sein kann, wohl auch.

Sollte ich den Tod J.D. Salingers zum Anlass nehmen und acht oder neun Jahre nach dem ersten Mal einen neuen Blick in "The Catcher in the Rye" werfen? Mein Englisch würde sich sicher freuen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sarah Rudolph

neugierig, laut, wirr. // chaotic as usual

Sarah Rudolph

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