Weniger Kinderbetreuung = mehr Kinder?!

Familienpolitik Kinderbetreuung - die Wunderwaffe der deutschen Familienpolitik. Maria Dorno fragt nach dem Warum und dekonstruiert die neoliberalen Argumente dieser Politik.

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von Maria Dorno

Erfreuliche Nachrichten aus der Schweiz: Die Geburtenzahl der Eidgenossen wächst seit dem Jahr 2005 stetig. Vergangenes Jahr wurden wieder deutlich mehr Menschen im Alpenland geboren als gestorben sind. In Deutschland ist das seit 40 Jahren andersherum, obwohl hierzulande die Kinderbetreuung deutlich besser ausgebaut ist. Was sagt uns das?

Kinderbetreuung ist wichtig. Sie soll gewährleisten, dass Eltern entscheiden können, ob sie ihre Kinder zuhause erziehen wollen, oder ob sie lieber wieder arbeiten gehen wollen. Durch diese Wahlfreiheit will die Politik vordergründig die Geburtenrate steigern. Die Idee dahinter: Wenn Eltern ihre Kinder weggeben können, fällt ihnen auch die Entscheidung leichter, welche zu bekommen. Sie werden durch das Kinderkriegen weniger eingeschränkt. Als Unterstützung dieses Arguments wird regelmäßig nach Frankreich oder Schweden verwiesen. Beide Länder haben eine hohe Betreuungsquote und gleichzeitig hohe Fertilitätsraten (Durchschnittliche Anzahl der Lebendgeborenen pro Frau). Im Unterschied zu Deutschland, das nur eine niedrige Fertilitätsrate aufzuweisen hat, ist in diesen Ländern vor allem die Betreuung der ganz kleinen Kinder bis etwa drei Jahre gut gewährleistet. Doch genauso wichtig ist es für Eltern, dass ihre Kinder auch zwischen dem vierten und siebten Lebensjahr betreut werden. Andernfalls brächte eine Betreuung in den ersten drei Lebensjahren ja keinen Gewinn.

Deutschland mit fantastischer Betreuungsquote

Und hier hat Deutschland sogar einen Spitzenplatz. 89 Prozent der Dreijährigen und sogar 96 Prozent der Vierjährigen sind im Kindergarten oder vergleichbaren Einrichtungen, womit Deutschland bei den Vierjährigen sogar das sonst so oft angeführte Paradebeispiel Schweden übertrumpft. Zum Vergleich: Der OECD-Durchschnitt liegt bei 66 respektive 79 Prozent. Doch diese sehr gute Betreuungssituation scheint junge Paare nicht dazu zu bringen, mehr Kinder in die Welt zu setzen. Denn obwohl die Betreuungssituation seit Jahren auf einem sehr hohen Niveau ist, sinken die Geburtenzahlen. Die immer wieder vorgetragene Gleichung „mehr Betreuung = mehr Kinder“ scheint widerlegt. Dies umso mehr, wenn man sich bei den europäischen Nachbarn umschaut.

Genau wie Deutschland hat Spanien eine sehr gute Kinderbetreuungsquote von sogar 99 Prozent. Aber genau wie Deutschland stagniert die Fertilitätsrate bei 1,36 Kindern pro Frau. Interessant werden die Zahlenspiele natürlich erst, wenn man zum ultimativen Gegenbeweis antritt, bei dem niedrige Betreuungsquoten und hohe Fertilitätsraten zusammentreffen. Irland zum Beispiel hat lediglich Betreuungsquoten bei den Drei- und Vierjährigen von 65 bzw. 27 Prozent aber eine Fertilitätsrate von 2,07. Das gleiche Bild im Vereinigten Königreich: Betreuungsquoten von 83 und 65 Prozent und eine Fertilitätsrate von 1,94. Von finnischen Kindern werden sogar nur 47 bzw. 56 Prozent betreut. Trotzdem bekommen finnische Frauen im Durchschnitt 1,73 Kinder (Quelle). Aus diesen Zahlen kann sich nur ergeben: Zwischen Betreuungsquote und Fertilitätsrate besteht kein Zusammenhang.

„Familienpolitik“

Mehr Betreuungsmöglichkeiten bringen also nicht mehr Kinder. Das können Politikern aller Couleur noch so oft beschreien. Junge Paare bekommen nicht mehr Kindern, nur weil sie wissen, dass sie diese so schnell wie möglich wieder weg geben können. Die Idee hinter dem Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Deutschland ist eine andere. Es ist die Idee des Outsourcings der Familie. Sie bestimmt auch die Politik, die in Deutschland immer noch „Familienpolitik“ genannt wird, obwohl diese längst andere Ziele verfolgt, als den Erhalt und das Wohlergehen der Familien: die kurzfristige Gewinnung von Arbeitskräften. Der zu Hause bleibende Teil der Familie, meist die Frau, soll so schnell wie möglich wieder arbeiten.

Das volkswirtschaftliche Potential zerstörter Familien

Wofür also Kinderbetreuung und der Druck auf junge (und alte) Paare, direkt nach der Geburt des Kindes wieder arbeiten zu müssen? Die Studie „Unternehmen Familie“ der Unternehmensberatung Roland Berger für die Robert Bosch Stiftung zeigt exemplarisch, nach welchen Kriterien die Bundesregierungen seit mindestens 15 Jahren „Familienpolitik“ betreiben und weshalb Kinderbetreuung so wichtig ist:

„Bei einer höheren Erwerbsbeteiligung von Frauen sind spürbare positive volkswirtschaftliche Auswirkungen zu erwarten. Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zeigen folgende Potentiale: Wenn alle Mütter, die entweder arbeitslos oder in der stillen Reserve sind – insgesamt etwa 1,7 Millionen Frauen – eine Arbeit aufnehmen würden, könnten Einkommenssteuer-Mehreinnahmen von bis zu 12 Milliarden Euro im Jahr erzielt werden. Gleichzeitig würden die Sozialversicherungsträger bis zu 18,2 Milliarden Euro im Jahr mehr einnehmen. Wenn nur die akademisch ausgebildeten Mütter, deren jüngstes Kind noch keine ganztägige Betreuungseinrichtung besucht – ca. 245.000 Frauen –, eine Arbeit aufnehmen würden, würden die öffentlichen Haushalte Steuermehreinnahmen von 2,2 Milliarden Euro verbuchen und die Sozialversicherungsträger 2,7 Milliarden Euro. Obwohl diese Zahlen kurzfristig unerreichbar sein dürften, zeigen sie doch das volkswirtschaftliche Potential einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen auf. Gleichzeitig ist das Beschäftigungspotential eines Ausbaus von Kinderbetreuung hoch. Wenn alle Kinder unter zwölf Jahren von Müttern mit Erwerbswunsch ganztätig betreut würden, so würde dies einen zusätzlichen Fachkräftebedarf von bis zu 450.000 Personen in diesen Betreuungseinrichtungen nachsichziehen.“

Es wird augenscheinlich, das hier weder Kinder, noch Eltern oder die Institution der Familie im Mittelpunkt stehen. Und so soll auch der Ausbau der Kinderbetreuung nicht die Familien unterstützen. Er ist reine Industriepolitik. Vorne weg marschieren die beiden Volksparteien mit ihren grünen und gelben Anhängseln, die sich in der Anzahl der Betreuungsplätze zu überbieten versuchen. Auf ihren Fahnen steht neben „Erhöhung der Geburtenrate“ „Gleichberechtigung“ und „Steigerung der Frauenerwerbsquote“. Inhaltlich bedeutet es „Frischfleisch für den dürstenden Arbeitsmarkt“.

Anstatt also die Familie zu stärken und so ein stabiles Umfeld für Nachwuchs zu schaffen – das ist die wohl wichtigste Voraussetzung – schwächt die Familienpolitik die Familie. Vater und Mutter sollen nicht Vater und Mutter sein, sie sollen Ingenieur A und Abteilungsleitern B sein. „Familie“ können Betreuungseinrichtungen mit ausgebildetem Fachpersonal besser – das wird in vielen von Bundesministerien in Auftrag gegebenen Studien bestätigt. Das seit 2008 geltende Scheidungsrecht besorgt den Rest, um die Institution der Familie nachhaltig zu zerstören. Es benachteiligt den zu Hause bleibenden Partner so stark, dass er quasi gezwungen ist, zu arbeiten. Würde er die ganze Zeit Kinder erziehen, sich um Organisation und Haus kümmern, stünde er im Falle einer Scheidung vor dem Nichts. Familienpolitik in Deutschland eben.

Der Artikel wurde zuerst veröffentlicht auf Theatrum Mundi

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Geschrieben von

MisterManta

Vordenker, Nachdenker, Blogger und Mitglied der EU

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