Are the Kids Alt-Right?

Berlin-Neukölln Der globale Kulturkampf ist im Kiez angekommen. Oder frisst bloß die Gentrifizierung ihre Kinder? Die Buchhandlung Topics, die von Israelis geführt wurde, hat zugemacht
Der ständige Problembezirk
Der ständige Problembezirk

Foto: Imago/STPP

Buchläden schließen. Dass das minimalistisch-schicke Topics in Berlin-Neukölln, wo Mieten zwar fast so hoch sind wie in Mitte, sonst aber alles noch Aufbruch und Kreativität atmet, zumacht, ist eigentlich keine Meldung wert. Warum Doron Hamburger und Amir Naaman sich jetzt anderem widmen, als den Kiez mit Handverlesenem, Esoterischem und Obskurem aus Pop- und Hochliteratur in englischer Sprache zu vesorgen, hört sich allerdings an wie eine düstere Fortsetzung von Jarett Kobeks Roman Ich hasse dieses Internet.

Im März wollte man im Rahmen einer Reihe zu esoterischem Denken, in der es auch schon um den Renaissance-Häretiker Giordano Bruno gegangen war, zum wiederholten Mal den in Berlin lebenden amerikanischen Kunstkritiker und Autor D.C. Miller sprechen lassen. Thema des Abends: Julius Evola, italienischer Dadaist, Esoteriker – und Faschist. Armin Mohler, dem Spiritus rector hiesiger Neurechter galt Evola als geistesverwandter konservativer Revolutiuonär. Richard Spencer, Erfinder der Marke „alt-right“ und Steve Bannon verehren ihn. Ein Artikel in der New York Times zum Ex-Breitbart-Mann habe den Anstoß gegeben, sich mit Evola zu befassen, sagt Naaman nun auch. Man habe mehr über die US-Rechte lernen wollen und ihren Bezug zum Okulten und Metaphysischen.

Doch es kam ganz anders. Auf Facebook sah sich das Trio mit dem Hang zur Esoterik, das sich in Anlehnung an Gershom Scholem und Walter Benjamin Universität von Muri nannte, aggressivster Kritik ausgesetzt. Die Veranstaltung müsse abgesagt werden, sowohl Gegenstand als auch Sprecher seien inakzeptabel. Anfangs habe er die Diskussion gesucht, sagt Hamburger. Vergeblich. Dass man als Nachfahren von Holocaust-Überlebenden sicher nicht dem Faschismus das Wort rede, sei bei den Gerechtigkeitskriegern, wie er sie nennt, konsequenzlos verhallt. Hamburger und Namman sind beide in Israel geboren, seit vier und fünf Jahren in Deutschland. Antisemitscher Anfeindung habe es allerdings zu keinem Zeitpunkt gegeben, betont Hamburger.

Der Evola-Abend wurde schließlich abgeblasen. Der Schaden aber blieb. Umsätze sanken. Das ohnehin auf eigenes Kapital angewiesene Geschäft wurde gänzlich unrentabel. Deshalb ist jetzt Schluss. Aber man hätte weitermachen können, sagen die Buchhändler. Dass die Antifa sie gezwungen hätte, die Pforten ihres "neurechten" Buchladens, wie das Topics-Team ihn jetzt sarkastisch auf seiner Facebookseite nennt, zu schließen: Unsinn.

Dass Miller schon länger im Visier linker Netz-Aktivisten war, verschweigt man in der Weserstraße nicht. Anfang 2017 war er zu einiger (auch Netz-) Öffentlichkeit gelangt, als sich die Londoner Gallerie LD50 einer massiven Kampagne von Antifa und akademischer Linken ausgesetzt sah, wegen einer Ausstellung mit Motiven und Memen aus der alt-right-Szene und einer Konferenz zur neuen Rechten. Sprecher unter anderen: Nick Land und Brett Stevens. Land, Pionier der technikaffinen philosophischen Strömung des Akzelerationismus, gilt seit einiger Zeit als neurechter Netzdenker. Stevens Verhältnis zum norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik ist ambivalent, um das mindeste zu sagen. D.C. Miller fuhr in den Londoner Stadtteil Dalston und demonstrierte für das absolute Recht auf öffentliche Diskussion. Allein, mit einem Pappschild.

Für radikale Meinungsfreiheit stehen auch Hamburger und Naaman. Dass ins Topics schon ein Autor, der auch für die Junge Freiheit schreibt, eingeladen wurde, um über Star Wars zu sprechen, wird nicht als problematisch angesehen. Widersprüche seien auzuhalten, die rechte Zeitung schließlich nicht verboten, sagt Hamburger.

So ist eine Frontstellung, die aus dem neusten globalen Kulturkampf schon bekannt ist, auch im Berliner Hipsterkiez angekommen: Auf der einen Seite intolerante Linksaktivisten, die agressiv versuchen, mundtot zu machen, wer ihnen nicht behagt. Und Kämpfer für die absolute Freiheit, alles zu diskutieren, was sagbar ist, auf der anderen. Kämpfer, die jedoch manchmal auch einen Pakt eingehen mit solchen, die das Sagbare vor allem nach rechts verschieben wollen. Der Konflikt wird bleiben, auch lange nachdem das Topics seine Pforten geschlossen hat.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

Mladen Gladić

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