Brexit der Herzen

Maulig Morrissey macht wieder schlechte Laune zu Pop, hat aber auch eine neue Liebe entdeckt
Ausgabe 46/2017
Morrissey bleibt, was er war. Ambivalent. Poetisch. Ein bisschen nervig auch, in diesem Selbstmitleid, das immer durchscheint
Morrissey bleibt, was er war. Ambivalent. Poetisch. Ein bisschen nervig auch, in diesem Selbstmitleid, das immer durchscheint

Foto: Ilya S. Savenok/Firefly/Getty Images

„Bengali in Platforms“, das ist schon lange her. Ex-Smith-Mann Morrissey hatte einen kleinen Skandal verursacht, als er dichtete, dass das Leben schon schwer genug sei, wenn man da sei, wo man hingehöre. Ein Engländer in England. Die Jungs von Cornershop, Engländer mit Migrationshintergrund, nahmen das zum Anlass, Morrissey-Platten zu verbrennen. Ein bisschen ein Lafontaine des Britpop war Morrissey schon immer. Ein Pop-Populist.

Jetzt gibt es eine neue Platte und gleich geht es wieder los: „Stop watching the news“, lautet die Empfehlung, die Steven Patrick Morrissey uns in der ersten Single seines neuen Albums gibt. Wer würde hier nicht an Lügenpresse denken? Irgendwie gehört es zu Morrissey, dass er Querulanz mit Pop verbindet. Und auch ein bisschen Brutalität: Seine erste Soloplatte wartete nicht umsonst auf mit einem Song, in dem er Margaret Thatcher auf die Guillotine wünschte. Der Schriftsteller David Wagner hat, anlässlich des Todes von Helmut Kohl, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung daran erinnert. Und wie Wagner den Song in seinem Jugendzimmer auf den Einheitskanzler bezog – Kohl auf dem Schafott. Wieder schlechte Reminiszenzen, an Bilder, die man bei Pegida in Dresden sehen konnte, auf den Plakaten der Wutbürger. Merkel am Galgen.

Geheimes England: Daran muss man denken, wenn man so ambivalente Zeilen hört wie „Where is our boy“, nun, er ist zur National Front gegangen. Ambivalent wirkt das, weil man nicht weiß, ob Morrissey es soziologisch gemeint hat, erklärend, oder irgendwie auch gut findet. „A rush and a push and this land is ours“, „England is mine – and it owes me a living“, dazu passt auch, dass Morrissey den Brexit unterstützt hat. Und nach dem Terroranschlag beim Ariana-Grande-Konzert in Manchester twitterte, dass sich Politiker und Adlige nicht so sicher fühlen sollten. Gegen die Adligen hatte er schon immer was. Gepaart ist das alles schon immer auch mit ganz viel Pathos, und mit einer Poesie, die manchmal dadaesk wirkt. „Bored in a fjord“ wird da schon mal gereimt, zum Beispiel. „A girl from Tel Aviv who wouldn’t kneel“, singt er auf der neuen Platte. Auf der entdeckt Morrissey nun auch seine Liebe zu Israel.

Falsett gegen den Mainstream

Das Tel-Aviv-Lied ist nicht das einzige auf der Platte. Israel heißt der letzte Song auf dem Album, und hier geht der Barde ins Falsett. Das passt auch irgendwie wieder: Gegen den Mainstream, gegen das Establishment, zumindest gegen ein Pop-Establishment, das sich gerade in England gerne israelkritisch gibt. Morrissey ist zornig. War er schon immer, all die Blumen, die seine Fans auf die Bühne warfen, haben das nur kaschiert. Working Class Hero ist er, ein Held der Arbeiterklasse. Und ein Klassiker, weswegen seine Autobiografie bei Penguin auch in der Classics-Serie erschien, obwohl Klassiker ja eigentlich erst durch Wiederlesen, durch Generationen von Lesern, zu solchen werden. Aber wer sonst schreibt schon Lyrics wie „Home is a question mark“? Ist zu Hause sein nur ein Wort? Wenn ich jemals das Zuhause finde, wirst du mich dort treffen?, fragt Morrissey. Morrissey hat lange nach einem Label gesucht. Er ist jetzt bei BMG gelandet, bei einem Multi. Establishment. Wieder. Er bleibt, was er war. Ambivalent. Poetisch. Ein bisschen nervig auch, in diesem Selbstmitleid, das immer durchscheint. Auf Low in High School noch ein bisschen mehr als sonst.

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Low in High School Morrissey Etienne Records

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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