Als Alexander Gauland im Oktober 2018 in der FAZ einen Gastbeitrag veröffentlichte, in dem er erklärte, warum der Populismus das Gebot der Stunde sei, folgte die öffentliche Empörung prompt. Bei seiner Gegenüberstellung einer „globalisierten Klasse“, die „in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie den UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten“ sitze, und dem „Volk“, habe Gauland mehr oder weniger direkt eine Rede Adolf Hitlers zitiert, hieß es. Das verstärkte die Skandalisierung des Umstands, dass ein altehrwürdiges Blatt einem wie dem AfD-Fraktionschef eine Plattform bietet.
Der Anlass für Gaulands Text dürfte die linke Sammlungsbewegung „Aufstehen“ gewesen sein, die einen guten Monat zuvor ihren Auftakt gefeiert hatte, denn nun folgte auch das Lob Gaulands für Sahra Wagenknecht: Sie habe begriffen, dass Populismus bedeute, gegen das „Establishment“ zu sein. Diese von Gauland behauptete Nähe zwischen seinem eigenen politischen Projekt und dem Wagenknechts auf der anderen Seite des politischen Spektrums war für viele, die den AfD-Mann wie die „Aufstehen“-Frau kritisch sehen, durchaus Anlass zu klammheimlicher Freude – sahen sie doch ihren Befund bestätigt, Populisten jeglicher Couleur wohne der Hang zum Schmieden einer „Querfront“ inne.
Dieses Schmuddelkind
Denn Populismus gilt als Schmuddelkind der Politik, manche sehen ihn als eine „Krankheit“, so schreibt es der niederländische Historiker David van Reybrouk in seinem Buch Für einen anderen Populismus (Wallstein 2017).
Und ist es nicht offensichtlich, dass Gefahren nicht nur für das europäische Projekt, sondern auch für den politischen Frieden der Mitgliedstaaten seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor allem von populistischen Parteien und Bewegungen ausgingen? Dass der Rechtspopulismus sich mittlerweile fest in den Parteienlandschaften Europas eingenistet hat? Dass er in Polen oder Ungarn antritt, Bastionen der Demokratie wie Gewaltenteilung und Pressefreiheit zu schleifen? Ist es nicht auch so, dass da, wo Linkspopulisten agieren, der europäischen Integration Steine in den Weg gelegt werden, zuletzt in Frankreich mit den Gilets Jaunes, die Präsident Emmanuel Macron Eingeständnisse abgerungen haben, die dazu führen, dass Frankreich in puncto Staatsverschuldung EU-Kriterien verletzen wird?
In seinem Buch Die politische Ökonomie des Populismus (Suhrkamp 2018) konstatiert der Bremer Politologe Philip Manow: „Das öffentliche Reden über die Demokratie in Zeiten des Populismus vollzieht sich überwiegend im Modus der vorgezogenen Grabrede.“ Gängige Erklärungen für den enormen Aufwind, den der Populismus erfährt, kranken Manow zufolge daran, dass dieser unabhängig von Inhalten gesehen wird. Die Betonung des Antagonismus zwischen „Establishment“ und „populus“ wiederholt nicht nur populistische Selbstbeschreibungen.
Sie ist auch ein Einfallstor für kulturalistische Deutungen: Populisten und ihre Wähler werden dann oft zu Modernisierungsverlieren, die mit der Liberalisierung der Lebenswelt nicht zurechtkommen: alte weiße Männer etwa, denen LGBTQ-Rechte genauso gegen den Strich gehen wie Fremde. Solche Deutungen, betont Manow, sind allzu gut geeignet, moralisch überformt zu werden. Das Mantra vieler Kritiker, die selbst häufig jenen Teilen der Bevölkerung angehören, denen Populisten den Vorwurf machen, das „Establishment“ zu sein, lautet denn auch, man habe es mit Ewiggestrigen, Rassisten und Sexisten zu tun.
Die Rede von Fortschrittsfeindlichkeit und Ressentiment jedoch kann die unterschiedlichen Ausformungen des Populismus, die man in Europa beobachten kann, nicht erklären. Warum war in Griechenland das linke Bündnis Syriza erfolgreich, in Deutschland die rechte AfD? Warum die Lega in Norditalien, Beppe Grillo in Süditalien? Was bei kulturalistischen Erklärungen des Populismus unsichtbar bleibt, so Manow, ist der Kapitalismus – oder vielmehr: unterschiedliche Kapitalismen als Faktor des Populismus.
Manow möchte daher nicht weniger, als das Reden über den Populismus vom Kopf auf die Füße stellen. Er folgt dem Ökonomen Dani Rodrik darin, Populismus als Antwort auf die Globalisierung zu sehen. Rodrik unterscheidet dabei zwischen Handel und Migration. Der Protest gegen die Globalisierung gelte entweder der grenzüberschreitenden Bewegung von Geld und Gütern oder der von Personen.
Schematisch, das zeigen Manows Untersuchungsergebnisse, kann man sagen, dass im Norden Europas Rechtspopulisten Erfolg haben, weil sich hier exportabhängige Ökonomien gebildet haben, die die Risiken der Weltmarktabhängigkeit mit einem großzügigen, leicht zugänglichen Sozialstaat kompensieren. Im Süden sind die Ökonomien meist nachfrageorientiert, der informelle Sektor groß, der Sozialstaat schwach und klientilistisch organisiert.
Migranten tendieren dazu, in Gesellschaften einzuwandern, in denen Sozialleistungen gesichert sind. Hier wählen eher in den Arbeitsmarkt Integrierte (rechts-)populistisch. Im Süden spielt Migration eine geringere Rolle, dafür aber Effekte, die sich aus einer globalisierten Wirtschaft ergeben. (Links-)populistisch wählen hier eher „Arbeitsmarkt-Outsider“. Gemeinsam ist dabei beiden Wählergruppen eine globalisierungs- oder euroskeptische Grundhaltung.
Dass es vor allem „Abgehängte“ sind, die AfD wählen, verneint Manow. Doch viele AfD-Wähler, vor allem im Osten Deutschlands, haben Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit. Wahlentscheidungen korrelieren oft mit dem Bewusstsein, wie schnell sich Statusverlust vollziehen kann: "In den neuen Bundesländern steigt mit jedem Prozent Arbeitslosigkeit im Jahre 2000 der AfD-Stimmenanteil im Jahre 2017 um fast ein halbes Prozent."
Dass Manow nachweist, dass Wahlentscheidungen für populistische Parteien, gerade auch solchen von rechts, ihr Fundament durchaus in realen wirtschaftlichen Verhältnissen haben und daher nicht, wie ein großer Teil der populismuskritischen Stimmen es will, in letztlich personalisierbaren Haltungen, macht Die politische Ökonomie des Populismus aber nicht zu einer Apologie des Populismus. Was Manow zeigt, ist, dass man es beim Populismus weniger mit einer Krankheit als mit einem Symptom zu tun hat. Einem Symptom dafür, wie schlecht man in Europa gewappnet ist für eine Globalisierung, von der man doch abhängig ist.
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