Der Wut eine Luft

Essay Ja zum Affekt: Wir müssen den Rechten mehr entgegenstellen als Schweigen und Witze
Ausgabe 36/2018

In unserer täglichen Redaktionskonferenz wird es öfter laut. Wir sind nur eine kleine Runde, was nicht heißt, dass es immer einfach ist, einen Konsens zu finden. Auch nicht, dass wir den immer finden wollen. Man gibt sich kämpferisch, aber auch lernfähig. Kaum etwas, zu dem es nicht unterschiedliche Ansichten gibt – und obwohl wir bemüht sind, jede und jeden ausreden zu lassen, geraten die Gemüter oft in Wallung. Diesen Widerstreit der Meinungen werden Leserinnen und Leser in der Zeitung wiederfinden und hoffentlich schätzen. Das ist so gewollt, deshalb machen wir das hier.

Woher die Verrohung?

Beim Thema Migration fliegen sofort die Fetzen, oder neudeutsch: Man ist blitzschnell angetriggert. In einem sind wir uns aber einig: dass man dem Rechtsruck etwas entgegensetzen muss. Dass die Metamorphose vieler Staaten zu illiberalen Demokratien uns etwas angeht. Dass eine AfD, die in drei Bundesländern zweitstärkste Kraft ist, bedenklich ist. Wer weiß, was die nächsten Landtagswahlen bringen. Wir stimmen darin überein, dass die globalen Flüchtlingsströme eine humanitäre, ethische und politische Herausforderung sind. Und dass man keinen im Mittelmeer ertrinken lassen darf.

„Ja, ich weiß, es wohnen tolle Menschen hier, ich kenne viele, und so viele AntifaschistInnen machen, was sie können, jeden Tag. Für Nicht-Weiße ist es trotz allem nicht mehr sicher. Akku leer, passt auf euch und eure Mitmenschen auf“, twitterte unser Mann aus Sachsen, Konstantin Nowotny, vergangene Woche aus Chemnitz. Konfrontiert mit Sprechchören in Dresden, die „Absaufen, Absaufen“ skandieren, mit Neonazis, die Jagd auf Menschen machen und öffentlich den Hitlergruß zeigen, mit Volksvertretern, die sich von diesen nicht distanzieren, mit Bürgern, die damit kein Problem zu haben scheinen, reagieren wir alle recht ähnlich. Was heißt, dass wir affektiv reagieren: Wut, Entsetzen, Angst und, ja, Ekel überkommen uns, wenn wir die Bilder aus Chemnitz sehen, die „Abschieben, Abschieben“-Rufe auch anderswo hören.

Ja: Die Kriminalitätsrate unter Ausländern ist hoch, ja, Behörden sind überfordert, die Presse oftmals unsicher, wie man damit objektiv, aber nicht alarmistisch umgeht. Ja, es liegt nahe, dass Menschen mit traumatischen Kriegs- und Fluchterfahrungen eine andere Beziehung zu Gewalt und daher vielleicht wirksame, auch psychologische Betreuung nötig haben, anders als jemand, der sein Leben lang in einer Pfälzer Kleinstadt gelebt hat.

Aber woher die Kälte, fragt man sich, mit der man auf gesellschaftliche Veränderungen reagiert, woher die Verachtung, die denen entgegengebracht wird, die ihre Heimat verlassen mussten oder wollten. Woher die Verrohung, woher der fehlende Gemeinsinn, das fehlende Mitgefühl, woher die absurde Annahme, dass man von einer globalisierten Welt profitieren darf, ohne ihre Verwerfungen mitzutragen?

Man denkt an Rostock-Lichtenhagen, an Mölln, weiß, wie sehr bei der Aufklärung der NSU-Morde versagt wurde. Wie gerade hier das Problem heruntergespielt wurde und wie das zu einer breiten Akzeptanz einer menschenverachtenden politischen Subkultur führte. Man liest, wie Orte, wo Morde geschehen sind, die von Geflüchteten verübt wurden, sich gegen ihre Instrumentalisierung gewehrt haben, Freiburg, Kandel. Nicht so in Sachsen, denkt man.

Mancher wünscht sich die Mauer zurück, hat Gewaltfantasien, wünscht sich ein härteres Durchgreifen der Polizei. Reden? An Diskussion ist derzeit nicht zu denken.

Chemnitz liegt in Ostdeutschland. Aber ist Chemnitz ein ostdeutsches Problem? Ein Ja übersieht, dass vor knapp zwei Wochen ein veritabler Rechtstourismus einsetzte, der weniger mit dem Tod eines 35-Jährigen zu tun hatte, sondern diesen zum Anlass nahm, die Vision einer fremdenfeindlichen „Wende 2.0“ voranzutreiben. Trotzdem sitzt man wie das Kaninchen vor der Schlange, es gibt viel Analyse, aber oft geht es nicht darüber hinaus, seiner Wut Luft zu machen. Es ist die neue Ratlosigkeit.

Der Zeichner Ralph Ruthe twitterte neulich einen Cartoon. Zu sehen war ein Mann, der im Garten sitzt und Kaffee trinkt. Über ihm ein gestreiftes Comic-Insekt, mit Baseballschläger und einem Plakat: „Ausländer raus“ steht drauf, die Buchstaben verdreht. „Oh, eine Dummel“, denkt der Mann. Im kleinen, feinen Kunstmann-Verlag ist gerade das Buch Triumph des Wissens erschienen. Die Autoren nennen sich „Hogesatzbau“, das ist eine Verhohnepipelung der „Hooligans gegen Salafisten“. Das Buch versammelt Hate Speech aus dem Netz, bei der es mit der Rechtschreibung hapert. Prominente wie Die Ärzte und Jan Böhmermann machen sich über die „Rechts-Schreibung“ lustig, Heiko Maas ist auch dabei. Lachen ist sicher nicht die schlechteste Reaktion auf Hass. Aber muss Lachen unbedingt auf Kosten von Bildungsfernen gehen? Droht solche Reaktion nicht die zu entfremden, die der Rechtspopulismus schon länger und die Linke erst in letzter Zeit wieder als Wählerschaft entdeckt hat?

Ähnliche Bedenken könnten sich beim Aufruf „Solidarität statt Heimat“ einstellen. Hier wurde der grassierende Rassismus als Ursache für die ganze Misere identifiziert. Das Motto richtete sich gegen Heimatminister Seehofer, Verschärfungen des Asylverfahrens durchzusetzen und mit der Angst vor ungesteuerter Migration Stimmen zu gewinnen. Aber war es gut, dafür einen Begriff aufzugeben, der keine eindeutig rechte Tradition hat? Wolfgang Thierse hatte die Angst vor einer „Entheimatung“ in den ostdeutschen Bundesländern diagnostiziert. Dass diese Angst nicht primär an Fremdenfeindlichkeit gebunden ist, sondern sich vor allem auch aus den Erfahrungen der Strukturveränderungen der Nachwendezeit speist, kann man jetzt in Petra Köppings Streitschrift Integriert doch erst mal uns! nachlesen.

Auch die Ablehnung, die dem Buch mit Rechten reden von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn von vielen Teilen der Linken entgegengeschlagen ist, lässt sich auf Affekte zurückführen. Anders ist nicht zu erklären, dass dieser Titel bei manchen zwar fast zum Schimpfwort wurde, kaum jemand aber diesen Leitfaden, dazu, wie man rechte Diskursstrategien erkennen und argumentativ beantworten kann, gelesen zu haben scheint. Manche verglichen die Position sogar mit den gescheiterten Strategien der Jugendarbeit gegen rechts in der 90ern, ungeachtet der Tatsache, dass die Autoren eine klare Grenze zogen. Heißt: Verfassungsfeinde sollte man natürlich besser den Behörden überlassen. Sich der Tatsache stellen zu müssen, dass Diskursverweigerung 14 Prozent AfD bundesweit nicht verhindern konnte, ist sicher nicht das Einfachste. Das könnte der Grund für das Misstrauen sein, dem Leo, Steinbeis und Zorn begegnen, obwohl ihr Thema der demokratische Normalfall ist. Arno Widman schrieb in der Berliner Zeitung zu Chemnitz: „Immer wieder wird gefragt: Mit Rechten reden? Aber das ist doch keine Frage. Natürlich soll man reden. Was soll man denn sonst tun?“

Was man, oder eher die Polizei sonst tun soll, wissen die, die ein Internetvideo teilen, in dem eine nicht gerade zimperliche luxemburgische Polizei gegen eine Gruppe deutscher Neonazis vorgeht. Dass gerade solche, die der Staatsgewalt normalerweise kritisch gewogen sind, das Video mit erkennbarer Katharsis weiterverbreiten, verwundert vielleicht noch mehr als das Lachen über Rechtschreibschwächen.

Wie stehen wir zur Polizei?

Affektregungen anlässlich dessen, was uns nicht erst seit den Tagen von Chemnitz begegnet, sind normale Reaktionen. Man wird aber nicht bei ihnen stehenbleiben können. Man wird Konsequenzen aus dem Unerträglichen ziehen müssen. Die Suche nach besseren Witzen könnte sich dabei schwerer erweisen, als man denkt. Auch die sind nötig. Was auch nötig sein wird, ist das Verhältnis zur inneren Sicherheit zu überdenken, das viele von uns pflegen.

Die Bekämpfung des gewaltbereiten, verfassungsfeindlichen Neonazismus erfordert stabile Behörden. Dafür wird es notwendig sein, dass auch die Linke diese zwar weiter kritisch beobachtet, ihre Einstellung zu ihnen aber überdenkt. Wer von ihnen fordert, Schutz vor Neonazis zu garantieren und die Verfolgung neonazistischer Gewalt konsequent zu betreiben, wird auch die Polizei in einem neuen Licht sehen müssen. Dass es ohne sie nicht geht, hat aber auch zur Folge, dass man darüber sprechen muss, wer ein Fall für die Polizei ist und wer nicht. Das bedeutet: streiten in der Redaktionskonferenz, reden, auch mit Rechten; das bedeutet, nicht die, die Angst um ihre Heimat haben, aus der Diskurs-und Solidargemeinschaft auszuschließen.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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