Es gibt sie nicht

Suche Plötzlich reden alle von der Antifa. Für die einen ist sie ein Schreckgespenst, andere verklären sie fast. Eine Zeitungslese und eine Nachfrage beim Soziologen
Ausgabe 37/2018
Es gibt sie nicht

Titel: Susann Massute für der Freitag

Selbst in Zeiten, in denen der Videobeweis nicht nur im Fußball umstritten ist, wird keiner, der Aufnahmen des Konzerts gesehen hat, das ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis nach den Ausschreitungen von Chemnitz organisiert hatte, es bezweifeln: Sie waren gut zu hören, die „Alerta, Alerta Antifascista!“-Rufe, zunächst von der Bühne, dann aus dem Publikum, sicher nicht aus 65.000 Kehlen, aber doch aus etlichen. Dass solche Rufe auch regelmäßig beim FC St. Pauli zu hören sind, wird die, die wie Publizistin Liane Bednarz Kritik übten, kaum beruhigen.

Bednarz forderte auf Twitter, es müsste eine Veranstaltung der Zivilgesellschaft geben, bei der die Veranstalterin nicht dazu aufrufe, „Alerta, Alerta Antifascista!“ zu skandieren. „Mit Antifa-Parolen“, so Bednarz weiter, „wird man den Rechtsruck ganz sicher nicht stoppen“. Ein Tweet, auf den, gelinde gesagt, viel Kritik folgte. In der Huffington Post schrieb die konservative Autorin, der man weiß Gott nicht unterstellen kann, den Rechtsruck in Deutschland unkritisch zu sehen, ihre Bedenken noch einmal in voller Länge auf: Die Parole stamme aus dem Kampf gegen den Terror der Mussolini-Faschisten. Heute werde sie oft bei Demonstrationen im „antifaschistischen“ Milieu skandiert. Da dieses Millieu jedoch keineswegs nur dem Kampf gegen den Faschismus verpflichtet sei, sondern teilweise „linksradikal“, sei die Parole nicht geeignet, Menschen, die „sich von den Rechtsradikalen haben verführen lassen, zu erreichen“. Vielmehr, schrieb die Publizistin, dürfte der Effekt „ziemlich sicher eher gegenteilig sein. Und auf Leute aus der bürgerlichen Mitte wirkt der Spruch (...) ebenfalls abschreckend, weil sie mit radikal linken Strömungen ebenso wenig zu tun haben wollen wie mit radikal rechten.“

Radikalenkritik? Radical chic?

Anders wird es Spiegel-Autorin Margarete Stokowski sehen. Die schrieb am selben Tag eine Kolumne, deren Aufhänger ein Artikel des Welt-am-Sonntag-Chefredakteurs Peter Huth mit dem Titel „Der Konflikt ‚Antifa‘ gegen ‚Nazis‘ vergiftet den Osten“war. Für aufmerksame Beobachter musste das nach Chemnitz wie ein dumpfes Echo Donald Trumps klingen, der die Ereignisse von Charlottesville, wo es bei einer „Unite the Right“-Demonstration im August 2017 eine Tote gab, mit „both sides“, vulgo: ‚beide Seiten tragen Schuld‘, kommentierte.

Stokowski forderte – zwar nah am Whataboutism, aber zu Recht – ein, dass diejenigen, die auf Differenzierung derer pochten, die da in Chemnitz auf die Straße gingen, bitte auch differenziert urteilen sollten, wenn es um die Antifa gehe: „Es stimmt, dass Antifaschisten und Antifaschistinnen manchmal gewalttätig werden. Es stimmt total. Sie mussten es zum Beispiel in den Vierzigerjahren werden, um das faschistische Deutschland zu besiegen, weil höfliche Ansprachen manchmal nicht ausreichen“, schrieb sie. Dass sie die Lage im Deutschland von 2018 als zumindest den 1940ern vergleichbar einschätzt, das verdeutlichte der Titel der Kolumne: „Es kann nicht genug Antifa geben“.

Es ist, als ginge ein Gespenst um in Deutschland: Für die einen ist Antifa eine Chiffre für Linksradikalismus, der auf die politische Mitte ver- und auf die von den Rechten Angezogenen abschreckend wirkt. Andere sekundieren, indem sie die Extremismustheorie, die hier mitschwingt, kaum verhohlen ausbuchstabieren und auf ein anderes Feld tragen: „Der Konflikt ‚Antifa‘ gegen ‚Nazis‘ prägte eine Generation. Natürlich hat auch der Terror des ‚NSU‘ hier seine Wurzeln“, schreibt Peter Huth. Die Dritten sehen in der Antifa, und wahrscheinlich ist das auch ein wenig einem „radical chic“ geschuldet, die Antwort auf eine Situation, in der Reden nichts und Handeln alles ist. Dass auch Sorge vorliegt, will man nicht bestreiten.

In Italien stellten sich die Arditi del Popolo, eine militärische Abteilung der besonders „Mutigen“ oder „Kühnen“, ab den 1920ern den Faschisten Benito Mussolinis entgegen. Hier und bei der ab 1923 in Deutschland aktiven Antifaschistischen Aktion sieht der Historiker Mark Bray die Geburtsstunde der Antifa. Die Berufung auf diese paramilitärischen Gruppierungen sieht Bray in seinem 2017 erschienenen Buch Antifa: The Anti-Fascist Handbook als Versuch, eine „historische Kontinuität zwischen verschieden Epochen rechtsextremer Gewalt und den Formen kollektiver Selbstverteidigung, die sie notwendig gemacht hat“, zu behaupten.

Ein Befund, den auch Nils Schuhmacher, Autor der Studie „Nicht nichts machen“? Selbstdarstellungen politischen Handelns in der Autonomen Antifa (Hamburg 2014), auf telefonische Nachfrage nicht von der Hand weist: „Zu sagen, das stoppen wir, das lassen wir nicht zu: Darin hat man immer die historischen Verweise auf den Nationalsozialismus, auf die Erfahrung des Faschismus, dadurch kriegt das ja diese Schärfe“, sagt der Lehrbeauftragte für Kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg.

Aber kann er erklären, was das eigentlich ist, die Antifa? Hier enttäuscht der Wissenschaftler uns zunächst: „Antifa als Gegenstand gibt es ja so nicht. Antifa ist mehr oder weniger ein Symbolzusammenhang, den man so sehen kann oder so“, sagt er. Bleibt nur Schrecken oder Faszination? Ganz so schlimm ist es nicht. Antifa, das sei „ja ein sehr bewegliches Feld“.

Die Anfänge der Antifa, wie wir sie zu kennen meinen, sieht Schuhmacher in den frühen 1980ern, wo sie als Teil der Autonomenbewegung auftritt, der stark jugendkulturell geprägt ist. Dass sich viele Gruppen immer wieder auf die Autonomen berufen, diese Nähe andererseits heute oft als Stigma die Außenwahrnehmung steuert, passt zum Problem.

Wichtiger für die Antifa von heute ist eine zweite Phase, erklärt Schuhmacher: Um 1990 habe man sehr unterschiedliche Phänomene gehabt. „Im Grunde genommen wäre ich da sehr vorsichtig, da von einer Antifa-Bewegung zu sprechen“, räumt er ein, denn eigentlich handle es sich um zwei Bewegungen parallel zueinander, in Ost und West. Im Westen sei die Antifa stark von Jugendkulturen beeinflusst gewesen und vom Kontext rassistischer Gewalt. Solingen, Mölln, Hoyerswerda kommen in den Sinn. „Man hat gleichzeitig in der ehemaligen DDR eine antifaschistische Bewegung gehabt, die zwar auch sehr stark von Jugendlichen geprägt war, aber sich gesellschaftlich ganz anders positionieren musste, viel marginalisierter war und auch nicht zugreifen konnte auf so ein Netz von Alternativkulturen.“ In den Ost-Bundesländern sei der Antifaschismus, da Staatsdoktrin der DDR, stark diskreditiert gewesen.„Eine rahmende Rolle hat sicher auch gespielt, dass man eben nicht eine so kritische Zivilgesellschaft hatte, auf die man sich beziehen konnte, die Schutz und einen Resonanzraum gab. Was heißt, dass sehr viel mehr auf der Straße stattgefunden hat. Da ging es viel um den Kampf um bestimmte Räume. Das Konfrontationsniveau war höher.“ Hinzu seien „Markierungen, die einen selbst zum Opfer machen“, gekommen: „Die Geschichte von Antifa-Engagement, biografisch betrachtet, ist eben oft eine Geschichte von kulturellen Entscheidungen, die ich treffe, insbesondere im Osten: Ich werde Punk oder ich distanziere mich kulturell von rechts, werde zum Adressaten rechter Gewalt, stehe unter einem bestimmten Handlungsdruck.“ Diesen Druck habe es so im Westen nicht gegeben, sagt Schuhmacher, wo der Rechtsextremismus einer Vielheit von Jugendkulturen gegenübergestanden habe, „die sich dementsprechend gewehrt haben“. Es gebe „kulturelle Unterschiede, die die Kommunikation schwierig gemacht haben“.

Gewaltreflexe? Reflexion!

Wie sieht der Experte das Geschlechterverhältnis in der heutigen Antifa? Die Antwort mag überraschen: Seine Studie habe ergeben, „dass das Geschlechterverhältnis viel ausgewogener ist, auch als es in den kritischen Selbstreflexionen den Anschein macht“. Mit der Beschreibung des Verhältnisses zur Gewalt als ambivalent ist Schuhmacher nicht glücklich. Das Selbstverständnis sei auch eines der Selbsthilfe. „Dazu gehört auch unter Umständen die Bereitschaft zu oder das Gutheißen von Gewalt.“ Spezifisch sei, dass Gewalt auch dauerhaft Gegenstand der Reflexion ist. Das ergebe sich daraus, dass die inhaltlichen Positionen, die man vertrete, sehr wenig mit gewaltförmiger Aneignung oder Durchsetzung zu tun hätten und „sehr viel mit Basisdemokratie, Reflexionsvermögen und damit, sich selbst zu organisieren. Dort spielt Gewalt praktisch keine Rolle.“

Wenn man sich angucke, was die meisten Antifa-Gruppen letztlich so machten, spiele auch dort Gewalt ganz praktisch gar keine große Rolle. Anders auf der „Ebene der Darstellung. Das hat auch etwas damit zu tun, dass man natürlich starke Bilder produziert, die die eigene Seite zum durchsetzungsmächtigen Akteur machen und die andere Seite eigentlich beeindrucken sollen.“ Das ziehe sich wie ein roter Faden durch die Selbstdarstellungen in der Konfliktsituation. Wenn es um Gewalt gehe, gehe es auch nicht immer um die Ebene des Körperlichen, und häufig gehe es dann auch um Definitionsfragen, etwa bei Blockaden oder Selbstverteidigung. Es gebe unterschiedliche Grenzen, weshalb es je nach Zählung auch 150 bis 200 Opfer rassistischer Gewalt gebe, man aber diese Form der Gewalt auf der anderen Seite gar nicht habe. Auch bei der Einschätzung, es handele sich bei der Antifa durchgehend um „Linksextremisten“, winkt der Soziologe ab, denn schon ein Blick auf die Gegner, die die meisten Antifa-Gruppen für sich ausmachten, verdeutliche, dass sie nicht alle Akteure außerhalb ihres Spektrums als Gegner betrachteten.

Wer also ist die Antifa? Braucht man mehr Antifa oder ist sie eine Gefahr für das Ziel, ein breiteres Bündnis zu schmieden, um auf Ereignisse wie Chemnitz und Köthen angemessen zu reagieren? Differenzierungen sind gefragt. Mit der Antifa zu rechnen, wäre trotzdem ein Gebot der Stunde.

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