„Es muss nicht ewig so weitergehen“

Interview Die Lage wird ernst für große Immobilienkonzerne in Berlin. Zumindest, wenn es nach der Initiative "Deutsche Wohnen & Co Enteignen" geht. Joseph Vogl hätte nichts dagegen
Ausgabe 19/2019
Joseph Vogl, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin
Joseph Vogl, Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin

Foto: Marc Beckmann für der Freitag

Der Freitag: Herr Vogl, die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen & Co enteignen" übergibt am 14. Juni Unterschriften an den Berliner Senat. Gefordert wird ein Volksbegehren, das zur Enteignung großer Immobilienunternehmen führen könnte. Worum geht es da genau?

Joseph Vogl: Da geht es ganz praktisch um den Immobilieninvestor Deutsche Wohnen, gegründet von der Deutschen Bank, der in Berlin über 100.000 Wohnungen besitzt. Diese Wohnungen stammen meist aus den Beständen der privatisierten kommunalen Wohnungsgesellschaft. Die Enteignungsfrage hat sich u.a. an einem schlichten Sachverhalt entzündet: dass der Vermieter weniger in Instandhaltung als in jene Modernisierungen investiert, die unmittelbar auf die Mieten umgelegt werden können. Gewinnmaximierung statt Werterhaltung. Auch das hat sich für die Anleger gelohnt: Der Aktienwert der Deutsche Wohnen hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt.

Als der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert vor einiger Zeit in einer großen deutschen Wochenzeitung Enteignung und Kollektivierung von großen Unternehmen als geeignete Mittel gegen die soziale Ungleichheit in Deutschland bezeichnete, war die Empörung groß. Hat Sie die Heftigkeit der Reaktionen überrascht?

Überraschend war vor allem, dass die bloße Adressierung eines ökonomischen und sozialen Notstands, etwa die galoppierenden Mietpreise in Großstädten wie Berlin, zu nichts anderem als zur Diskreditierung desjenigen führte, der darauf aufmerksam gemacht hat. All die reflexhaften Schreck- und Abwehrgesten waren an solchen Sachfragen schlicht nicht interessiert. Themaverfehlung.

In einem Interview haben Sie die galoppierenden Mieten vor Kurzem selbst „Enteignung“ genannt. Das klingt ein bisschen linksradikal.

Man kann ja von einer Reihe von Beobachtungen ausgehen, die alles andere als klassenkämpferisch sind. Erstens hat man nun seit mehr als 30 Jahren internationale Erfahrungen mit Mietmärkten, insbesondere in den Metropolen. In Großstädten wie New York, Paris oder London konnte man sehen, welches Desaster dort angerichtet wurde. Dort haben die Immobilienmärkte seit langem zu einer flagranten Verödung und Entvölkerung der Innenstädte geführt. Altbekannte Geschichten. Dennoch hat man – zweitens – gerade in Berlin, in einer eigentümlichen Kooperation der unterschiedlichsten Regierungsparteien, seit den 90er Jahren genau diese Fehler wiederholt und im rabiaten Privatisierungsfuror öffentliches Wohneigentum zu äußerst günstigen Konditionen veräußert und damit für private Akkumulationsinteressen freigestellt. Für die Investoren hat sich das gelohnt: In den letzten acht Jahren sind die Mieten in Berlin um 30 Prozent gestiegen, eine recht profitable Preisentwicklung. Subjektiv können Mieter solche Preissteigerungen durchaus als ‚Enteignung‘ ihrer Lebensgrundlagen verstehen.

Das ist eine aberwitzige Verteuerung!

Diese enorme Preissteigerung geht ja nicht bloß auf eine steigende Nachfrage, durch Zuzüge etwa, zurück. Vielmehr haben sich seit einigen Jahren durch eine Politik billigen Geldes enorme Summen privater Kapitalvermögen aufgebaut, die sich verzweifelt nach rentablen Anlagemöglichkeiten sehnen. Spätestens seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 geht dieses Kapital – wie schon vor der Krise – im Wesentlichen in Finanz- und Immobilienmärkte. Berlin ist also Teil einer internationalen Konjunktur, in Europa, in Nordamerika, sogar in Südamerika. Etwas zugespitzt formuliert: Hier findet eine rasante Umverteilung von den Einkommen lohnabhängiger Mieter zu Kapitalvermögen statt. Auch ideologisch unverdächtige Wirtschaftswissenschaftler haben das bemerkt.

Was macht denn das Geld so billig?

Etwa die Null- bzw. Niedrigzinszinspolitik der Zentralbanken oder das so genannte ‚quantitative easing‘, wie es auch in der Eurozone betrieben wurde und wird. Damit sollten nicht nur die Folgen des Crashs von 2008, also Liquiditätskrise und deflationäre Tendenzen, bekämpft werden. Nach herrschender Lehrmeinung soll dieses billige Geld vor allem Wirtschaftswachstum generieren. Man steht nun vor einem finanzökonomischen Dilemma. Es lässt sich nämlich beobachten, dass dieses Geld weniger in Infrastrukturen, Produktionsmittel und Fixkapital investiert wird als eben in Immobilien- und Kapitalmärkte und so zu jenen Risikokaskaden führt, an deren Horizont der nächste Einbruch erahnbar wird. Die gegenwärtige Situation in Berlin, attraktiv für Großinvestoren und private Anleger, ist also Symptom für die Dynamik der Finanzökonomie.

Für Karl Marx stellt schon das, was er die ursprüngliche Akkumulation nannte, eine Enteignung dar.

Genau. Er verwendet den Begriff der Expropriation. ‚Ursprüngliche Akkumulation‘ bezieht sich auf die vor-kapitalistischen Raubzüge, etwa auf die Enteignung von Pächtern und Gemeineigentum, die überhaupt die Akkumulation von Kapital ermöglicht haben. Der Begriff wurde von Marx aber auch auf die Finanz- und Kreditökonomie bezogen, auf das Geschäft mit Staatschulden, mit diesen prägnanten Worten, dass sich der Staat mit der Staatsschuld gewissermaßen „veräußert“ und so der „kapitalistischen Ära ihren Stempel aufgedrückt“ hat.

Kein Skandal also, wenn der Nutznießer Kapitalismus heißt. War das bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 eigentlich auch so?

Ja. Großbanken haben sich mit großer Freude enteignen lassen. Und das ganze wurde dann mit sehr viel Steuergeld wieder reprivatisiert. Im ökonomischen (und dialektischen) Sinn ist der Begriff der Enteignung hier zu sich gekommen.

Die ehemalige Wirtschaftsministerin von Sachsen-Anhalt erwiderte auf Kühnerts Ideen, man leide dort noch an der letzten Kollektivierung. Da ist man gleich beim Gespenst von Staatssozialismus und Planwirtschaft.

Ich glaube, sehr viele Leute in der ehemaligen DDR würden das etwas differenzierter sehen: Das Leiden an der Kollektivierung wurde von jenem Schock abgelöst, den die Umverteilung von Vermögen durch die Treuhand mit sich brachte. Daran leiden die Leute in Sachsen-Anhalt noch immer.

Derweil sieht der Regierende Bürgermeister von Berlin in Plänen zur Kollektivierung nicht nur ein fatales Signal an die Wirtschaft. Michael Müller befürchtet auch, dass jüdische Investoren ein zweites Mal enteignet werden könnten. Bedient das nicht auch das Klischee vom geldgierigen jüdischen Investor?

Das mag sein. Ich kann den Tiefsinn dieser Bemerkung nicht erraten. Vielleicht war es noch viel simpler und ein wenig infam, nämlich als Diskursblockade gemeint: Wer von ‚Enteignung‘ redet, stellt sich ins antisemitische Fach. Also Mund halten.

Der Betriebsratsvorsitzende bei BMW hält die SPD für Arbeiter deutscher Firmen seit Kühnerts Interview-Äußerungen für nicht mehr wählbar.

Ich befürchte, dieser Betriebsratsvorsitzende hat durchaus ein Problem angesprochen, an dem die SPD ganz grundsätzlich leidet. Nämlich, dass es DIE Arbeiter nicht mehr gibt. Die SPD ebenso wie die Gewerkschaften laborieren seit 10 bis 15 Jahren an einer systemischen Desolidarisierung der sogenannten Lohnabhängigen, durch neue Arbeitsmarktmarktbedingungen, Leiharbeit, prekäre Beschäftigung, Minijobs etc. Das macht es schwer, Solidarbewegungen zu aktivieren und mit einem kollektiven Wir zu versehen. Außerdem, das muss man dem Betriebsratsvorsitzenden zugestehen, werden bei BMW tatsächlich Löhne gezahlt, über die sich Akademiker andernorts durchaus freuen würden.

Vielen gilt ein freier Markt als einziger Garant von Freiheit und Demokratie. Erklärt sich daraus die große Empörung, wenn Politiker öffentlich von Vergesellschaftung sprechen und Initiativen sich daran machen, das in die Wirklichkeit umzusetzen?

Ich glaube, dass die Situation, auch diskurshistorisch gesehen, komplizierter ist. Es gab in der Nachkriegszeit eine Art Wohlfahrtsstaatskompromiss. Der hatte zwei Angelpunkte. Der eine war tatsächlich die Bekämpfung einer Situation, die in die Wirtschaftskrise der späten 20er Jahre geführt hatte. Auf der anderen Seite ging es aber um die Rettung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung durch servomotorische Prozesse des Ausgleichs. Das war ein wichtiger Aspekt, in dem es sich der Antikommunismus bequem machen konnte, der sich durch alle politischen Parteien zog. Insbesondere auch in der SPD, die ja stets, spätestens seit der USPD, immer große Kräfte aufgebracht hat, sich gegen links abzugrenzen, bis heute. Diese bequeme Diskurslage, man könnte fast sagen, diese Diskursmatratze, haben die Leute bis heute nicht verlassen, obwohl sich radikale Veränderungen auch in Deutschland eingestellt haben. Seit den neunziger Jahren wurde der alte Nachkriegskompromiss aufgelöst, die Marktordnung garantiert eben nicht mehr sozialen bzw. demokratischen Ausgleich.

Zur Person

Joseph Vogl, Jahrgang 1957, forscht und lehrt als Philosoph und Literaturwissenschaftler in Berlin und Princeton. Das Gespenst des Kapitals von 2010, eine Poetologie des Finanz- und Wirtschaftssystems, wurde zum Bestseller. In Der Souveränitätseffekt (2015) befasst sich Vogl mit der zunehmenden Ökonomisierung des Regierens

Das war eine Abkehr vom Sozialstaat?

Man könnte es die Umkehr einer langfristigen wirtschaftlichen Entwicklung nennen. Bis in die Wirtschaftskrisen der 70er Jahre haben u.a. Steuerpolitik und starke Gewerkschaften dafür gesorgt, dass dramatische Einkommens- und Vermögensunterschiede moderiert wurden. Spätestens seit Ende der 70er Jahre hat sich dieser Trend umgedreht. Wirtschaftshistorisch einschneidend sind nicht die „schallenden Ereignisse“, wie Fernand Braudel sagen würde, also lautstarke Krisen und Crashs wie 2008, sondern die schleichenden, zunächst kaum spürbaren Veränderungen.

Der Weg in den Neoliberalismus also?

Etwa in der Reihenfolge: Eingeleitet natürlich durch Thatcher und Reagan in den USA und Großbritannien, Kampf gegen die Gewerkschaften, in den USA die Fluglotsen, in Großbritannien die Bergarbeiter, neue Steuerprivilegien, Privatisierungen, Liberalisierung der Finanzmärkte, Austeritätspolitik. Auch in Deutschland: die Reduktion von Unternehmens- und Körperschaftssteuern, von Steuern auf zinsbringende Vermögen, Arbeitsmarktreformen. Und plötzlich, im neuen Jahrtausend, ist man in einer Situation angekommen, in der die Berufung auf die alten Idole der Nachkriegszeit, ‚freie Märkte‘, ‚soziale Marktwirtschaft‘ etc., seltsam schal geworden ist. Man redet an der akuten Lage vorbei. Aber vielleicht hat Kühnerts so ungehörige Bemerkung noch einen Seitenaspekt: Es könnte ja sein, dass gerade der Untergang des Sowjetregimes samt seiner Trabanten, also der Untergang dieses Schreckgespenstes, gründliche Fragen nach Alternativen zum Kapitalismus erst ermöglicht hat. Man kann ja nicht mehr ‚nach drüben‘, ins Land der Finsternis, geschickt werden.

Sie meinen einen Sozialismus jenseits des real existierenden Sozialismus?

In der Binnendifferenzierung hat Kühnert die Dinge ja klargestellt: Es geht nicht um Planwirtschaft, Staatswirtschaft oder Einparteienherrschaft. Man kann sehr viel von diesem Schreckenspotential – man denke an die Rote Socken-Kampagne – rhetorisch und diskursiv so abrüsten, dass auch für empfindliche Gemüter wenig unverdaulicher Rest bleibt. Mit ‚sozialistisch‘ ist also weder ein Umsturz noch ein Angriff auf demokratische Grundordnungen gemeint, im Gegenteil. Es geht um die Dinge, die Artikel 15 des Grundgesetzes einräumt: um Fragen nach dem Verhältnis zwischen Gemeinwohlinteressen und Geschäftsmodellen, um die Frage, ob ‚Vergesellschaftung‘ ein Weg zur Rettung von Gemeingütern sein könnte, ganz unjuristisch formuliert. So würde ich das gerne verstehen: als einen Aufruf zum Austritt aus der selbstverschuldeten politischen und ökonomischen Phantasielosigkeit. Frederic Jameson sagte einmal, wir könnten uns heute eher den Untergang der Welt als den des Kapitalismus vorstellen. Das ist wohl richtig und ganz und gar trostlos. Wir leiden an einer manifesten Sklerose unserer politischen Einbildungskraft. Wenn hier also das Reizmittel ‚Sozialismus‘ tatsächlich für etwas Vitalerregung sorgt, ist das nur erfreulich. Es muss nicht ewig so weitergehen.

Warum gibt es hierzulande kein sozialistisches Erfolgsnarrativ?

Zunächst stellt sich die Frage, ob man den Begriff eher ökonomisch oder politisch besetzt. Eine ökonomische Besetzung würde sich schlichtweg auf bestimmte Geschäftspraktiken beziehen. Genossenschaftliche Unternehmen oder Geschäftsmodelle, bei denen die Werterhaltung gegenüber der Gewinnmaximierung den Vorrang hat. Das lässt sich durchaus noch marktökonomisch begründen, kann aber auch ‚sozialistisch‘ umgesetzt werden, etwa durch die Erhöhung kollektiver Beteiligung an bestimmten Betriebsformen.

So versteht man den Begriff "Sozialismus" in Deutschland ja meist nicht.

Vielleicht kommt noch etwas dazu, das mit einer lange zementierten Gedankenverbindung zu tun hat. Unternehmertum, freier Markt, Wettbewerb und die damit assoziierten Aussichten sind stets mit melodramatischen Erfolgsnarrativen verbunden, die halbbewusst, sozusagen in der Unterwäsche des ökonomischen Bewusstseins aufgerufen werden. Das reicht vom alten Robinson auf seiner einsamen Insel bis zum amerikanischen Traum. Während die Vokabel des Sozialismus – auch lange eingeübt – mit leeren Regalen, Massenaufmärschen, Kleingartenglück, Zweitaktmotor und Urlaub im Gewerkschaftsheim assoziiert ist. Dabei ist der amerikanische Traum so tot wie die Zonengrenze. Also Schluss mit diesen Erzählungen.

Wäre die Erregung insgesamt geringer, wenn Deutschland keine Abstiegsgesellschaft, wie es der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey nennt, wäre? Wenn es schlicht mehr Aufstiegschancen für mehr Menschen in diesem Land gäbe?

Etwas unlauter, also psychologisch formuliert, könnte man sagen, dass man hier auf eine politische Verdrängung gestoßen ist, auf Ungleichheitsdramen, über die man – wie über kleine schäbige Familiengeheimnisse – besser nicht oder nur verhohlen spricht. Etwa über eine Spreizung der Eigentums- und Vermögensverhältnisse, die geradezu erhaben, also unvorstellbar anmutet: 45 Haushalte in Deutschland haben soviel Privatvermögen wie die untere Hälfte des gesamten Rests. Und circa 40 Prozent haben kein oder nur Minus-Vermögen. Der Kapitalismus ist wieder in eine extremistische Phase eingetreten. Es verwundert nicht, dass man im amerikanischen Vorwahlkampf über die Zerschlagung Googles nachdenkt, wie einst, Anfang des 20. Jahrhunderts über Anti-Trust-Gesetze und die Zerschlagung von Rockefellers Standard Oil.

Der Schrecken des Unternehmers, wie wir ihn kennen!

Es gibt diesen „Unternehmer“ nicht. Es gibt Unternehmer, die betreiben KFZ-Betriebe, und es gibt Unternehmen, die Monopolisten auf den Weltmärkten sind. Es gibt Märkte, auf denen irgendwie Wettbewerb herrscht, und andere Märkte, die zu Monopol- oder Oligopolbildungen streben, Informationsmarkt, Energiemarkt. Ein redegewandter Vertreter der letzteren, Peter Thiel, Milliardär und Gründer von Paypal, hat das unverblümt formuliert: Wettbewerb ist beschwerlich, wir wollen ihn nicht, das Leben wird leichter, wenn man es gütigen Monopolisten überlässt. Damit hat der Meister, der eine KFZ-Werkstatt führt, nichts zu tun.

Aber auch Mechanikermeister hängen durchaus an ihren sieben Sachen.

Der rechtliche Einheitsbegriff des Eigentums zerfällt materiell in die unterschiedlichsten Dinge. ‚Ich bin, was ich habe, was ich mir erarbeite‘, mein Haus, mein Auto, mein Wohnzimmer, meine Werkstatt – seit dem 18. Jahrhundert, seit den Ideen einer ‚bürgerlichen Gesellschaft‘ gehört das zur Ausstattung, zur Eigentümlichkeit des modernen Subjekts. Eigentum stabilisiert die Ich-Substrate. Etwas anderes ist – mit Marx gesprochen – das Eigentum an Produktionsmitteln: Dieses Eigentum existiert nur unter der Bedingung, dass es anderen nicht gehört und sie also zwingt, es mit ihrer Arbeitskraft zu versorgen. Und vielleicht muss man noch eine dritte Form unterscheiden, die der Soziologe und Ökonom Thorstein Veblen „absentee ownership“ nannte, heute würde man wohl „shareholder“ sagen: ein Eigentümer, der nur abstrakt mit seinem Eigentum zu tun hat, auf den Weltmärkten herumspaziert und sich mit seinem Kapital nur kurz und vorübergehend dort niederlässt, wo das Gewinnversprechen maximal ist. Ein entpflichteter Eigentümer also, gegenüber dem der alte kapitalistische Unternehmensfürst wie ein Hausvater aussieht.

Welche Folgen hat das?

Eine der Konsequenzen kann man in der Entwicklung dessen erkennen, was heute Plattform-Kapitalismus heißt. Unternehmen wie Google, Uber, Airbnb etc. Deren astronomische Börsennotierungen – Uber höher als BMW, Airbnb höher als Hilton – werden nicht zuletzt dadurch generiert, dass sie sich von Verpflichtungen gegen erdenschweres Fixkapital und unbequemen Arbeitskräften freimachen konnten. Das Finanzkapital liebt solche Freiheiten und investiert darum – wie Goldman Sachs – kräftig in solche Unternehmen.

Wir sprechen also letztlich über einen Effekt der Globalisierung?

Ja. Die geopolitische Ordnung hat sich zu einer geoökonomischen verändert. Am Beispiel der Informationsindustrie sieht das etwa so aus: Die Rohstoffe, etwa für Mobiltelefone, werden in Afrika geschürft, unter archaischen Ausbeutungsverhältnissen, Zwangsarbeit, kriminelle Banden. Die Produktion geschieht in Billiglohnländern, Überlebensminimum, vor allem Asien. Gewinne werden in Steueroasen verschoben und dann in Akkumulationszentren – wie Silicon Valley – ausgeschüttet. Der gegenwärtige Kapitalismus funktioniert wie ein Schaubild seiner Geschichte. In der kalifornischen Sonne könnte man also, mit ein wenig Recherche, auch ein Tor mit dieser Aufschrift finden: „Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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