Fake News unfaked

Medien Donald Trump machte den Begriff ‚Fake News‘ vor genau zwei Jahren zu einem Kernbegriff seiner politischen Propaganda. Höchste Zeit für einen Faktencheck
Wenn Elefanten von Mücken sprechen
Wenn Elefanten von Mücken sprechen

Foto: Win McNamee/Getty Images

Fake News lauern, überall. Und fast täglich wird die angebliche Bedrohung unserer echten Wirklichkeit durch immer neue Fälschungsfiguren beschworen: Fake Likes. Fake Accounts. Fake Science. Fake Products. Fake Photography. Die Fakes wohnen so sehr mitten unter uns, dass sogar Mark Zuckerberg, der jedes Jahr einem persönlichen Reflexionsmotto unterstellt (wie etwa im Jahr 2015: ‚Bücherlesen‘ – LOL) sich dieses Jahr das Thema Fake News verordnet hat.

Die Debatte um Fake News ist bizarr schillernd, dagegen ist der Begriff merkwürdig nebulös und unterbestimmt. Wenn man ihn (was oft geschieht) bis zur Unkenntlichkeit verallgemeinert, dann sind Fake News tatsächlich so alt wie die Lüge und damit wie die Menschheit. Dann kann man tatsächlich etwa Ramses II. zum Urvater der Fake News erklären, der nach der verlorenen Schlacht von Kadesch (1274 v. Chr.) seinen ruhmreichen Triumph in Stein meißeln ließ: Nicht weniger als 2.500 hethitische Streitwagen soll der Pharao mit eigener Hand zurückgeworfen haben.

Apropos Ramses: Viele meinen auch, dass Fake News etwas mit Trump zu tun hat, der übrigens (wen wundert’s?) für sich nichts weniger als die ideengeschichtliche Errungenschaft reklamiert hat, den Begriff Fake News erfunden zu haben. Trumps Auffassung von Fake News ist in ihrer Komplexität erwartungsgemäß überschaubar. Er bezeichnet einfach alle Informationen, die ihm nicht passen, als ‚Fake News‘, was bei diesem Lügenpräsidenten wiederum immer neues Futter für empörte Schlagzeilen liefert, wonach Trump selbst der größte Produzent von Fake News sei.

Trump legt einen PR-Stunt hin

Dass diese ganz unterschiedlichen Phänomene aber nicht wirklich dasselbe sein können, ist aber nun ebenso klar. Was ist aber nun der Kern des aktuellen Phänomens? Die Ausbreitung dessen, was wir heute als Kernauffassung von ‚Fake News‘ verstehen würden, lässt sich etwa seit fünf Jahren beobachten: Frei erfundene Nachrichten, die sich viral über Social Media verbreiten, mit Clickbait-Schlagzeilen wie: „Pope Francis Shocks World, Endorses Donald Trump for President“, oder: „Death Row Inmate Eats an Entire Bible as his Last Meal.“ Diese werden von zumeist eher trashigen Pseudo-News Websites verbreitet, deren Domainnamen aber vortäuschen, ‚echte‘ Nachrichten zu liefern (unübertroffen ist „YourNewsWire.com“ mit dem überzeugenden Slogan: „News. Truth. Unfiltered.“).

Auf die Agenda der Massenmedien geriet der Begriff jedoch auf eine ebenso bizarre wie verschlungene Weise vor exakt zwei Jahren: ‚Fake News‘ als Bezeichnung für ‚gefälschten Nachrichten‘ war durchaus schon seit etwa 2013/2014 ein fester Begriff in der publizistischen Landschaft gewesen. In den Tagen nach dem Wahlsieg von Donald Trump geisterten dann erste Mutmaßungen durch die Presse, ob solche ‚Fake News‘ etwas mit dem Wahlausgang zu tun haben könnten.

Dies nutzte Paul Horner, einer der ‚prominentesten‘ Fake News Produzenten, der auch schon zuvor durch publikumswirksame Aktionen die Aufmerksamkeit der traditionellen Medien auf sich gezogen hatte, für einen erneuten PR-Coup, den er bezeichnenderweise nicht über eine seiner Onlineportale, sondern durch ein Interview mit der Washington Post lancierte, das genau vor 2 Jahren, am 17. 11. 2016 veröffentlicht wurde – er selbst habe mit seinen plump gefälschten Nachrichten den Trump-Anhängern nur demonstrieren wollen, wie unfassbar dämlich sie seien, und auf diese Weise Donald Trump ins Weiße Haus gebracht. In einer erneut ironischen Wendung kursierte dieser Artikel mit der Headline „I think Donald Trump is in the White House because of Me“ dann wieder ausgerechnet über Social Media durch die Welt und lieferte Paul Horner und eben auch dem ‚Fake News‘-Begriff dadurch eine weitere Welle an Publizität.

Es dauerte dann nur etwa drei Wochen, bis Donald Trump und sein PR-Apparat die enormen Potenziale dieses erst jetzt wirklich trendigen Begriffs für sich entdeckten – am 10. Dezember nutzte Trump den Begriff selbst erstmals, und zwar zur Denunziation von CNN, und machte ihn fortan zu einem tragenden Pfeiler seiner destruktiven Propaganda.

Dabei handelte es sich um eine jener für Trump typischen, leider äußerst erfolgreichen ‚feindlichen Übernahmen‘ politischer Sprache – indem er dem Begriff seinem eigentlich ursprünglich linksintellektuell-kulturkritischen Orbit entriss und ihm einen eigenen ‚Spin‘ mit entgegengesetzter Wertung verpasste, um auf diese Weise eine maximale Verwirrung zu stiften.

Diese Story bezieht nun ihrerseits eine ungeheure Scheinevidenz aus der reinen Mechanik der trumpistischen Twitterkommunikation. Will heißen: Da Trump wie kein Präsident vor ihm mit Twitter über einen eigenen Informations-Gateway mit seinem Publikum kommuniziert, geraten die ‚nur‘ gefilterte und vermittelte Berichterstattung klassischer Medien wie Fernsehen und Presse im Vergleich zu diesem Direktkanal zwangsläufig ins Hintertreffen. Nicht umsonst verbreitet Trump seine Botschaften über einen Kanal mit dem Titel @realDonaldTrump. Alles andere erscheint im Vergleich dann per se nur als ‚fake‘.

Babylon Washington

Damit besetzte Trump nicht nur den Begriff ‚Fake News‘ für sich, sondern zündete eine propagandistische Nebelkerze durch seine (leider erfolgreiche implementierte) Sprachverwirrung. Die Massenmedien wurden dabei Opfer von zwei Schüben trickreichen Agendasettings: Zunächst übernahmen sie willig Paul Horners Kontrast-Narrativ vom Zauberlehrling (plakativ gesprochen: Donald Trump ist Präsident geworden, weil ein paar Spaßvögel sich einen irren Scherz erlaubt haben, der dann eine ungeheure, unkontrollierbare Eigendynamik entwickelt hat). Danach usurpierte Trump den Begriff, was die etablierten Medien erwartungsgemäß auf ihn selbst sowie die rechte Mediasphäre zurückspiegelten.

Über dieses ganz erstaunliche politisch-semantische Stellungspiel sind wesentliche Fakten in vielen Aspekten verschütt gegangen. Zunächst einmal ist offensichtlich, dass ‚Fake News‘ jetzt drei zwar verwandte, aber eben doch recht unterschiedliche Phänomene bezeichnet: (1) Nachrichten die Trump nicht gefallen; (2) gefälschte Nachrichten; (3) ideologisch durchtränkte propagandistische Botschaften aus dem Gravitationsfeld von Fox News, Breitbart und vor allem von Trump selbst.

Klarheit lässt sich in diese Konfusion vor allem dadurch bringen, dass man die drei verschiedenen Bereiche einzeln behandelt:
(1) Die Beschimpfung der etablierten Nachrichtenmedien als ‚Fake News‘ durch Trump erweist sich im Rückblick als Manöver, welche die Konfusion überhaupt erst hergestellt hat.

(2) Dagegen ist das ‚ursprüngliche‘ und ‚eigentliche‘ Phänomen der ‚Fake News‘ (‚gefälschte Nachrichten) ebenso real wie überbewertet. Tatsächlich ist das Phänomen ‚gefälschter Nachrichten‘ die Schattenseite von Nachrichten, und zwar solange es Nachrichten gibt, also seit dem 16. Jahrhundert. Tatsächlich lassen sich ‚Wellen‘ solcher Fake News häufig in Zeiten beobachten, in denen sich neue Medien etablieren, die heutigen ‚Fake News‘ sind sicherlich ein Reflex der gesellschaftlichen Durchsetzung von Social Media.

Wenn man die Situation mit ähnlichen Epochen aus der Geschichte der Medien vergleicht, erscheinen solche ‚gefälschten Nachrichten‘ als durchaus wiederkehrendes Phänomen eines profitorientierten ‚Nachrichtenprekariats‘, das meist die grassierende Unsicherheit der Menschen in Bezug auf das zum jeweiligen Zeitpunkt ‚neue‘ Medium zu nutzen weiß. Solche Fake News waren zu allen Zeiten ärgerlich – aber man sollte darüber nicht in Panik geraten. Dass solche Trash-Sites wirklich das amerikanische Wahrergebnis beeinflusst haben, darf bezweifelt werden.

Die rechte Giftküche

(3) Trumps politischer Erfolg ist dagegen sicherlich vor allem durch die Emergenz eines erstaunlich jungen, völlig neuen und weitgehend vom publizistischen Restuniversum abgetrennten, rechtsradikalen medialen Ökostsystems katalysiert worden, also durch Fox News, Breitbart, Infowars und so fort. Aber die Texte solcher Formate und Portale treten (mit wenigen Ausnahmen) eher selten in der Gestalt ‚echter‘ Fake News auf – es handelt sich vielmehr um eine toxische Mischung aus einseitig zugespitzten Fakten, primitiver und paranoider Meinungsmache, verschwörungstheoretischem Denken, rechtslastigen Phantasien und propagandistischen Übertreibungen.
Der eigentlich erschreckende Befund ist, dass diese neuen Medienangebote Befindlichkeiten, Meinungen und Auffassungen großer Bevölkerungsteile bedienen, die diese offenbar nur dort beantwortet bekommen und nicht mehr in den etablierten Massenmedien. Dies erklärt einerseits das merkwürdige Phänomen der ‚Blasenbildung‘ einer isolierten ‚tribalen Epistemologie‘ auf der rechten, nicht jedoch auf der linken Seite des politischen Spektrums. Es erklärt aber zweitens den merkwürdigen Umstand, dass so viele Fake News rechtslastige Inhalte liefern – es handelt sich hierbei weitgehend um medienökonomisches Kalkül und weniger um genuin ‚propagandistische‘ Motive.

Das ungeheure Ungleichgewicht von Fake News zugunsten Trumps liegt nämlich weder an einer ‚filter bubble‘ (denn eine solche müsste auf der linken ebenso wie auf der rechten Seite des politischen Spektrums gleichermaßen wirken), noch an greifbaren demographischen Merkmalen. Um eine Formulierung von Michael Seeberg zu verwenden: Es liegt daran, dass die Menschen, die solche Nachrichten konsumieren, solche Nachrichten konsumieren wollen.

Es ist also an der Zeit, eine verwirrenden Debatte neu zu formatieren, schon allein, um nicht erneut Opfer von rechtem propagandistischem Agendasetting zu werden. Fake News sind sicherlich ein störendes Epiphänomen sozialer Medien, aber nicht der Grund für das Überhandnehmen nationalistisch-chauvinistischer rechter Ideologien – zu diesem Schluss gelangt auch eine Harvard-Studie von Yochai Benkler.

Viel bedrohlicher ist die Emergenz eines neuartigen, paranoid-propagandistischen Netzwerks, das sich zunehmend von alternativen Informationsquellen abschirmt und isoliert, welches aber zugleich erschreckend erfolgreich im politischen Agendasetting ist – sprich: Es wird in Zukunft nicht ausreichen, darauf lediglich mit kritischer Empörung zu reagieren und das ganze als ‚Fake News‘ abzutun. Entscheidend wird sein, eigene, überzeugendere und wuchtigere positive Akzente zu setzen, und genau dadurch die irregeleiteten Blasenbewohner rechten Gedankenguts wieder für die Sphäre differenzierter Berichterstattung zu öffnen.

Dr. Martin Andree unterrichtet Medienwissenschaft an der Universität zu Köln

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