Ein Schelm, wer dabei Böses denkt: Ausgerechnet aus der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft Österreichs kam Ende Juni die Nachricht, dass man Journalistinnen und Journalisten nahelegt, sich auf sozialen Netzwerken nicht politisch zu positionieren. Die fälschlich an Angestellte des ORF versandten „Social-Media-Leitlinien“ verpflichten diese dazu, auf Facebook, Twitter etc. auf Äußerungen zu verzichten, die „als Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und ‚Polemik‘ gegenüber politischen Institutionen, deren Vertreter/innen oder Mitgliedern zu interpretieren sind“. Ebenfalls verzichtet werden soll auf „öffentliche Kommentare in sozialen Medien, die eine vore
oreingenommene, einseitige oder parteiische Haltung zum Ausdruck bringen, die Unterstützung derartiger Aussagen und Initiativen Dritter sowie die Teilnahme an derartigen Gruppen, sofern damit die Objektivität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des ORF konterkariert würde“. Das könne auch indirekt erfolgen, etwa „durch Zeichen der Unterstützung/Ablehnung wie Likes, Dislikes, Recommends, Retweets oder Shares“.Das von Generaldirektor Alexander Wrabetz unterzeichnete Dokument begründet den Zwang zur Neutralität nach Feierabend damit, dass vor allem diejenigen Angestellten des ORF, „die aufgrund ihrer öffentlichkeitswirksamen Tätigkeit oder Stellung als in besonderer Weise mit dem ORF verbunden wahrgenommen werden“, eine besondere Verantwortung trügen: Sie dürften keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass ihr Arbeitgeber seinen verfassungsrechtlichen Aufgaben auf integre und rechtskonforme Art und Weise nachkomme: „Objektivität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit sind die verfassungsrechtlich garantierten wie geforderten Grundlagen öffentlich-rechtlichen journalistischen Arbeitens.“ Meinungsfreiheit sieht man als Gefahr für die „Glaubwürdigkeit“ des Senders. Das alles passt zu einer rechten Regierungsmehrheit, der ein US-Präsident als stilles Vorbild dient, der einen „Fake Media Award“ auslobte, um missliebige Berichterstattung an den Pranger zu stellen, oder ein ungarischer, der journalistische Kritik auf ein „Netzwerk der Soros-Mafia“ zurückführt. Man will Kritik unwahrscheinlich machen. Kritik, die von Leuten geäußert wird, die von Berufs wegen Expertinnen und Experten des Wortes sind. Auch wenn Kanzler Sebastian Kurz auf Distanz ging, Meinungsfreiheit „ein hohes Gut“ nannte, weist der Skandal um die geleakten Richtlinien auf grundlegende Probleme hin, mit denen es Journalismus in einer veränderten, digitalen Öffentlichkeit zu tun hat.Immanuel Kant sprach zu einer Zeit, als die Öffentlichkeit, wie wir sie bis vor Kurzem kannten, noch in den Kinderschuhen steckte, von zwei Arten, Vernunft zu gebrauchen: einer privaten stellte er eine öffentliche zur Seite und verstand unter öffentlichen Äußerungen verwirrenderweise solche, die man als Privatperson macht. Private Äußerungen nannte er in seiner Beantwortung der Frage: Was heißt Aufklärung? von 1784 solche, die man in einem „anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte“ machen dürfe. Ein Offizier etwa sollte sich beim Kommentieren von Befehlen gefälligst zurückhalten, während es ihm unbedingt erlaubt sei, Kritik an der Zweckmäßigkeit gewisser militärischer Dinge öffentlich zur Diskussion zu stellen.Diese Rollentrennung geht auf die Religionskriege der Neuzeit zurück: Thomas Hobbes entwarf 1651 im Angesicht des konfessionell motivierten Gemetzels seiner Zeit im Leviathan einen Staat, der seinen Bürgern zwar das Recht absprach, für ihre weltanschaulichen Überzeugungen zu kämpfen, diese im Gegenzug aber zur schützenswerten Privatsache erklärte. Wie diese im 18. Jahrhundert zunächst in Geheimgesellschaften und Kaffeehäusern diskutiert wurden und schließlich unterstützt von neuen Verbreitungsmedien zur Grundlage einer „räsonierenden Öffentlichkeit“ wurden, kann man bei Jürgen Habermas oder, freilich in weniger optimistischer Art und Weise, auch bei Rheinhart Koselleck nachlesen.Huch, was habe ich da geteilt?Öffentlichkeit lebt also von der Differenz zwischen privaten Überzeugungen und repräsentativer Funktion: Parlamentsabgeordnete sprechen in Deutschland als Abgeordnete nicht als Privatpersonen, nicht einmal als Mann oder Frau mit oder ohne Migrationshintergrund, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger. Was sie sonst noch denken, glauben oder fühlen, was sie abends am Tresen von sich geben, ist Privatsache, so die schöne Theorie, die auch für Journalistinnen und Journalisten gelten sollte. Als solche repräsentieren sie ihr jeweiliges Medium, als Privatpersonen äußern sie private Meinungen.Natürlich sind Angestellte öffentlich-rechtlicher Medien besonders verpflichtet, hehre Maßstäbe an Objektivität anzulegen. Aber auch für Meinungsmedien wie dieses, das Sie gerade lesen, muss gelten, dass Fakten nicht durch private Überzeugungen verfälscht werden, selbst wenn „Objektivität“, wie sie Wrabetz fordert, bestenfalls ein Ideal darstellt, da Medien immer nur Teile der Wirklichkeit abbilden. Das gilt für den Freitag wie für die Tagesschau. Die Verpflichtung zu größtmöglicher Objektivität während der Arbeitszeit heißt im Umkehrschluß auch keinesfalls, dass Journalistinnen und Journalisten in ihrer Freizeit bevorzugt Lügen verbreiten.Facebook und Twitter verkomplizieren die Lage im Bezug auf die Rollen, in denen man sich hier bewegt: Wo sich Familienfotos mit Lieblingssongs abwechseln und eigene und fremde Artikel nicht nur geteilt, sondern auch kommentiert werden, verschwimmt die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem. Das ist für die schreibende Zunft ein vielleicht größeres Problem als für andere Berufsgruppen. Poste ich den Aufruf zu einer Tierschutzdemo als Privatperson, wo ich gerade den Artikel aus dem Freitag geteilt habe, der das blutige Walschlachten auf den Faröer-Inseln schildert? Reagiere ich auf Kritik an meinem eigenen Artikel über einen Hochhausbrand in London als Angestellter des Freitag? Ist mein Kommentar zu einem Blogeintrag, den ich für so typisch für die Denke der neuen Rechten halte, dass ich ihn teile, als Stellungnahme einer linken Wochenzeitung zu lesen? Und huch, habe ich da nicht gerade einen Text verbreitet, der nicht nur meinen politischen Überzeugungen zuwiderläuft, sondern auch einer wie auch immer weit gefassten Blattlinie? Schließlich: Lesen das jetzt nicht auch deshalb viele Leute, weil ich eben Redakteur dieser Zeitung bin? Es ist kompliziert geworden, das Problem ist freilich älter: Darf ich als Journalist Mitglied einer Partei sein? Und wenn ja: welcher? Und welcher nicht? Oder, wie ich vor Kurzem, natürlich auf Twitter, gefragt wurde: Darf ich sonntags auf eine Demo gegen die AfD gehen und montags über diese Partei berichten?Vorauseilender GehorsamEs gibt Strategien gegen diese Unsicherheiten. Auf Twitter liest man oft den Vermerk „privat hier“, die Formel „rt ≠ endorsement“ signalisiert, dass man nicht alles unterstützt, was man teilt. Auch Zeitungen reagieren: Die New York Times hat Social-Media-Richtlinien, auf die man sich in Wien übrigens beruft. Auch in New York sind sie eine freilich anders gelagerte Antwort auf einen Präsidenten, der nicht nur mit der eigenen Medienpräsenz – bezeichnenderweise benutzt Donald Trump nicht den offiziellen „Potus“-Twitter-Account sondern seinen privaten, was die Trennung zwischen Amt und Person bis zur Unkenntlichkeit verwischt –, sondern auch mit der Kritik an scheinbaren „Fake News“ eine Atmosphäre geschaffen hat, in der Journalismus einer permanenten Hermeneutik des Verdachts ausgesetzt ist. Ein Stück weit ist es vorauseilender Gehorsam, wenn die wichtigste Zeitung der USA das Recht ihrer Angestellten auf Meinungsfreiheit beschneidet, weil man fürchtet, User könnten Privates und Journalistisches nicht trennen. Und ein Stück weit ist es eine Geringschätzung der Intelligenz dieser User.Indem sie Öffentliches als privat zeigen und Privates in einer Weise öffentlich machen, bei der man nicht immer sicher sein kann, als was jemand da eigentlich spricht, können soziale Medien zum Motor einer Entwicklung werden, in der das Vertrauen in die repräsentative Demokratie schwindet. Öffentlichkeit steht und fällt aber mit der Möglichkeit, in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Rollen einnehmen zu können. Statt sie mit Maulkörben für Angestellte weiter zu erodieren, sollte man auch in der journalistischen Arbeit betonen, dass Autorinnen und Autoren mehr sind als Angestellte mit oder ohne Bildungsauftrag.
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