In Kanada steht eine Kirche, die Notre-Dame aufs Haar gleicht – vor dem Brand. Wenn das Publikum nicht zur Attraktion kommt, muss die Attraktion zum Publikum kommen. Kulturkritiker mögen den Trend beklagen. Kopien sind aber da sinnvoll, wo Originale gefährdet sind und eine Verdopplung ihre Bewahrung verspricht.
In Weimar, so stand es in der Zeitung, plant man ein virtuelles Goethehaus. Vis-à-vis dem „echten“, am Frauenplan, das Herzog Carl August 1792 für Goethe kaufte. Das muss jetzt dringend renoviert werden. Ein virtuelles Goethehaus böte „fantastische Möglichkeiten, mit Goethe und seiner Lebenswelt auf hohem Niveau etwas anzufangen“, wittert Wolfgang Holler von der Klassik Stiftung den Kollateralnutzen. „Was dem Herrn der Ringe oder Harry Potter recht ist, sollte Goethe billig sein.“ Cross the border – close the gap? Na gut.
Stand vielleicht Goethes Gartenhaus II Pate beim Traum von Johann Wolfgang Superstar? Gartenhaus I, das Original, liegt idyllisch in der Ilm-Aue, nebst dem von Goethe selbst angelegten englischen Landschaftsgarten, Kräuter- und Gemüsebeeten und einer Streuobstwiese. 1999 wurde Weimar Kulturhauptstadt. Daher stellte man ein ganz leeres, ganz gleiches Haus in Sichtweite des echten aus dem 16. Jahrhundert auf.
Die Pfirsiche waren tabu
Dass man Großes vorhatte mit dem Haus, dieses Gerücht hält sich hartnäckig in Weimar: verkaufen, nach Japan, für fantastisches Geld! Oder sollte man das Original verschachern, man hatte ja die Kopie? Seit 2002 steht die nun in der Nähe der Toskana Therme in Bad Sulza im Weimarer Land. Zu besichtigen und auch als „Hochzeitshaus“ nutzbar. Eintritt: drei Euro.
Wer nach Bonn kommt, um Goethes Gärten. Grüne Welten auf dem Dach der Bundeskunsthalle zu sehen, wird auch Goethe. Verwandlung der Welt besuchen. Mimetisch Sensible werden schon im ersten Ausstellungsraum ins Grübeln geraten. Denn wer sehen wollte, wo Goethe die Kindheit verbrachte, müsste im Frankfurter Großen Hirschgraben ein Haus betreten, das 1944 zerstört und, kaum in Schutt und Asche gelegt, zum Zankapfel wurde.
Da stritten solche, die das Haus 1:1 wiedererbauen wollten, mit solchen, die an seiner Stelle Neues wollten. Manche derer, die die Trümmer als Menetekel kriegerischer Unkultur bewahren wollten, waren Nazis, die damit die Unkultur der Alliierten meinten. Man baute nach. Und zwar 1:1.
Weitere Kapitel der informativen Ausstellung – Italien, Faust, Farbenlehre – abschreitend, werden sich Goethe-Leser fragen, ob die Worte, die Bundespräsident Wulff aus dem Divan nahm, als er die Selbstverständlichkeit aussprach, der Islam gehöre heute zu Deutschland, wirklich mehr waren als ein Bildungszitat – und warum man der Sache so viel Raum gibt. Auf dem Weg aufs Dach wird mancher eher an die Passagen aus Dichtung und Wahrheit denken, die dem Garten des Großvaters gewidmet sind: verbotene Pfirsiche und Beerenbüsche, an denen sich die „Genäschigkeit“ der Kinder, die vor den „pädagogischen Bedrängnissen“ des Vaters geflohen sind, schadlos hält. Oder die „altertümlichen ledernen Handschuhe“ Johann Wolfgang Textors, der allabendlich nach getaner Arbeit der Gartenarbeit frönte.
Gartenkultur wird in Goethes Schriften eine Rolle spielen, etwa im schweren Zeichen der Pfropfreiser in den Wahlverwandtschaften. Aber auch in seinem Leben, als Gärtner. Goethes Gärtnerleben begann, wie es sich für einen Dichter gehört, mit dem Studium der Schriften Christian Hirschfelds, Gartenbautheoretiker der deutschen Aufklärung und Anhänger englischer Gartenbaukunst. Und mit dem Besuch im Wörlitzer Gartenreich bei Weimar.
Bald entsteht der Garten in der Ilm-Aue. Als Goethe aus Italien zurückkommt – in Bonn sind herrlich witzige Zeichnungen vom römischen Mitbewohner Tischbein ausgestellt, Goethe kippelt auf dem Stuhl, lümmelt auf der Couch –, zieht er an den Frauenplan. Noch ein Garten wird angelegt. Zuständig für Essbares ist Ehefrau Christiane. Das Haus selbst wurde noch zu Goethes Lebzeiten zur Touristenattraktion. Heute kommen 180.000 jährlich. Die Renovierung steht wirklich sehr dringend an.
Auf dem Dach der Kunsthalle wird enttäuscht, wer perfekte Abbilder heischt. Weniger mit Goethes Gärten als mit Goethes Pflanzen hat man es auf den ersten Blick zu tun. Dennoch ist Ordnung hier der Schlüssel. Die Wege, nicht nur die „Malvenallee“, unterteilen Beete, die von kultivierender Hand angelegt wurden. Nicht dass Goethe hier geschritten wäre, macht ihre Bedeutung aus. Das ist er ja gar nicht. Nicht, dass er diesen Ginkgo hier betrachtet hätte. Hat er nicht. Sondern dass man, Currykraut zuerst, dann Provence-Lavendel, Marokkanische Minze, Wermut und Pimpernelle, ein gärtnerisches Wissen abschreiten kann. Es wird hier aufbewahrt. Die Kopie des Altars der Agathé Tyché bräuchte es nicht dafür. Ein Gartenhaus II schon gar nicht. Das steht zum Glück auch schon in Bad Sulza.
Info
Goethes Gärten. Grüne Welten auf dem Dach der Bundeskunsthalle / Goethe. Verwandlung der Welt Bundeskunsthalle Bonn, bis 15. September
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