Heulen und Stechen

Dresdner Kontroverse Anders als Uwe Tellkamp war der bedachte Auftritt von Durs Grünbein in der sich anschließenden öffentlichen Debatte lange Zeit kaum ein Thema. Warum ist das so?
Ausgabe 11/2018
Grünbeins pointierten, überlegten Diskussionsbeiträge hätten die größte Aufmerksamkeit verdient
Grünbeins pointierten, überlegten Diskussionsbeiträge hätten die größte Aufmerksamkeit verdient

Foto: imago/IPON

Seit Tagen reden wir über Uwe Tellkamp, über die Fantasiezahl 95, darüber, dass der Verbalradikalismus wütender Kleinbürger nun die Bühnen des Kulturturbetriebs erreicht hat. Wir reden über Gesinnungskorridore und darüber, ob es sie gibt. Manch ein Scherzbold hat schon gefragt, womit diese Korridore denn ausgelegt wären. Laminat? PVC? Dass sie nach Bohnerwachs und Spießigkeit riechen, ist durchaus wahrscheinlich.

Die wenigsten haben sich aber angesichts der Dresdner Veranstaltung vom letzten Donnerstag gefragt, warum kaum einer über den Schriftsteller spricht, der im gut besuchten Kulturpalast der Stadt das Podium mit Tellkamp teilte. Dabei hat Durs Grünbein an diesem Abend doch die bessere, klügere, sympathischere Figur abgegeben.

Dass der Büchner-Preisträger und seine Redebeiträge in der öffentlichen Diskussion jetzt fast völlig abwesend sind, liegt daran, dass es seit einiger Zeit zwei dominante Sprechweisen gibt, die in der medialen Öffentlichkeit fast alle Aufmerksamkeit erfahren. Die erste ist diejenige, für die der Autor des Turms jetzt auch kritisiert wird. Man kann sie „Selbst-Viktimisierung“ nennen, das Einnehmen einer nur behaupteten Opferrolle: Da sagt jemand öffentlich, dass man das, was er sagt, öffentlich gar nicht (mehr) sagen kann. Der performative Widerspruch ist offensichtlich: Die Aussage straft sich selbst Lügen, denn dass man sie treffen kann, beweist, dass sie nicht stimmt.

Ganz so einfach ist es aber nicht: Wird zwar der Widerspruch an sich dadurch, dass man empört auf ihn hinweist, nicht aus der Welt geschafft, so schwächt ebenjene Empörung dieses Urteil in seiner argumentativen Kraft erheblich: Der Sprechakt wird nämlich dann zur self-fulfilling prophecy, wenn die Empörung sich Luft schafft und man nun seinerseits öffentlich sagt, dass das, was da behauptet wurde, öffentlich eigentlich nicht gesagt werden könne. Ein Medienprofi wie der rechte Verleger Götz Kubitschek, der in Dresden aus dem Publikum heraus in ein ganz ähnliches Horn stieß wie Tellkamp, ist ein Meister darin, solche Erregung für sich zu nutzen. Kubitschek nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, den genannten Mechanismus zu beschreiben. Die empörte Öffentlichkeit, so schrieb er angesichts des Skandals um die Platzierung seines Autors Rolf Peter Sieferle auf der NDR-Bestenliste, sei eigentlich der unbezahlte Mitstreiter in der eigenen rechten Sache.

Die zweite Sprechweise, die jetzt enorme Aufmerksamkeit erfährt, ist die agonale des Zweikampfes: Ein Beispiel dafür ist Marietta Slomka, die Alexander Dobrindt mit seiner Idee einer neuen konservativen Revolution im heute-journal dermaßen in die Ecke drängte, dass der Minister einem fast leidtat. Intellektuell viel weniger beeindruckend war Cem Özdemirs Zornrede gegen die AfD im Bundestag. Die öffentliche Reaktion auf solches Runtermachen des politischen Gegners ist aber immer ähnlich: Befriedigung. Dem oder denen wurde es endlich einmal so richtig „gegeben“. Und man kann dann auch gleich auf den fahrenden Zug aufspringen, etwa sagen, dass zum Beispiel ein Schriftsteller ja eh nicht so gut sei wie immer gesagt. Erneute Befriedigung: „Der ist ja sowieso überschätzt.“

Durs Grünbein hat da nicht mitgespielt und kommt deshalb in der öffentlichen Debatte kaum vor. Dabei hätten gerade seine pointierten, überlegten Diskussionsbeiträge die größte Aufmerksamkeit verdient.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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