Kafka cool

Ausstellung In Berlin wird das Manuskript von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ ausgestellt. Es ist auch eine Devotionalienschau, die sich aber zu besuchen lohnt
Ausgabe 27/2017

Kühl und etwas bläulich ist das Licht im mittleren der drei Räume, die der Berliner Martin-Gropius-Bau dem „ganzen Prozess“ gewidmet hat. Hier ist das Manuskript zum gleichnamigen Roman zu sehen, der den Weltruhm Franz Kafkas begründet hat. Die wertvollen 171 Seiten müssen vor allzu aggressivem Licht geschützt werden. Das erklärt die ein wenig kalte Schwimmbadatmosphäre.

1988 hat sie das Deutsche Literaturarchiv in Marbach erworben. Auf einer Auktion bei Sotheby’s in London kam die Handschrift für sagenhafte 3,5 Millionen Mark unter den Hammer, nach einer „beispiellosen Spendenaktion“, an der sich Bund, Länder und zahlreiche private Unterstützer beteiligten, wie Direktor Ulrich Raulff im speziell zur Ausstellung erschienenen Marbacher Magazin 45 schreibt. Dreieinhalb Millionen, das war in den 1980ern der höchste je erzielte Betrag für ein öffentlich versteigertes Manuskript. Kafka ist nicht nur ein „Weltautor“, dem im 20. Jahrhundert nur wenige andere das Wasser reichen können, Proust etwa oder auch Joyce, sagt der Chefarchivar. Diese Spitzenposition erkenne man auch am hohen Marktwert ihrer Autografen.

Mit allen Sinnen

Die Londoner Auktion war allerdings nur die letzte spektakuläre Station auf dem Weg des Manuskripts, das jetzt in Berlin ausgestellt wird. Und man sollte besser sagen: ausgelegt wird, denn analog zur „Hängung“ bei Bildern spricht man, wenn es darum geht, Schriftstücke im Museum zu zeigen, auch von „Legung“. Die einzelnen Seiten liegen nun also in Glasvitrinen, die in Rechteckform in der Raummitte platziert sind: Der Besucher kann so das Manuskript, die Schaukästen umrundend, betrachten und sogar lesen. Sich dem Autor beim Schreiben, Streichen und Neuschreiben nahe fühlen.

Begonnen hat Kafka den Prozess in den Anfangstagen des Ersten Weltkriegs, im Sommer 1914. Im Januar des darauffolgenden Jahres hat er die Geschichte des Josef K., der sich eines Morgens, ohne einen blassen Schimmer zu haben, warum, als Angeklagter in einem ominösen Gerichtsverfahren wiederfindet, jene Geschichte, die jeder aus dem Deutschunterricht kennt, frustriert aus der Hand gelegt.

Dem Freund Max Brod hatte er schon damals aufgetragen, das Geschriebene zu vernichten. Dem kam Brod bekanntlich nicht nach, weder zu Lebzeiten noch nach dem Tod Kafkas 1924. Zweimal rettete er somit das in über 60 Sprachen übersetzte Werk – Ausgaben aus all den Ländern, wo diese gesprochen werden, sind in einem Nebenraum zu sehen – und brachte es 1925 in Buchform heraus.

Damit aber nicht genug: Als die deutschen Truppen im März 1939 kurz vor Prag standen, packte Brod das Manuskript ins Handgepäck und emigrierte nach Palästina. Das Original ging dann nach Brods Tod an seine Sekretärin und Lebensgefährtin Esther Hoffe, die es 1988 versteigern ließ.

All das zu vergessen, während man die 171 Seiten umkreist, ist schwer. Und auch, dass Kafka sich oft im Hotel „Askanischer Hof“ aufhielt, wenn er Berlin besuchte, das sich bis 1923 in allernächster Nähe des Gropius-Baus befand. Dort kam es zur berühmten Entlobung von Felice Bauer, die im Tagebuch als „Gerichtshof“ beschrieben wird.

Aber all dies ist auch Teil der Marke Kafka. Deshalb ist es den Organisatoren auch kaum zu verdenken, dass die Geschichte des Manuskripts, der Genius Loci und das Leben des Dichters eine so große Rolle spielen. Doch wer zu sehr auf die Storys, auf das Leben des Autors und zu wenig auf seine Handschrift selbst schaut, läuft Gefahr, das Entscheidende zu verpassen. Dann verkümmert das eigentliche Zentrum der Ausstellung zur Devotionalie.

Das Wichtigste am „ganzen Prozess“, es entspricht dem kühlen blauen Licht, das auf die Schrift selbst scheint: Ein „cooles“ Medium, so schrieb der Medientheoretiker Marshall McLuhan, ist ein Medium, das mehrere Sinne gleichzeitig aktiviert. Heiße Medien dagegen richten sich an nur einen einzelnen Sinn und betäuben alles andere. Für McLuhan war der Übergang von der mittelalterlichen Manuskriptkultur zur „Gutenberg-Galaxis“ einer von kalten zu heißen Medien.

Nun sei nicht behauptet, dass man sich angesichts des Prozess-Manuskripts – schließlich einer der zentralen Texte der Moderne – in vergangene Zeiten zurückversetzen könne. Das Mittelalter kommt nicht zurück. Handschriften wie die des Prozess werden erst in Zeiten des Buchdrucks zu jenen Originalen, die wir oft fetischisieren und für die mancher ein Vermögen ausgibt. Das Interesse an ihnen hat etwas damit zu tun, dass das, was in ihnen geschrieben ist, schon gedruckt existiert und oft berühmt ist. Was wir an Manuskripten wie dem Kafkas aber erleben können, an den Streichungen, an der Textur der einzelnen Bögen, selbst wenn wir sie nicht berühren dürfen, ist das Handfeste an der Literatur. Dass sie etwas ist, was aus mehr als nur ihren Schöpfern, ihren Storys und den Geschichten, die sich um beide ranken, besteht. Das mehr ist als etwas, was wir nur lesen. Etwas, das wir mit vielen Sinnen zugleich aufnehmen. Und das ist oft nicht das Unwichtigste.

Info

Franz Kafka. Der ganze Prozess Martin- Gropius-Bau Berlin, bis 28. August

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