Augen auf im Straßenverkehr! Das ist die erste Regel der Pollerforschung, wie sie der Berliner Feuilletonist Helmut Höge seit Mitte der 1980er betreibt. Aus dem Fenster schauend, flanierend, durch Materialstudien und im Gespräch mit Entwicklern, Urbanisten und Verkehrspolitikern. Und, besonders wichtig: mit der Kamera. Die Ergebnisse dieser jahrzehntelangen alltagswissenschaftlichen Passion kann man in dem bemerkenswerten, vom Siegener Medienwissenschaftler Philipp Goll herausgegebenen Band Pollerforschung bestaunen.
Poller sind materialisierte „feine Unterschiede“, wie der Weimarer Kulturtechnikforscher Christoph Eggersglüß in einem der fünf aufschlussreichen Nachworte mit einer Wendung des französischen Soziologen Pierre Bourdieu schreibt. Diese Stadtmöbel regeln, wer oder was sich wie und wohin bewegen kann in unseren Metropolen. Aber auch in Hannover. Oft sind sie aus Metall. Die in Berlin-Kreuzberg werden auf dem hiesigen Bezirksamt liebevoll Penis genannt und sind bodenplattenverstärkt, weil sie so bei der alljährlichen 1.-Mai-Folklore weniger leicht zu Wurfgeschossen werden. Manche sind aus Waschbeton, man kennt sie als bepflanzte Blumenkübel, als Naturpoller vulgo Findling oder als senkrecht in den Boden gerammte Kanonenrohre wie vor dem Berliner Springer-Hochhaus. Hier schießt man derweil mit anderem auf Spatzen.
Verwandt sind sie mit den Speedbreakern, den „Sleeping Cops“, die auf dem Balkan „Policajac“ heißen: Bodenschwellen aus Beton sorgen auf den Straßen dafür, dass Autofahrer ihre Geschwindigkeit drosseln. Sie verwandeln Moral in Technologie, wie der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour auf den Campusstraßen von US-Universitäten beobachtet hat: „Durch diese Schwellen wird das Ziel des Fahrers einer Übersetzung unterzogen. Sein ursprüngliches lautete: ‚Fahre langsam, damit du keine Studenten gefährdest‘, die Übersetzung dagegen: ‚Fahre langsam, damit deine Stoßdämpfer geschont werden.‘ “ Da werden „einige (wenn auch nicht alle) der Eigenschaften von Beton zum Polizisten … und einige (wenn auch nicht alle) der Eigenschaften von Polizisten zu Straßenschwellen“.
So steht es auch mit den Senkrecht-Pollern unserer Städte, die bestimmen, wo geparkt werden darf und wo nicht: „Die Polizei hat es abgelehnt, da regulierend einzugreifen. Sie hat damit das Problem der Verkehrsmoral an technische Dinge abgegeben.“
Die Grundunterscheidung der Pollerforschung ist die in offizielle Staats- und inoffizielle Hausmeister-Poller: „Die meisten Hausmeister haben noch einen Nebenberuf – als Polizisten.“ Das will sagen: Mit allerlei Improvisiertem greift diese Spezies selbstmächtig ein in die Bewegungsfreiheit unserer Städte. Das führt zu wundersamen Gebilden. Zu typisch balkanischen Hybridpollern zum Beispiel, wie dem des Hausmeisters eines Hotels in Rijeka, Kroatien, der ihn aus einer modernen, schwarz angestrichenen Eisenstange und einem alten ornamentierten Sandsteinsockel zusammensetzte. Oder dem Mobilpoller eines Hausmeisters eines Hannoveraner Gewerbehofs, der „zwar sehr schön alle Eisenabfälle verwendet hat, aber die Griffe am Betonsockel sind unsinnig – ich habe es selbst ausprobiert. Man kann damit den Poller nur zu zweit tragen und selbst dann schlägt man ihn sich abwechselnd an den Kopf.“
Poller regeln, was durch darf und was nicht, aber manchmal schlägt ihnen die Geschichte ein Schnippchen. So standen die schon in der Vorwendezeit aufgestellten Nobel-Poller an der Straße des 17. Juni so weit auseinander, dass die Trabis der Nachwendezeit problemlos zwischen ihnen hindurchfahren konnten. Ob sie daher versetzt und nun, da keine Trabanten mehr fahren, zurückversetzt wurden?
Ein erhebendes Gefühl
Apropos DDR: Hier gab es keine Poller, genauso wenig wie Leitplanken auf den Autobahnen. Materialmangel. Ob sich der Furor, mit dem zum Beispiel im Bezirk Berlin-Treptow nach 1989 die Sache der Ab- und Verpollerung angegangen wurde, damit erklären lässt?
Steinern und metallen wie die Poller sind, ist ihrem Erforscher auch ihre Ökologie nicht fremd. Wo Poller ist, da ist der Mensch nicht, und so sprießt das „Pollergrün“ allerorten um sie herum, gut gedüngt von Hundepisse: „Bei allen 3,74 Millionen Pollern in Berlin bildet sich mit der Zeit durch Verwehung und durch den Schutz des Pollers eine winzige Wiese rund um die Straßenbegrenzungspfähle. Die Gräser, manchmal ist auch eine schöne Blume dabei, werden auf dem Bürgersteig nicht platt getreten, weil die wenigsten den Fuß so nahe an den Poller setzen.“
So wie die Natur sich die Poller wieder aneignet, so tut es aber auch der Mensch. Schon manch bestrickter Poller wurde bereits gesichtet. Urban Knitting. Ähnliches, schreibt Philipp Goll, erreichen Kinder, „die beim Fußballspielen virtuos um Poller herumdribbeln“. Oder jugendliche Skater, von denen man sich erzählen lassen kann, „wie erhebend das Gefühl ist, nach langem Üben trotz Pollern seine Runden drehen und sich schließlich über die sogenannte ‚feindliche Architektur‘ hinwegsetzen zu können“.
Brisant ist das Thema geworden, seit islamistische und andere Attentäter Kraftfahrzeuge als Projektile nutzen. Die Antiterror-Poller schafften es auf die Titelseiten überregionaler Zeitungen. Und mit ihnen die Probleme, die sie aufwerfen. Die Legostein-Poller bremsen einen Aufprall nur ungenügend ab. Zumal der Transport, sind sie aus Beton gegossen, überaus beschwerlich ist. Mittlerweile gibt es Poller, die mit Wasser gefüllt werden können. Lässt man das Wasser wieder ab, dann kommen sie leicht zum nächsten Einsatzort. Heil bieten im Boden versenkbare Poller, aber auch sie bekämpfen nur Symptome. Die Moral muss sich ändern, sonst ist kein Heil.
Info
Pollerforschung Helmut Höge Mit Nachworten von Ann Cotten, Christoph Eggersglüß, Philipp Goll, Frederic Ponten und Georg Stanitzek, Adocs Verlag 2018, 440 S., 28 €
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