Mehr Sand!

RAF Patrizia Schlosser sucht die dritte Generation und rutscht auf zu viel Verständnis aus
Ausgabe 36/2019

Aktiv war die RAF von 1970 bis 1998. Sie ist verantwortlich für mindestens 33 Tote. Sie nahm Geiseln, verübte Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt. 24 Terroristen und sogenannte Sympathisanten kamen ums Leben, getötet von Sicherheitskräften, durch Hungerstreiks oder Suizid. Es ist üblich, die RAF in drei „Generationen“ einzuteilen. Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und andere befanden sich ab spätestens 1974 in Haft. Nun trat eine zweite Generation auf den Plan, deren Daseinsgrund zunächst in der „Big Raushole“ bestand.

Vor allem die Zeit bis zum Tod Baaders, Ensslins und Raspes im Hochsicherheitsgefängnis Stammheim bleibt im kollektiven Gedächtnis Deutschlands präsent. Irgendwo zwischen Trauma und Pop hört die Zeit zwischen 1968 und sogenanntem Deutschen Herbst nicht auf, nicht aufzuhören: Romane wie Leander Scholz’ Rosenfest (2001), Filme wie Der Baader Meinhof Komplex (2008, angelehnt an Stefan Austs Buch von 1985), Gerhard Richters Oktober 1977 oder die Ausstellung Zeichen als Waffen. Zum Beispiel das Emblem der Roten Armee Fraktion im Buch- und Schriftmuseum Leipzig sprechen da Bände.

Den Späteren fehlte Glamour

Dass sich die ersten beiden Generationen sehr gut für den U- und E-Bereich eignen, hat Gründe. Die Akteure haben ein Gesicht – Baader beglaubigte seinerzeit Bekennerschreiben mit Fingerabdruck. Und mit Stammheim ist für manche immer noch die Frage „Mord oder Selbstmord?“ verbunden. Im Zuge der Auseinandersetzung zwischen RAF und Staatsmacht gab es in den 1970ern zudem etwa durch Rasterfahndung einschneidende Konsequenzen auch für Unbeteiligte. Mit dem Massaker, das palästinensische Geiselnehmer während der Olympiade 1972 an elf Israelis verübten, und der Entführung der Landshut 1977 hatte der deutsche Terror auch Internationalität erlangt. Obwohl die RAF gar nicht dabei war: Die Freilassung von Baader & Co stand auf der Forderungsliste.

Anders die dritte Generation. Was diese – etwa 20 Mitglieder und 250 Unterstützer–, die die Kader der frühen RAF oft nicht persönlich kannten, dazu bewog, den Kampf im Untergrund fortzusetzen, bleibt mysteriös. Dass neun Morde zwischen 1982 und 1993 letztlich unaufgeklärt sind, obwohl ein großer Teil der Täter verurteilt wurde, seine Haftstrafe absaß und wieder auf freiem Fuß ist, macht es nicht besser .

Aber dann sind da drei mutmaßliche Mitglieder dieser Generation, nach denen noch gefahndet wird: Daniela Klette, Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Und etliche Raubüberfälle, verübt nach Auflösung der RAF 1998, bei denen DNA-Spuren gefunden wurden. Die „sollen nun belegen, dass dieses Trio seit siebzehn Jahren Überfälle auf Geldtransporter und Supermärkte in Deutschland begeht“, schreibt Patrizia Schlosser in ihrem Buch Im Untergrund. Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich: „der erste 1999, der vorerst letzte Mitte 2016“. Schlosser arbeitet vor allem als Podcasterin. Zu einem Hörstück hat sie ihre Recherche zu den drei letzten gesuchten RAF-Terroristen zunächst verarbeitet; der Podcast gewann 2018 den Deutschen Radiopreis. „Dank der zahlreichen Reaktionen ... taten sich neue Spuren und Hinweise auf, neues Material kam zusammen und findet nun Eingang ... genau wie viele Szenen, die im Podcast nicht berücksichtig werden konnten“, schreibt sie jetzt.

Im Untergrund ist nicht einfach eine Reportage. Das liegt auch daran, dass Schlosser sich nicht alleine auf die Suche macht, sondern ihren Vater, seines Zeichens pensionierter Polizist, der beim desaströsen Befreiungsversuch der Geiseln von 1972 auf dem Fliegerhorst von Fürstenfeldbruck im Einsatz war, im Schlepptau hat. Ein ehemaliger Vertreter des Staates, der auch politisch nicht tickt wie die Tochter: „Pegida, neue Polizeigesetze in Bayern, Islamismus. Die Aufregerdichte ist höher geworden ...“

Es kommt zu skurrilen Begegnungen: mit zwei ehemaligen Hausbesetzern aus der Hamburger Hafenstraße, die jetzt mitten im Wald leben. Sie bedanken sich, dass die Handys im Auto gelassen wurden: Die Strahlen machen Kopfweh. Und mit einem Informanten in einer Pfälzer Kleinstadt, der die Wahrheit über die „nette Dani mit der Knarre“ weiß. Keine Raubüberfälle, im Justizministerium putzt sie!

Die drei ??? und der Terror

Achim Levi aus Pirmasens warnt aber auch, auf einer linken Internetplattform fände sich ein Aufruf, nicht mit Patricia (sic!) Schlosser zu sprechen. Paranoia setzt ein, als immer mehr mutmaßliche Zeugen Interviewzusagen zurückziehen. Die Ehemaligen halten dicht. Eine echte Spur fehlt. Auch ein Karl-Heinz Dellwo, beteiligt an der Geiselnahme in der Botschaft in Stockholm 1975, der zur Begrüßung etwas eitel fragt: „Welche Werke von mir kennen Sie?“, gibt keinen entscheidenden Hinweis.

Vielleicht liegt in der Episode aber eine kleine Wahrheit verborgen: Über den Anschlag auf das Gefängnis Weiterstadt 1993 schreibt Schlosser, als Kind habe sich ihr die Strickleiter eingeprägt, die die Täter benutzten: „Ich habe mir eine Bande mit Säbeln zwischen den Zähnen ausgemalt.“ Schlosser ist nun erwachsen, aber ein bisschen nach den drei ??? klingt diese Suche nach solchen, die selbst der Staat nicht finden kann, stellenweise doch. Dass sie sich bald von ihrem Ziel entfernt und zum Verstehens-, wenn nicht Verständigungsversuch für linken Terror wie auchStaatsmacht wird, ist vielleicht folgerichtig und schon in der Vater-Tochter-Konstellation angelegt. Ein bisschen mehr Sand im Getriebe hätte diesem oft lustigen Investigativduo aber gutgetan. So hätte der Versuch, über persönliche Erfahrungshorizonte einer historisch tödlichen Gemengelage näherzukommen, stärker überzeugt.

Info

Im Untergrund. Der Arsch von Franz Josef Strauß, die RAF, mein Vater und ich Patrizia Schlosser Hoffmann und Campe 2019, 256 S., 18 €

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

Mladen Gladić

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