Nicht alle Katzen sind grau

Repräsentation Wenn die Ministerposten so verteilt werden, wie jetzt vermutet wurde, werden wir es mit einem Kabinett ohne Vielfalt zu tun bekommen
Ausgabe 07/2018
Allegorie
Allegorie

Foto: Westend61/Imago

Glückwunsch zu einem Kabinett ohne Migrationshintergrund! Das dachte wohl mancher, als die Namen für die Besetzung der Ministerposten im neuen schwarz-roten Kabinett durchsickerten. Eine sehr deutsche Regierungsspitze. Rein westdeutsch zumal, abgesehen von der Kanzlerin. Während man bei der Gleichstellung der Geschlechter voran kommt – die Hälfte der Posten soll an Frauen gehen –, sieht es dort, wo zusammenwachsen soll, was zusammengehört, trist aus. Und auch ein Kabinett, das dem vulgären Ausdruck nach „biodeutsch“ ist, klingt zunächst wie ein Hohn: Lebten hierzulande nicht schon vor der Flüchtlingswelle 2015 21 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund? Ist es falsch, zu denken, dass die Regierung das abbilden sollte? Sollten nicht zumindest 10 Prozent der Ministerposten an Menschen mit Migrationshintergrund gehen, denn fast jeder zehnte Wahlberechtigte hier hat einen? Großzügig gerechnet also zwei Posten für solche mit mindestens einem Elternteil ohne deutschen Pass?

Die Antwort ist schwierig: Denn Minister sind, weil sie der Exekutive angehören, anders als Abgeordnete, die die Legislative bilden, nicht zwangsläufig gewählte Volksvertreter. Das Kabinett spiegelt die Bevölkerungsstruktur noch indirekter wieder als das Parlament. Bedenkt man aber, dass die Minister von der Kanzlerin eingesetzt werden, die eine gewählte Volksvertreterin ist, und dass sie meist auch welche sind, gerät die Unterscheidung zwischen Legislative und Exekutive mit Blick auf Geschlecht oder Herkunft zur Spitzfindigkeit. Wenn es also gute Gründe gibt dafür, dass auch die Minister die Bevölkerung repräsentieren sollen, muss etwas faul sein im Staat, wenn ein Kabinett so aussieht, wie das nächste aussehen könnte. Doch wen repräsentiert ein Volksvertreter eigentlich? Das Grundgesetz spricht von temporaler Allgemeinheit: Jeder Abgeordnete vertritt nicht nur seine Wähler, auch nicht nur die, die wählen gehen, sondern immer „das ganze Volk“. Egal, ob männlich, weiblich, lesbisch, türkischstämmig oder aus Pirna. Repräsentation kann man analog zur Sprache verstehen: Das Wort „Katze“ muss alle Katzen bezeichnen, nicht nur schwarze oder gelbe. Das erst garantiert seine kommunikative Verwendbarkeit.

Dass das Ideal temporaler Allgemeinheit sich heute in der Krise befindet, dass sich viele von ihren Repräsentanten nicht vertreten fühlen, belegt aber schon der unsägliche Reim „Vertreter/Verräter“ der Rechten. Die reagieren auf die Krise der repräsentativen Demokratie nicht mit dem Ruf nach ihrer Abschaffung, sondern mit der Forderung nach einer anderen Demokratie, in der Vertreter nur dann akzeptiert werden, wenn man sich mit ihnen identifizieren kann. Im Slogan Wir sind das Volk, den Pegida der DDR-Dissidenz stahl, manifestiert sich, dass demos nur das sein soll, was eine Homogenität besitzt, die nicht durch solche, die dem halluzinierten Volkskörper fremd sind, gestört wird. Repräsentation und Identifikation sind jedoch zwei paar Schuhe. Identifikation behindert sogar funktionierende Repräsentation. Ein Westdeutscher muss Ostdeutsche, er muss auch Türkisch-, Kroatisch- oder Chinesischstämmige vertreten können.

Diese Menschen müssen sich aber auch vertreten fühlen. Wo Zeitungen zweimal die Woche über Talkshows berichten, in denen Politiker als Personalities auftreten und fast nie über Parlamentsdebatten, ist es dumm, die Regierung so homogen zu gestalten, wie jetzt zu erwarten ist. Es fördert die Identitätspolitik derer, bei denen das Gefühl, sich vertreten zu wissen, verloren gegangen ist. Und es zeigt ihnen, dass nur manche die Chance haben, es je zum Minister zu bringen. Im Zweifelsfall: andere. Keine Ostdeutschen. Keine Deutschen mit Migrationshintergrund. Das schmälert den Anreiz, sich für die repräsentative Demokratie zu engagieren, ungemein. Ein zweites kommt hinzu: Politik wird von Menschen gemacht. Menschen, die Erfahrungen haben mit der Reaktion auf „schwierige“ Namen, damit, wegen ihres Aussehens schief angeguckt zu werden oder damit, in strukturschwachen Regionen aufzuwachsen. Nur wenn das in die Regierungsarbeit einfließen kann , darf man sagen: Man vertritt alle, die hier leben. Wer das ausblendet, macht einen schlimmen Fehler.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

Mladen Gladić

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