Prävention ist eine Allmachtsphantasie

Hassreden Betreiber sozialer Medien müssen alle Inhalte präventiv prüfen, schreibt Wolfgang Michal. Das Argument dafür steht auf tönernen Füßen, meint unser Autor. Eine Entgegnung
Beleidigungen am Arbeitsplatz? Kein Chef kann das präventiv verhindern
Beleidigungen am Arbeitsplatz? Kein Chef kann das präventiv verhindern

Illustration: Der Freitag

Es stimmt: Facebook & Co tun ihren Nutzern mit ihren kostenlosen Diensten nicht etwa einen Gefallen. Sie sind nicht mal richtig gratis. Nutzer zahlen für sie mit ihrer Aktivität im jeweiligen Netzwerk – und mit den Daten, die sie dabei produzieren. Der Begriff Nutzer ist also nur Schönsprech für (zahlender) Kunde. Das wird oft übersehen, weil Plattformen wie Facebook den eben schönen Schein erzeugen, Leute miteinander in Kontakt zu bringen. Stimmt auch, aber vor allem profitieren sie. Und natürlich pfeifen Twitter und andere darauf, wer da was über ihre Kanäle jagt. Hauptsache Resonanz. Wie Wolfgang Michal richtig sagt, geht es um Werbeeinnahmen, die durch Kunden-Aktivität ermöglicht werden. Die Kunden rackern sich ab, um möglichst viele Klicks, Likes und Shares zu bekommen. Die bringen dem Netzwerk-Betreiber dann Geld, was die These zu stützen scheint, wonach man letztlich Betriebsangehöriger wird, wenn man hier einen Account eröffnet.

Diese These, dass der Social Media-Nutzer eigentlich vertraglich gebundener Mitarbeiter ist, ist deswegen so entscheidend, weil mit ihr Michals Forderung steht und fällt: dass nämlich die Betreiber sozialer Medien allein dafür verantwortlich sein müssten, sogar präventiv gegen Hasskriminalität auf ihren Kanälen vorzugehen. Michal meint, dass Facebook nicht nur „hostet“, was Kunden von sich geben, sondern für den Content von Mitarbeitern wie ein im Sinne des Pressegesetzes verantwortlicher Redakteur im Rundfunk oder der Zeitung haftet. Für soziale Medien soll deswegen nicht das Provider-Prinzip gelten, also: „don't shoot the messenger“. Sondern das Verantwortungsprinzip des Rundfunkgesetzes: Inhalte müssen geprüft werden, bevor man sie verbreitet.

Den Social Media-Nutzer als Mitarbeiter zu porträtieren, ist verlockend. Schon weil es dem Verdacht entspricht, dass vieles, was wir tun, irgendwie Arbeit ist. Auch dann, wenn wir gerade nicht für den Gehaltscheck schwitzen. Es ist eine Arbeit, die anderen vielleicht mehr nützt als uns selbst.

Wer soll hier vor wem geschützt werden?

Wenn aber Social Media-Nutzer schon dadurch, dass sie diese Dienste betätigen, zu deren Mitarbeitern werden, dann fragt sich: Wer soll denn überhaupt vor wem geschützt werden? Wo denn die Öffentlichkeit wäre, in den der gewaltige "Rundfunk" Facebook da eigentlich sendet ist dann die Frage. Denn egal ob Hasskommentare oder Katzenfotos: Nach Michals Logik gehen sie eigentlich nur von Mitarbeiter zu Mitarbeiter. Den Vorgesetzten aber, der Mobbing, Beleidigungen, sexistische und rassistische Äußerungen – oder auch Dummes und Falsches über Gott und die Welt– im eigenen Betrieb präventiv (!) zu unterbinden wüsste, ohne diesen damit komplett lahmzulegen, den möchte man sehen.

Dass soziale Medien – so würde ich Michals These zu Ende denken – gar keine Öffentlichkeit oder ein Publikum im strikten Sinne haben, heißt nun natürlich nicht, dass man es mit einem rechtsfreien Raum zu tun hätte. Natürlich müssen auch im Betrieb Gesetze gelten, Kriminelles unterbunden werden. Präventiv ist das aber so oder so nicht möglich. Eine Allmachtsphantasie. In Wahrheit kann das keiner leisten, nicht ein Chef, ViSdP oder nicht, nicht die Polizei oder wer anderes.

Wir alle suchen nach einer Antwort auf die Frage, wer letztendlich für einen zivilisierten und gesetzeskonformen Umgang in sozialen Netzen verantwortlich ist. Es bleibt jedoch mehr als fraglich, ob man der Antwort damit näher kommt, uns alle zu deren Mitarbeitern zu erklären und sie selbst zu gigantischen Rundfunkstationen. Der Rundfunkstaatsvertrag als deus ex machina: Das ist ähnlich antiquiert wie die Idee, dass eine wie auch immer geartete „Zivilgesellschaft“ schon selbsttätig dafür sorgen würde, dass respektvoller Umgang die Regel wird. Da wir fast alle Teil des Social Media-Betriebs sind, braucht es andere, neue Lösungen. Oder vielleicht andere Betriebe.

Wolfgang Michals Argumentation, wonach Facebook alle Beiträge präventiv überprüfen sollte, lesen Sie im aktuellen Freitag oder in der WebApp

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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