„Sauer bin ich“

Interview Howard Jacobson fühlt sich von Donald Trump beleidigt. Es ist eine persönliche Sache
Ausgabe 03/2018
Jede Kultur produziert ihr eigenes Monster
Jede Kultur produziert ihr eigenes Monster

Foto: Jim Watson/AFP/Getty Images

Waren Sie schon einmal in Urbs-Ludus, dessen Skyline von Türmen im mesopotamischen Stil geprägt ist? Wo man das Recht, billig zu tanken und in nach Hautfarben getrennten Vierteln zu wohnen, fast so sehr schätzt wie fantastische Haartrachten? Nein? Geht auch gar nicht. Diese „Jux-und-Tollerei-Plutokratie“ hat sich Howard Jacobson ausgedacht. Sein Roman Pussy spielt hier. Aber es gibt ein Vorbild in der wirklichen Welt. Der englische Schriftsteller kann von sich sagen, die erste literarische Satire über Donald Trump verfasst zu haben.

Wir treffen uns in einem Hotel in Berlin-Kreuzberg. Ich frage, ob ich das Gespräch aufnehmen darf, lege mein Diktiergerät zwischen uns auf den Couchtisch. Jacobson ist sichtlich überrascht, dass ich nicht die Voice-Memo-Funktion meines Smartphones benutze. Das scheint ihm zu gefallen.

der Freitag: Haben Sie „Fire and Fury“ gelesen?

Howard Jacobson: Meine Frau liest es gerade. Manches liest sie mir vor. Ich sag dann immer: „Das hab ja ich schon gesagt.“ Intuitiv, ohne im Weißen Haus gewesen zu sein. Man muss nur Augen und Ohren offen halten. Faszinierender Klatsch. Aber ich weiß nicht, ob uns hier ein Trump gezeigt wird, den wir noch nicht kannten.

Hat Satire nicht ein ähnliches Problem? Trump macht ja die Arbeit der Comedians quasi selbst.

Ich kenne das Argument: Im Zeitalter Trumps, gibt es da noch Raum für Satire? Aber was ist Satire überhaupt? Was bewirkt sie? Ein schlauer Politiker absorbiert sie. Sie wird Teil der Rolle, die man spielt. Margaret Thatcher war sehr gut darin. Sie ertrug eine ganze Menge Satire.

Und Obama?

Wir waren sehr nachsichtig mit ihm, oder? Das hat es Trump leicht gemacht, zu behaupten, dass Obama quasi unter Naturschutz stehe, selbst wenn er das Wort nicht benutzen würde. Zu viele Silben. Die Linksliberalen haben Obama einfach vergöttert. Ein bisschen Satire hätte da gutgetan. Doch er hätte das absorbiert.

Und Trump?

Der kann das nicht. Deshalb denken vielleicht nur wir, dass Satire keine Funktion mehr hat, weil Trump viel absurder ist als alles, was man erfinden kann. Aber es wurmt ihn. Stalin mochte keine Witze über sich. Mussolini und Hitler hassten Humor auf ihre Kosten. Diktatorentypen hassen Witze.

Zur Person

Booker-Prize-Träger Howard Jacobson wurde als englischer Philip Roth bezeichnet. Er wolle lieber die jüdische Jane Austen sein, hat er einmal gesagt. Sein Buch Pussy (Klett-Cotta, 272 S., 16 €) ist gerade in der Übersetzung von Johann Christoph Maass auf deutsch erschienen

Foto: Leonardo Cendamo/Leemage/Imago

Was ist der Unterschied zwischen Komik und Satire?

Satire will Veränderung. Die Komödie feiert die Absurditäten des Lebens. Jonathan Swift sagte, er schreibe, um die Menschheit zu ärgern. Komödien sind karnevalesk, Satiren sind viel puritanischer, moralistisch, streng. Biblisch. Mein Roman fängt mit einem Zitat aus der Apokalypse an.

Ist „Pussy“ ein politisches Buch?

Ein kulturpolitisches. Mich beleidigt nicht die Politik. Natürlich bin ich als Mensch empört, dass Trump nicht an den Klimawandel glaubt und eine Mauer bauen will. Aber mehr als das Mauerbauen interessiert mich die Sprache des Mauerbauers. Mich macht sauer, mit wie wenigen Wörtern einer so weit kommen kann. Einer, der keinen Wortschatz hat und keinen will. Und der Leute ermutigt, keinen Wortschatz zu haben.

Im Roman gibt es eine Apologie der wenigen Wörter: Es sei sinnvoll, sagt da der Vater von Fracassus, Trumps Wiedergänger, dass er auf Augenhöhe mit denen bleibe, „mit deren Leben er eines Tages spielen wird. Es kann also nur von Vorteil sein, wenn er zu ihnen mit einem Wortschatz spricht, der klein genug ist, dass sie ihn verstehen …“

Was ist so gefährlich an den wenigen Wörtern?

Es ist Teil eines Krieges: Ungebildete gegen Gebildete. Das ist der Krieg unserer Zeit. Wir lassen unsere Kinder Celebrity-TV schauen, wir geben ihnen Smartphones, wir lassen sie tweeten. Wir sagen ihnen nicht, dass Twitter Teufelszeug ist, davon würden wir nie träumen. Wir sind tolerant, liberal. Jede Kultur produziert ihr eigenes Monster. Trump ist unser Monster.

Lenkt Spott nicht von Politik ab?

Politik ist nicht mein Job. Jeder hat seinen Platz. Ich bin besser im Nachdenken darüber, wie Trump seine Wörter benutzt. Darüber, wie ich ein Wort verstehe und warum sprachliche Armut gefährlich ist. Andere machen anderes. Ich habe keine Minute lang geglaubt, dass das Buch in Trumps Hände gerät und ihn zwingt, zurückzutreten. Oder dass es eine Massenbewegung anstoßen würde.

Warum haben Sie es dann geschrieben?

Wir sollten immer gegen alle sein, die zu mächtig sind. Sie verspotten. Wer wusste schon, was die Samisdat-Literatur bewirken würde? Das Wichtigste ist, es einfach zu machen. Tropfen für Tropfen …

Verhöhnt „Pussy“ nicht auch Trumps Wähler? Die, die Hillary Clinton einmal „einen Sack Kläglicher“ genannt hat?

Ein schrecklicher politischer Fehler. Aber ich bewerbe mich nicht um ein Amt. Ich mag den Ausdruck, sie sind kläglich. Aber ich verstehe auch Kummer. Ich bin in einer armen Familie aufgewachsen. Ich habe Verständnis. Aber ich weiß nicht, wohin das führt. Wir haben zu lange Verständnis für die Brexiteers gehabt.

Ein Dilemma: Das Volk stimmt gegen seine eigenen Interessen.

Ja. Doch als Demokrat will man das Beste fürs Volk. Daher muss man das Volk vor dem Volk retten. Wir brauchen lebendige Diskussionen. Besonders jetzt, wo man in Tweets kommuniziert. Wo es nur wichtig ist, was ein „like“ bekommt.

Jacobson ist nicht auf Twitter. Aber er hat ein Smartphone, das er mir jetzt zeigt. Bilder, Facebook? Fehlanzeige. Er redet sich in Rage. Über die, die immer aufs Telefon starren, Essen fotografieren. „Teufelszeug“, sagt er wieder. Gibt’s mal keinen Empfang, wird Fracassus panisch.

„Pussy“ hat Züge eines Märchens. Walter Benjamin schrieb einmal, Märchen schützten uns vor dem Mythos, nähmen uns die Angst.

Das verstehe ich. Aber Pussy ist eine andere Art Märchen. Eins, das sagt: Wenn du dich im Wald verirrst, gibt’s kein Herauskommen mehr. Eine Horrorstory.

Sie haben „Pussy“ sehr schnell geschrieben. Aus Angst, dass ihnen jemand zuvorkommt?

Ja. Ich dachte, dass jeder Schriftsteller sich von Trump persönlich angegriffen fühlen müsste und auch so ein Buch schreiben würde.

Peter Sloterdijk gibt Trump zwei Jahre, bevor er erschossen wird.

Ich wünsche das keinem. Außerdem sind es Trumps Leute, die Menschen erschießen. Demokraten tun das nicht. Doch selbst wenn er weg wäre, der Bruch bleibt: Ungebildete gegen Gebildete. Viele wollen keine Aufklärung.

Wie entkommt man diesem Teufelskreis?

Ich bin in einer jüdischen Familie aufgewachsen, wo man an Bücher und Wissen glaubte. In jüdischen Familien ist das so. Heute misstrauen viele dem Wissen, den Experten. Trump muss auch jüdische Wähler haben. Ich hoffe, man lässt sich durch seine Jerusalem-Entscheidung nicht an der Nase herumführen. Da ist einer, der schlecht für die ganze Menschheit ist, also auch schlecht für uns.

Was halten Sie von Trumps Jerusalem-Entscheidung?

Ein schreckliches Timing, auf brutale Weise instinktlos. Egal, was ich über Jerusalem denke: Wenn man seine Rolle bedenkt, hat Trumps Anerkennung nur dazu geführt, dass die Palästinenser sich noch hoffnungsloser fühlen. Die Anerkennung hat den Konflikt verschärft. Das kann nicht gut sein.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

Mladen Gladić

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