Wäre in Deutschland nicht alles besser, wenn unsere Talkshows besser wären? Haben Sie das nicht auch schon einmal gedacht, liebe Leserin, lieber Leser? Diese Frage stellt jetzt ein neuer Roman. „Interruption“ heißt er und geschrieben hat ihn der französische Erfolgsschriftsteller Michel Houellebecq. In Frankreich hat er schon die Bestsellerlisten erklommen. Im Herbst erscheint das Werk unter dem vielsagenden Titel „Unterbrechung“ auf Deutsch. Eigentlich ist das Enfant terrible der belle lettres für seine düster-dystopischen Szenarien bekannt. In „Die Möglichkeit einer Insel“ etwa ging es um eine Zukunft, in der wir uns so of geklont haben, dass wir keine Lust auf Sex mehr haben. Der letzte große Roman Houellebecqs, „Soumission“ („Unterwerfung“) handelte von François, einem nicht mehr ganz jungen Literaturdozenten, der – halb zogen sie ihn, halb sank er hin – zum Islam konvertiert, nachdem dieser Staatsreligion der Grand Nation geworden ist. Ein Roman, der gerade in Deutschland besondere Aufmerksamkeit erhielt, steht doch auch die Bundesrepublik quasi vor der Einführung der Scharia als Rechtssystem und des Korans als Schullektüre, wie das beliebige Einschalten einer Gesprächsrunde im deutschen Fernsehen zur Genüge belegt.
Die Liebe der Deutschen zu seinen Büchern – es wird gemunkelt, dass sich Houellebecq im Berliner Stadtteil Friedrichshain eine Wohnung mit dem hier ebenfalls sehr erfolgreichen Didier Eribon teilt – mag auch der Beweggrund für den 1956 geborenen Schriftsteller gewesen sein, die Handlung seines neuen Buches nach Deutschland zu verlegen. Es hat, wider Erwarten, so gar keinen pessimistischen Unterton (kleiner Wermutstropfen: Sex gibt’s in diesem Buch auch nicht). "Unterbrechung" endet vielmehr mit Frieden auf (deutschen) Erden. Das Werk ist eine Utopie im Wortsinne.
Der Held von „Unterbrechung“ ist der ehemalige Kunsthändler und Publizist Olaf Zimmermann, der seit über zwanzig Jahren als Geschäftsführer des deutschen Kulturrates fungiert. Anders etwa als in seinem schon genannten Klon-Roman, wo die Klon-Sekte der Raelianer als „Elohim“ quasi ein Klon-Dasein fristet, arbeitet Houellebecq in „Unterbrechung“ mit Klarnamen. Den 1981 gegründeten Kulturrat gibt es wirklich. Er versteht sich als „Dachverband der Dachverbände“, zu denen unter anderem der Deutsche Musikrat, die Deutsche Literaturkonferenz und der Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung gehören. Sein erklärtes Ziel ist es, "kulturpolitische Diskussion auf allen politischen Ebenen anzuregen und für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit einzutreten."
Einfach mal den Mund halten
Im Roman nun platzt dessen Vorsitzendem eines Tages angesichts der Frequenz, mit der in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten das Thema Flüchtlinge und Islam zur Sprache kommt, der Kragen: "Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen", diktiert er einem verdutzten Journalisten in dessen iPhone 8. Nachzählend merkt der Journalist, das Olaf Zimmermann richtig liegt. Spitze des Eisbergs: die ARD-Sendung "Maischberger", benannt nach der Journalistin Maischberger, die hier als Maischberger vor die Kameras tritt. In einer noch am Vorabend des Interviews ausgestrahlten Sendung ging es hier um „Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?“, so der Roman in gekonnter Überspitzung deutscher Medienrealität. Houellebecq erweist sich einmal mehr als Meister Swiftscher Satire, wenn er die Diskutanten über die Frage "Was ist, wenn uns keiner mehr die Hände schütteln will?" streiten lässt und Maischberger, quasi als ruhenden Realitätspol alle Hände voll zu tun haben lässt, damit die Debatte nicht ausufert. Als poetologisch-ironischer Taschenspielertrick des französischen Autors muss gewertet werden, dass er an dieser Stelle die Meldung einer britischen Tageszeitung, wonach ein Viertel der Deutschen zugebe, sich nach dem Toilettengang die Hände nicht zu waschen, geschickt einmontiert: Etwa 61% der Deutschen nämlich, so meldete vor kurzem Maischbergers Sender, empfinde Verunsicherung angesichts des vermehrten Zuzugs von Ausländern.
Angesichts der Lage hat Houellebecqs Held die richtige Idee, ein Moratorium wird gefordert: „Ich finde, die Talkshows im Ersten und im ZDF sollten sich eine einjährige Auszeit nehmen und ihre Konzeptionen überarbeiten.“ Dieser Vorschlag fällt in der nervösen medialen Welt der BRD nicht auf taube Ohren. Gekonnt lauscht Houellebecq dem Nachbarland die Erschöpfung ab, die die immerwährende Jagd nach Quoten und Klicks hinterlassen hat. Überzeugt, ihrem Bildungsauftrag nur nachzukommen, wenn erst einmal Schicht im Schacht der rechten Themen ist, überschlagen sich bald die Neuerungen bei den Fernseh- und Hörfunkanstalten. Von einem einfachen Moratorium ist man schnell weit entfernt. Für 80 gesehene Stunden des Nachrichtensenders Phönix pro Monat halbiert sich die Rundfunkgebühr pro Haushalt um die Hälfte. Zur stichprobenartigen Überprüfung des korrekten Fernsehkonsums werden prompt die Mitarbeiter von Maischberger, Plasberg & Co. eingesetzt, die anfangs beinahe einen Arbeitskampf anzetteln, da sie ihre Jobs in Gefahr sehen. Das alles hat so viel Erfolg, dass schließlich ein Punktesystem nach chinesischem Vorbild eingeführt wird: je mehr Phönix, desto weniger Gebühren.
Der Plan geht auf. Binnen Jahresfrist kann Jörg Schönenborn bei der „Sonntagsfrage“ vermelden, dass die AfD unter die Fünfprozenthürde gefallen ist. Sowohl das rechte Compact-Magazin als auch die internationale Website Epoch Times verbuchen einen so großen Leserschwund in Deutschland, dass sie ihre Aktivitäten von jetzt an nur noch auf Österreich konzentrieren, wohin auch Götz Kubitschek, als Antaios-Verleger Rechtsaußen der deutschen Verlagslandschaft, auswandert. Montags in Dresden: leere Straßen, nur bläuliches Glimmen aus den Fenstern. Und selbst die BILD-Zeitung verkündet, ausländerfeindliche Stimmungsmache von nun an auf die hinteren Seiten ihres Blattes zu verlegen, in dieser Utopie, die man getrost einen "Friedenstext" nennen darf. „Unterbrechung“ hätte auch „Die Rettung“ heißen können, entwirft Michel Houellebecq auf 240 dichten Seiten doch nichts anderes als einen Weg in eine bessere Zukunft mit besseren öffentlich-rechtlichen Talkshows. Ein absolut lesenswerter Roman.
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