Toxischer Typ

Erinnerung In einem Roman erzählt Anne Wiazemsky von ihrer Ehe mit Jean-Luc Godard, der im Pariser Mai lieber den Revoluzzer gab
Ausgabe 18/2018

Zwei oder drei Dinge, die man von Jean-Luc Godard weiß, wenn man Anne Wiazemskys Paris, Mai ’68 gelesen hat: Wenn die Brille während der Demonstration zerbricht, geht es nicht weiter, da Godard, dieser große Augenmensch ohne Brille fast blind ist. Die Brille kann man dann aber per Boten zur Reparatur zum Optiker auf die Champs-Élysées schicken, der sie repariert. Der Bote hat eine Vespa, mit der man auch dann noch durchkommt, wenn die Straßen von Paris mit Polizei und rebellierenden Studenten gefüllt sind und an eine Taxifahrt nicht zu denken ist.

Dass Godard schicke Restaurants hasst: „Jean-Luc war das Gegenteil von einem Gourmet und aß nur, um satt zu werden. Je hässlicher das Restaurant, desto besser.“ Als die Lage dazu zwingt, ins Méditerranée beim Théatre de l’Odéon zu gehen, siehe Polizei und Studenten, dann geht es schief. „Kleine Dreckschweine! Kleine Dreckschweine! Die gehören alle weggesperrt mit ihrer Revolution!“ ereifert sich da ein gutsituierter älterer Stammgast. „Selbst Dreckschwein!“ antwortet der Regisseur. „Altes Dreckschwein!“. Dass der gute Herr 1914 und 1940 im Krieg war, beeindruckt wenig. „Wenn Sie noch leben, dann sind sie ein Drückeberger, sonst wären Sie ja tot, wie Tausende andere! Ein Drückeberger sind Sie und nichts weiter, Monsieur!“

Man weiß nach der Lektüre auch, dass Godard einen regelrechten Ekel vor den langen Fingernägeln des Philosophen Gilles Deleuze hatte, in jenem Mai 1968, und dass er mit dessen „dandyhafter Art“ große Probleme hatte. Die Marotte mit den Krallen erklärt der Philosoph damit, „dass auch Puschkin es genauso gemacht habe, man darin also eine Art Hommage sehen dürfe“, ein Zusammenhang, der Godard so gar nicht einleuchtet.

Er gab ihr Taschengeld

Die Dinge, die man über Anne Wiazemsky weiß, wenn man Paris, Mai ’68 gelesen hat, haben meist mit dem Ehemann zu tun, der 1968 bereits eine Berühmtheit ist. Mit Wiazemsky hat Godard 1967 La Chinoise gedreht, ein Film mit den Beatles floppt zwar, stattdessen wird er die Stones auf Zelluloid verewigen. „Ach Monsieur Godard, Sie sind so berühmt und bleiben trotzdem immer höflich und bescheiden!“, pflegt die Kioskbesitzerin in der Straße zu sagen, in der das Paar lebt und bei der der Filmemacher wie später Rainald Goetz täglich alle Zeitungen kauft, wirklich alle, Magazine und Zeitschriften inbegriffen. Wiazemsky heiratet den 17 Jahre älteren Godard 1967 und bleibt bis 1979 seine Frau, obwohl man sich viel früher trennt. Wiazemskys Honorare, berühmt ist sie 1966 mit ihrer Hauptrolle in Robert Bressons Au hazard Balthazar geworden, gehen an Godard, der ihr bei Bedarf „Taschengeld“ gibt. Wiazemsky besitzt weder Bankkonto noch Scheckheft. „Aber Du arbeitest doch, verdienst eigenes Geld. Und er kassiert deine Schecks ein?“, fragt eine Freundin ungläubig. „Äh, ich glaube“, antwortet die Schauspielerin, die die Straßen von Paris, die, wenn sie frei von Polizei und Studenten sind, auch frei von Autos sind, zum Rollschuhfahren nutzt in jenem Mai 1968.

Wiazemsky leidet darunter, dass Godard die Filmemacherei an den Nagel hängen will, weil die Revolution ungleich bedeutender ist: „Gemeinsam einzuschlafen, in den Armen des anderen, machte uns glücklich. Wenn er filmte, etwas schuf, gefiel mir Jean-Luc am besten. Ich flüsterte ihm zu, dass ich in einen Filmemacher verliebt sei, nicht in einen Aktivisten, das Abziehbild eines Politoffiziers.“ Sie leidet an Godards Liebesentzug, der nicht fassen kann, dass sie sich sonnt, während er mit Francois Truffaut und Jean-Pierre Léaud, der im Straßenkampf ein rechter Hasenfuß ist, das Festival von Cannes sprengt. Am meisten leidet sie unter der Eifersucht des Regisseurs. Eine Eifersucht, von der man nicht genau erfährt, ob sie sich allgemein gegen andere Männer richtet oder nur gegen Regisseure, Bernardo Bertolucci etwa. Eine Eifersucht, an der diese Beziehung schließlich scheitert. Noch die Gewalt, die sich Godard bei einem Suizidversuch in Rom antut, empfindet Wiazemsky als Gewalt gegen sie selbst. Hier endet der Bericht dieser „privilegierten Zeitzeugin“, wie sie sich nennt, die 2017 verstarb.

Info

Paris, Mai ’68 Anne Wiazemsky Jan Rhein (Übers.), Wagenbach 2018, 168 S., 18 €

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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