Wie Peter Handke sich ohne Erklärung erklärte

Literaturnobelpreis Der Schriftsteller enttäuschte bei seiner Dankesrede die Erwartungen – und erfüllte sie doch
Ausgabe 50/2019
Peter Handke bei seiner Nobelpreisrede am 10. Dezember 2019
Peter Handke bei seiner Nobelpreisrede am 10. Dezember 2019

Foto: Anders Wiklund/TT News Agency/AFP/Getty Images

Fragen danach, wie viele der Bücher Peter Handkes die Demonstrierenden gelesen haben, von denen zahlreiche („nach Schätzungen“ „zunächst“ „etwa 400“, so eine Zeitung) zur Nobelpreisverleihung nach Stockholm gekommen sind, um gegen den Österreicher zu protestieren, verbieten sich. Fragen, warum sich manch Kommentator nicht entblödet, auf Handkes „schreckliches Englisch“ bei der Pressekonferenz letzte Woche hinzuweisen (hätte man das bei einem Preisträger aus, sagen wir, Kamerun oder Nepal auch so geschrieben?) oder zu bemerken, der 77-Jährige sehe „besser aus als bei seinen vorangegangenen Auftritten in Stockholm“ (war man bei der gleichzeitig geehrten Olga Tokarczuk auch so dicht dran?) erübrigen sich nicht. Man darf fragen, warum Vokabeln wie „Kretin“ und „Arschloch“ jetzt Einzug in die Literaturkritik gehalten haben oder warum es erwähnenswert sein soll, dass eine Autorin, die über den Prozess des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher aus Uganda berichtet, auch „Unterzeichnerin eines Aufrufs pro Handke, dem vorgeworfen wird, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu beschönigen“ ist.

Man könnte eine – eher unschöne – Liste all dessen anfertigen, was wir in der jüngsten Debatte um Handke verpasst haben – oder was nur am Rande stattfand. Man würde so viel lernen darüber, wie wir heute streiten, könnte über die Ubiquität des Passivs und eine Hermeneutik des Verdachts sprechen, über Leserinnen und Leser, die sich wie eine digitale Volltextsuche durch Texte pflügen, um inkriminierende Stellen zu identifizieren, über Zitate, die so ungeheuerlich sind, dass man sie nur nach eingehender Prüfung als authentisch betrachten und in den Twitterfeed spucken sollte, man könnte über Kontaktschuld sprechen und darüber, dass Betroffenheit und Befangenheit einige Nähe zueinander aufweisen. Und selbstredend darüber, warum es Quatsch ist, Autor und Werk strikt zu trennen, wie es das Nobelpreiskomitee tat, und ebensolcher Unsinn, die Literatur als Sphäre eines verantwortungsfreien Sprechens zu sehen, die mit der wirklichen Wirklichkeit so gar nichts gemein hat.

Man könnte dann fragen, warum Handkes Dankesrede der Erwartung – eher Forderung – nicht nachkam, sich zu „erklären“. Oder warum übersehen wurde, dass er genau das tat. Die Rede, die um einiges kürzer war als die von Tokarczuk und mit dieser nicht nur den Bezug zur Mutter teilte, bestand in großen Teilen aus Texten, die er oder andere schon vor Langem geschrieben haben. Da war der Monolog der Nova aus dem fast 40 Jahre alten Über die Dörfer, eine Art Prophetin, die mit dem Imperativ „Sei nicht die Hauptperson!“ den Titel ergänzte und so das Motto für die Jugoslawien-Texte wie auch die Dankesrede bot. Da war eine auf slowenisch vorgetragene Litanei und – Ersatz für Gedichte, die Handke nach Verleihung des Ibsen-Preises ein bosnischer Leibwächter (damals schon Protest) vom iPhone rezitiert hatte – Verse des Nobelpreisträgers Tomas Tranströmer, in wackligem, charmantem Schwedisch. Dazwischen Anekdoten aus dem Dorf – slowenisch: Stara Vas, deutsch: Altendorf –, Erinnerung an Erzählungen der Mutter über eine „Idiotin“ und ihr Kind, über ihre im Krieg gefallenen Brüder. Das alles recht unverbunden, und es hätte lange so weitergehen können. Als hätte Handke Walter Benjamins düstere Einsicht, dass „keine Begebenheit uns mehr erreicht, die nicht schon mit Erklärungen durchsetzt ist“, Lügen strafen wollen. Zeigen, dass Erzählen noch möglich ist.

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Geschrieben von

Mladen Gladić

Redakteur Kultur und Alltag

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