Das Wichtigste ist die Menschlichkeit.

Corona Gerade jetzt in der Corona-Krise und den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wird deutlich, was für alle Zeiten gilt: Am wichtigsten ist die Menschlichkeit.

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Ja, es ist wichtig, was politisch entschieden wird und welche konkrete Maßnahmen gesetzt werden, sodass sowohl das Gesundheits- als auch das Wirtschaftssystem am Leben gehalten werden (und mich trifft dies als Kleinst-EPU und Angehörige einer Risikogruppe ganz persönlich). All dies ist wichtig. Und es ist wichtig, wie diese Entscheidungen getroffen werden, wie sie umgesetzt werden, und vor allem wie wir in solchen Zeiten (und in allen Zeiten) als Menschen miteinander umgehen. Das Was und das Wie müssen sich ergänzen, damit es nach der Corona-Krise eine wirkliche Zukunft geben kann, die diesen Namen verdient.

Das Was und das Wie müssen einander ergänzen.

Dass das Was das Wie hineinnehmen muss, wird auch bei der globalen Klimakrise deutlich. Es gibt wissenschaftliche Berechnungen, dass sich unser aller Leben schon in zwanzig bis dreißig Jahren drastisch verändern wird. Es gibt sogar Berechnungen, dass Menschen innerhalb von hundert Jahren von der Erde verschwinden, dass also meine Generation (also die der rund 40-Jährigen) die letzte oder vorletzte Generation sein wird, die eines natürlichen Todes sterben wird können. Lassen wir uns einmal von diesen Berechnungen anmuten, dann bleibt die Frage: Wenn wir wirklich die letzte Generation Menschen auf der Erde sind, was bedeutet das für unser Leben? Wie wollen wir es leben, wie wollen wir es gestalten?

Wie wollen wir unser Leben angesichts der Krise gestalten?

Unabhängig davon, ob diese Berechnungen stimmen, wird es irgendwann eine Generation von Menschen geben, denen genau dieses Szenario widerfährt: Die Klimaerwärmung wird zu drastischen Veränderungen allen Lebens auf der Erde führen. Es wird ein massives Artensterben geben, Ernten werden ausfallen, ganze Ozeane „kippen“, Überschwemmungen werden ganze Landstriche entvölkern, Frischwasser wird in anderen Teilen der Erde knapp, Mütter werden ihre Kinder leiden sehen … Wir kennen die apokalyptisch anmutenden Szenarien zu genüge. Leid und Tod werden über viele Menschen (und natürlich auch viele andere Lebewesen) kommen.

Vielleicht werden auch diese globale Klimakatastrophe ein paar Menschen überleben. Menschen sind eine anpassungsfähige Spezies. Zumindest das haben wir in unserer Geschichte bewiesen: von der Entstehung des homo sapiens in Afrika vor ca. 100 000 Jahren über die Eiszeit in Europa, die Sesshaftwerdung und durch unterschiedliche kleinere und größere Klimaveränderungen – an all diese Lebensbedingungen haben wir uns als Spezies anpassen können. Vielleicht überleben wir also auch die kommende Klimakatastrophe.

Doch spätestens dann, wenn die Erde verglüht oder in anderer Weise untergeht, wird es keine Menschen mehr geben. Der Untergang der Menschheit ist also so betrachtet nur eine Frage des Zeithorizonts. Die Menschheit wird sterben wie jeder einzelne Mensch, das ist Realität.

Was existiert, wenn es niemand erinnert?

Was ich mich daher frage, ist: Hat es Beethoven, Mozart, Michelangelo, van Gogh und, für mich persönlich wichtig, Frida Kahlo und Tolkien dann je gegeben, wenn sich niemand mehr daran erinnert? Haben Religionen, Staatsformen, historische Momente von menschlicher Größe je existiert, wenn sie nicht mehr erinnert werden können, weil es keine Menschen mehr gibt? Wo liegt in all der Vernichtung, der Zerstörung alles menschlich Großem und Schönem, dem Tod der ganzen Menschheit dann der Sinn?

Ein Weg heraus aus diesem Dilemma ist der Nihilismus: Nichts macht dann Sinn. Egal, was ich tue, egal, wie ich lebe, es führt doch zum Tod – dem individuellen und dem unserer ganzen Spezies, ja vielleicht des Lebens an sich. Gerne paart sich der Nihilismus dann mit dem Hedonismus: Wenn alles egal ist, will ich wenigstens mein Leben genießen. Manchmal auch auf Kosten anderer.

Werden wir Menschen!

Ich verstehe den Reiz dieser Wege. Doch es gibt auch einen anderen Weg. Im vollständigen Bewusstsein der Vernichtung liegt die Chance auf Menschwerdung. Im Gegensatz zum Tier verfügen wir über Bewusstsein: Wir wissen, was uns geschieht und können einen Blick auf die Zukunft werfen. Auch jetzt in der Corona-Krise handeln wir im besten Sinne menschlich. Sagen wir es einmal ganz hart: Im Tierreich würden die kranken, alten, schwachen Tiere an dem Virus sterben. Das wäre dann natürliche Selektion und Teil der Evolution. Wir Menschen hingegen entscheiden uns, für andere Menschen mitzudenken und nehmen dafür zum Teil massive persönliche Einschränkungen in Kauf. Das macht uns zu Menschen. Und ganz ehrlich, ich finde das wunderschön!

Erheben wir uns als Mensch über unseren animalischen Teil (der natürlich ebenso Teil von uns ist und unser Überleben sichert) und reifen wir zum Menschen. Was für einen anderen Sinn soll menschliches Leben denn auch haben, als zu Menschen zu reifen?

Mitgefühl, Solidarität und Zusammenhalt – das macht Menschsein aus. Werden wir also Menschen! In der Krise, durch die Krise, jetzt! Nutzen wir die Krise(n) als Chance, zum Mensch zu reifen!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Melanie Lanner

Soziologin, Master in Gender Studies

Melanie Lanner

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