Der Geist des Kapitalismus

Max Weber Wie ist der Kapitalismus entstanden? Welche Geisteshaltung liegt ihm zugrunde? Wie konnte er gesellschaftlich zum wichtigsten Paradigma werden?

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Der Gelderwerb des Unternehmers wird zu einem Beruf – und damit zum Plan Gottes
Der Gelderwerb des Unternehmers wird zu einem Beruf – und damit zum Plan Gottes

Foto: Hulton Archive/Getty Images

Das sind die Fragen, mit denen sich Max Weber in seinem Buch „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ auseinandersetzt. Und wie der Name des Werkes schon sagt, sieht er die geistige Voraussetzung des Kapitalismus in der protestantischen Ethik. (Materielle Voraussetzungen, wie Enteignungen, werden in Webers Werk nur gestreift.)

Wer ist Max Weber?

Maximilian Carl Emil „Max“ Weber (1864-1920) war ein deutscher Soziologe und Nationalökonom. Er gilt als einer der Klassiker der Soziologie und hat viele wichtige soziologische Begriffe wie „soziales Handeln“ und „Idealtypus“ geprägt. Sein Werk umfasst ein breites inhaltliches Spektrum von der Wirtschafts- über die Organisations- bis zur Musik- und Religionssoziologie. „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ (erschienen 1904 und 1905 in Form zweier Abhandlungen und 1920 überarbeitet veröffentlicht) ist eines seiner Hauptwerke. Darin beschäftigen ihn weniger die gesellschaftlich-ökonomischen Voraussetzungen des Kapitalismus. Vielmehr geht es ihm um die Entwicklung des kapitalistischen Geistes. Und diesen sieht er, wie der Name seines Werkes schon verrät, im Zusammenhang mit der rationalen Ethik des asketischen Protestantismus.

Was ist die protestantische Ethik?

Die protestantische Ethik, speziell die des Calvinismus, unterscheidet sich grundlegend von den historisch früheren katholischen Vorstellungen. Die zentrale Vorstellung im Calvinismus ist die Gnadenwahl, das heißt, die Vorstellung, dass Gott vor unserer Geburt Menschen in Erwählte und Verworfene einteilt. An dieser vorgeburtlichen Einteilung ist nichts zu ändern, weder durch frommes Verhalten noch durch Buße.

Das wichtigste Zeichen, ob man selbst zu den Erwählten gehört, ist der materielle Erfolg. Ist man also erfolgreich, gehört man höchstwahrscheinlich zu den Erwählten. Da man sich dessen jedoch nie wirklich ganz sicher sein kann, gibt es auch kein Ende im Streben nach Erfolg und materiellem Besitz.

Dieser Zugang ist natürlich ein Paradigmenwechsel innerhalb der christlichen Ethik (und Voraussetzung für die Gewinnmaximierung im Kapitalismus), lehrt doch das mönchische Ideal im Katholizismus Enthaltsamkeit, Bescheidenheit und Weltabgewandtheit. Anders im Protestantismus, wo insbesondere Calvin eine innerweltliche Askese einführt. Eine Askese, die jede einzelne Person dazu anleitet, das eigene Leben stets nach rationalen Gesichtspunkten zu gestalten. Dadurch verlagert er die Askese in die Welt des Geldverdienens und des Berufs – nicht mehr in außerhalb der Welt stehenden Mönchsgemeinschaften.

Rationale Lebensführung

Die permanente Kontrolle des eigenen Gnadenstandes durch beruflichen Erfolg führt ebenso zur konstanten Selbstkontrolle und planmäßigen Reglementierung des eigenen Lebens wie zur Rationalisierung des Ökonomischen. Erst durch diese Rationalisierung im ökonomischen Bereich konnte es zur rationalen Kapitalverwertung und Arbeitsorganisation kommen, die dem Kapitalismus zu eigen ist.

Geldverdienen als Selbstzweck

Darüber hinaus steht es der protestantischen Askese entgegen, den materiellen Besitz zu konsumieren und zu genießen. Vielmehr ist jede Person aufgerufen, immer mehr Geld zu verdienen, um sich des eigenen Gnadenstandes zu versichern. Das heißt auch, dass es zu einem reinen Selbstzweck wird, Geld zu verdienen, das Kapital zu vergrößern. Dies zu tun, entspricht dabei nicht dem unternehmerischen Denken, sondern einem (religiösen) Ethos.

Die protestantische Berufskonzeption

Menschen werden gegenüber ihrem Besitz zu bloßen Verwaltern oder „Erwerbsmaschinen“.

Die pflichtbewusste Ausübung eines weltlichen Berufs wird zur höchsten ethischen Maxime – und steht damit der mönchisches Askese und Kontemplation außerhalb der weltlichen Welt des Katholizismus entgegen. Darüber hinaus kehrt sich dadurch die mittelalterliche Sicht auf Arbeit um: War Arbeit im Mittelalter ein Mittel zum Zweck (der Lebensversorgung), wird es jetzt zum Zweck an sich.

Der Begriff „Beruf“ bzw. im Englischen „calling“ wird im Protestantismus die von Gott gestellte Aufgabe. Einen Berufsbegriff solcher Qualität kennt weder der Katholizismus noch das klassische Altertum (nur in ähnlicher Weise das Hebräische).

Der Gelderwerb des Unternehmers wird zu einem Beruf – und damit zum Plan Gottes. Und die Arbeitsunlust wird als Symptom fehlenden Gnadenstandes gedeutet. Damit wird die Zeitvergeudung die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden.

„Bedenke, dass die Zeit Geld ist; […] Wer ein Fünfschillingstück umbringt, mordet alles,
was er damit hätte produziert werden können: ganze Kolonnen von Pfunden Sterling.“

(Benjamin Franklin)

Der Geist des Kapitalismus

Das Gewinnstreben als Selbstzweck, das dem Kapitalismus geistig zugrunde liegt, wird durch die calvinistische Askese ethisch entlastet, ja sogar als gottgewollt angesehen. Darüber hinaus führt der Zwang zum Sparen zur Kapitalbildung, speziell zum Anlagekapital (da es nicht für persönliche Bedürfnisse ausgegeben wird). Das Anlagekapital ist die Voraussetzung für das Entstehen und Wachsen von kapitalistischen (Industrie-)Unternehmen. Das eigene Leben, dem Gewinnstreben zu widmen, wird zur höchsten ethischen Maxime – individuell und kollektiv.

Und der kapitalistische Geist war geboren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Melanie Lanner

Soziologin, Master in Gender Studies

Melanie Lanner

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