Was ist Freiheit?

Hannah Arendt Was Freiheit ist, stellt sich nicht nur angesichts massiver Einschränkungen von bürgerlichen Rechten in Zeiten der Corona-Krise. Auch Hannah Arendt stellt diese Frage.

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Was Freiheit ist, fragt Hannah Arendt, die in ihrem umfassenden Gesamtwerk den Begriffen wie Arbeit, Öffentlichkeit, Politik und Freiheit auf den Grund geht. Und dabei geht es ihr um mehr als um die Befreiung von Herrschaft und um bürgerliche Rechte. Freiheit heißt für Hannah Arendt öffentliche Freiheit.

Hannah Arendt – eine politische Theoretikerin

Hannah Arendt, die sich selbst als politische Theoretikerin bezeichnet, wird 1906 in Linden (einem heutigen Stadtteil von Hannover) geboren. Sie studiert u.a. bei Karl Jaspers und Martin Heidegger Philosophie, wird Heideggers Geliebte und beginnt 1929 als 23-Jährige ihre Habilitation. Doch dann nimmt ihr persönliches und das gesellschaftliche Leben einen anderen Lauf. Als Jüdin flüchtet sie 1933 nach Paris. Als Frankreich von Deutschland besetzt wird, kann Arendt 1941 gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann und ihrer Mutter über Lissabon in die USA fliehen, wo sie jedoch erst 1951 die Staatsbürgerschaft erhält. Die Zeit der Staatenlosigkeit hat sie sehr geprägt. Berühmt wird Hannah Arendt durch ihre Aufzeichnungen des Eichmann-Prozesses, in welchen sie von der „Banalität des Bösen“ spricht. Ihr bekanntestes Buch ist „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“. In diesem beschäftigt sie sich mit dem Totalitarismus als neuer Herrschaftsform.

Was ist Freiheit?

In ihrer Definition von Freiheit bezieht Hannah Arendt sich auf die griechische Polis. Freiheit ist im antiken Griechenland kein menschliches Naturrecht, sondern eine durch Gesetz veranlasstes. Die Bürger, die nicht der Notwendigkeit der Lebensversorgung unterworfen sind, können auf dem Boden der Polis unter Gleichen frei sein und dort in Freiheit miteinander agieren. (Im privaten Leben des Haushalts gibt es diese Freiheit nicht. Denn der Haushalt des antiken Griechenland ist durch Herrschaft geprägt.) Frei war, wer zu diesem öffentlichen Raum zugelassen war, und unfrei, wer davon ausgeschlossen wurde. Freiheit bedeutet in einem antik-griechischen Verständnis also Freisein von der Herrschaft anderer und von dem Zwang zur Lebensversorgung.

Tiefer in die Frage, was Freiheit ist, steigt Hannah Arendt in ihrem 1963 erschienenen Werk „Über die Revolution“ ein. In diesem Werk, das auf einer Vorlesungsreihe beruht, setzt sie sich insbesondere mit der Französischen und der Amerikanischen Revolution auseinander. Beide sieht sie unter gänzlich unterschiedlichen Voraussetzungen, geschichtlichen Entwicklungen und Auswirkungen. In diesem Rahmen führt es zu weit, näher darauf einzugehen. Doch was für uns hier von Bedeutung ist, ist, dass Hannah Arendt Freiheit in diesem Zusammenhang definiert.

Denn Freiheit bedeutet für Hannah Arendt neben Freiheit von Herrschaft und vom Zwang der Daseinsvorsorge öffentliche Freiheit. Die Freiheit, den öffentlichen Raum (mit) zu gestalten und sich an den Regierungsgeschäften zu beteiligen.

Öffentliche Freiheit

Befreiung, zum Beispiel von Zwang und Unterdrückung, und bürgerliche Grundrechte sind für Hannah Arendt also noch keine Freiheit. Und Freiheit sind auch nicht die nicht-politischen Freiheiten, die der Staat garantiert (z.B. die Religions- und akademische Freiheit). Geschweige denn ist Freiheit „freie", also neoliberale Marktwirtschaft oder die Freiheit, Privatinteressen verfolgen zu können. Auch die individuelle Gedanken- oder Willensfreiheit ist für Hannah Arendt ebenso wenig Freiheit wie eine wie auch immer verstandene innere Freiheit, denn ihr liegt ein Rückzug aus der Welt zugrunde.

Frei (oder unfrei) können wir nur im Austausch mit anderen sein – und nicht in der Begegnung mit uns selbst. Um Freiheit in einem positiven Sinn erfahren zu können, braucht es also einen öffentlichen Raum. Freiheit jenseits des Nicht-gezwungen-Werdens braucht die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen zu handeln und sich politisch zu betätigen.

Politik ist der Ort der Freiheit

Diese Art der öffentlichen Freiheit ist für uns wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, sehen wir Freiheit doch eher als einen Raum außerhalb des staatlichen Eingriffs. Freiheit soll in unserem herkömmlichen Verständnis gerade den staatlich-politischen Raum soweit wie möglich und nötig eingrenzen – um Freiheit von politischer bzw. staatlicher Einmischung zu schaffen.

Doch Hannah Arendt setzt Freiheit und Politik sogar gleich. Denn nur im politisch-öffentlichen Raum können wir miteinander sprechen und zusammen handeln. Und frei zu sein, bedeutet auch in Freiheit zu handeln und etwas Neues zu beginnen.

Die Fähigkeit von Menschen, etwas Neues zu beginnen, nennt Hannah Arendt „Gebürtlichkeit“. Ein wichtiger Puzzlestein im Verständnis ihrer Weltsicht. Sie geht dabei davon aus, dass Menschen durch ihr Geborensein die Möglichkeit haben, etwas Neues in die Welt zu bringen, einen Anfang zu setzen und so zu weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen beizutragen. Die Freiheit, einen Anfang zu machen, braucht einen öffentlichen Raum, einen Raum der Begegnung zwischen verschiedenen Menschen und dadurch der Möglichkeit, andere zum Mithandeln anzuregen.

Unter Freiheit versteht Hannah Arendt also öffentliche Freiheit – und mit ihr öffentliches Glück. Ein Glück, das wir erfahren, wenn wir unser Gemeinwesen mitgestalten und uns politisch betätigen. Und das auf keine andere Art und Weise gefunden werden kann – schon gar nicht in unserem Inneren.

Räume der Mitgestaltung

Öffentliche Freiheit und öffentliches Glück brauchen öffentliche Räume, in denen sie sich entfalten können. Räume, in denen ein miteinander Sprechen und Handeln möglich ist. In der griechischen Polis war dies der Marktplatz, die Agora. Um öffentliche Freiheit zu ermöglichen, braucht es konkrete, physische Räume der Begegnung ebenso wie andere Strukturen der Teilhabe. Diese Räume der direkten Mitgestaltung fehlen in der repräsentativen Demokratie. Denn das Verwalten im öffentlichen Interesse, das auch durch gewählte BerufspolitikerInnen möglich ist, unterscheidet sich grundlegend von der aktiven Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten der BürgerInnen.

Fragen wir uns also mit Hannah Arendt, was Freiheit ist, schließt sich eine weitere grundlegende Frage an: Muss der Staat nur die private Freiheit schützen und erhalten oder auch Raum für öffentliche Freiheit schaffen?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Melanie Lanner

Soziologin, Master in Gender Studies

Melanie Lanner

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