Auf ewig "vaterlandslose Gesellen"?

SPD Die Entscheidung der SPD, in "ergebnisoffene " Sondierungsgespräche mit den Unionsparteien einzutreten, verweist auf eine lange sozialdemokratische Tradition

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

„Bist du von Gott verlassen?“ wollte man auch Martin Schulz entgegnen, als er Sondierungsgespräche mit der Union ankündigte
„Bist du von Gott verlassen?“ wollte man auch Martin Schulz entgegnen, als er Sondierungsgespräche mit der Union ankündigte

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Am 03. August 1914 traf die SPD-Fraktion eine Entscheidung, die den Werdegang der deutschen Sozialdemokratie nachhaltig prägen sollte. Mit großer Mehrheit beschlossen die Abgeordneten, den Kriegskrediten im Reichstag zuzustimmen und bewilligten diese am folgenden Tag im Parlament einstimmig. Dieser Schritt überraschte die Öffentlichkeit, hatten die Sozialdemokraten doch bisher prinzipiell gegen die Budgetvorlagen gestimmt. Nun aber erklärte die Fraktion: „Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterland nicht im Stich.“ Diese Entscheidung sorgte zwar dafür, dass die Sozialdemokraten teilweise den Status der Ausgestoßenen und der „vaterlandslosen Gesellen“ ablegen konnten; der Preis dafür war jedoch die Einheit der Partei.

Nur vier Jahre später eine ähnliche Situation. Als Reichskanzler Prinz Max von Baden im Oktober 1918 eine erste parlamentarisch gestützte Regierung mit Beteiligung der Sozialdemokraten einsetzt, ist dieser Schritt parteiintern sehr umstritten. Erst einen Tag zuvor war die Fraktion über die aussichtslose militärische Situation informiert worden. Aufgebracht attackierte Otto Wels den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert: „Bist Du von Gott verlassen, lass doch zum Teufel den Frieden diejenigen schließen, die den Krieg geführt und Verantwortung getragen und den Waffenstillstand gefordert haben.“ Dennoch waren die SPD-Führung und die Mehrheit der Fraktion überzeugt, man müsse auch jetzt Verantwortung übernehmen.

Die Folgen waren dramatisch. Die SPD musste mit alten Eliten und Militärs kooperieren, um die junge Demokratie nicht zu gefährden. Die Härte des Vorgehens gegen Kommunisten, allen voran Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, sorgte für einen noch tieferen Riss in der Arbeiterschaft. Gleichzeitig wurde die SPD von rechten Gruppierungen und völkisch-nationalistischer Presse über Jahre hinweg als Partei der Kriegsniederlage und des Versailler Vertrags attackiert. Kein Wunder also, dass die SPD in den Jahren der Weimarer Republik an Stimmen und Einfluss verlor.

„Bist du von Gott verlassen?“ wollte man auch Martin Schulz entgegnen, als er verkündete, dass die SPD sich nun doch für Sondierungsgespräche mit der Union offen zeigen wolle. Zwar ist die Situation heute nicht mit den fundamentalen Krisen der deutschen Geschichte vergleichbar. Aber auch heute wird bei den Genossen wieder mit viel Pathos von der Bereitschaft gesprochen, politische Verantwortung in Krisenzeiten zu übernehmen. Das lag auch daran, dass es nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen nicht lange gedauert hat, bis die anderen Parteien und die Medien die SPD an ihre Verantwortung dem Land gegenüber erinnerten und für ihr Beharren auf die Oppositionsrolle kritisierten. Ganz in der Parteitradition wieder eine Kehrtwende aus Angst, als "vaterlandslose Gesellen" abgestempelt zu werden. Da werden progressive Ideale der Sozialdemokratie, von denen sich die Partei bereits seit Jahren entfernt, lieber weiter hinten angestellt.

Die historischen Erfahrungen und die Folgen früherer schicksalhafter Entscheidungen, haften der Partei auch heute noch an. In schweren Zeiten Verantwortung zu übernehmen, dabei die eigene Programmatik zu schleifen und sie für die vermeintlich historischen Notwendigkeiten aufzugeben bzw. sie dem Zeitgeist zu opfern, hat der Partei großen Schaden zugefügt. Dafür, dass es diesmal anders kommen könnte, spricht nicht viel. Ein Bruch mit der Parteitradition, ein Fokus auf das Programm der Partei, wäre ein mutiger und wichtiger Schritt gewesen. Und er ist immer noch möglich und ratsam. Denn auch eine gesunde, starke Sozialdemokratie mit erkennbarem Profil, wäre in der heutigen Zeit ein "Dienst am Vaterland".

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Martin Mainka

Jahrgang 1990, Politikwissenschaftler und Historiker

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden