Die Raumfrage

Herrentag An Christi Himmelfahrt ziehen traditionell trinkende Männergruppen durch die Gegend. Das wirft die Frage auf, wer ein Recht auf öffentlichen Raum hat – und wer nicht

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Es könnte ein schöner Tag sein: keine Arbeit und das Wetter ist endlich richtig frühlingshaft. Doch etwas trübt die urbane Idylle. Männer, die mit Leiterwagen und Bier durch die Straßen und Parks ziehen und rumgrölen, bis einem die Ohren bluten – es ist, je nach Region, Vatertag oder Herrentag.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird Christi Himmelfahrt traditionell von Männern zum Trinken genutzt. Begonnen hat es als 'Berliner Herrenpartie', bei der Männer gemeinsam Bier und Schnaps trinkend in die Natur zogen, und sich von dort aus nach ganz Deutschland verbreitet.

Nun kann man den Herrentag als Brauch abtun, an dem man entweder Spaß hat oder den frau eben hinnimmt. Aber es geht hier nicht nur um eine Tradition – sondern um öffentlichen Raum und die Frage, wem dieser Raum zusteht.

Am Herrentag nehmen Männer Raum ein (um nicht allzu platten Generalisierungen zu verfallen: es handelt sich um einige, meist heterosexuelle, weiße Cis-Männer; aber natürlich nicht um alle). Als sei es das Selbstverständlichste der Welt – und für sie ist es das Selbstverständlichste der Welt – ziehen sie in großen Gruppen durch die Stadt, das Dorf, den Park; trinken, sind laut und pöbeln Unbeteiligte an.

Frauen (und all jene, die nicht in das Männerbild dieser Gruppen passen; nicht weiß, hetero oder cis sind) hingegen machen Platz. Sie gehen am Herrentag vielleicht gar nicht erst auf die Straße, wenn doch, wechseln sie die Straßenseite sobald ihnen eine Leiterwagengruppe entgegen kommt oder meiden bestimmte Orte gleich ganz. Sexistische Sprüche und Belästigungen sind an der Tagesordnung.

Raum geben und nehmen

Am Herrentag zeigt sich ein Geschlechterverhältnis, das auch den Rest des Jahres das gesellschaftliche Zusammenleben prägt. Männer lernen von Anfang an, dass ihnen Raum zusteht, dass sie sich so viel Raum nehmen dürfen, wie sie möchten. Frauen lernen, sich klein zu machen, sich unauffällig zu verhalten, nicht zu laut zu sein – eben ja nicht zu viel Raum einzunehmen.

Das beginnt im Kindesalter, wenn Jungen zugesprochen wird, dass sie sich einfach mal richtig raufen müssen, oder später die "Hörner abstoßen" sollen. Mädchen hingegen lernen, die Beine beim Sitzen übereinanderzuschlagen. Sie werden ständig dazu angehalten, leiser zu sein, dünner, sich mehr auf den häuslichen aus auf den öffentlichen Raum konzentrieren; immerzu daran erinnert, wie viel Raum sie in der Gesellschaft haben und dass sie ja nicht mehr einnehmen dürfen. Jungen hingegen lernen, dass ihnen Raum zusteht. Sie werden ermuntert, ihre Meinung lautstark zu äußern, Machtpositionen zu ergreifen, sich sorglos im öffentlichen Raum zu bewegen und so viel sie wollen davon einzunehmen. Männer nehmen Raum, Frauen machen Platz.

Der Herrentag feiert das. Doch solange es selbstverständlich ist, dass Männer die meisten Machtpositionen besetzen, als erste das Wort ergreifen dürfen und breitbeinig in der U-Bahn sitzen, muss man sich über diese Tradition nicht wundern.

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