Es ist ein wahrer Coup, den Greenpeace am Montag gelandet hat: Am Vormittag veröffentlicht die Umweltorganisation geleakte Dokumente über die TTIP-Verhandlungen zwischen der EU und den USA, die den ganzen Tag über die Medien beherrschten. Die 13 Kapitel, die Greenpeace Niederlande am Montag auf ttip-leaks.org online bereitgestellt hat, entsprechen circa der Hälfte des geplanten TTIP-Abkommens und spiegeln den Stand der Diskussion vor der Verhandlungsrunde im April wider.
„Wir machen das, um Transparenz in eine skandalös intransparente Verhandlungsrunde zu bringen“, sagt Stefan Krug, Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin, am Montag bei der Vorstellung der geleakten Dokumente auf der Konferenz re:publica. Immerhin sei knapp eine Milliarde Menschen in Europa und in den USA von den Verhandlungen und ihren Resultaten betroffen.
In den Dokumenten lassen sich erstmals große Teile der bislang geheimen US-amerikanischen Positionen nachlesen, heißt es bei Greenpeace. Die USA fordern demnach, dass handelshemmende Regularien auch nachträglich zurückgenommen werden dürfen. Auch die Kennzeichnung von Lebensmitteln oder Regeln zu Erneuerbaren Energien sollten als Handelshemmnis eingestuft werden können. Für Jürgen Knirsch, Greenpeace-Handelsexperte, ist „eindeutig erkennbar, dass die bei uns herrschenden Schutzmaßnahmen aufgelöst werden sollen“.
Die Umweltorganisation befürchtet auch, dass das europäische Vorsorgeprinzip in den Verhandlungen ausgehebelt werden könnte. Nach diesem Prinzip werden Produkte nur am Markt zugelassen, wenn sie für Mensch und Umwelt unschädlich sind. In den USA hingegen wird das Risikoprinzip angewandt, das alle Produkte solange zulässt, bis ihre Schädlichkeit nachgewiesen ist. Die Frage nach den Zulassungskriterien ist seit Beginn ein Knackpunkt der TTIP-Verhandlungen; Greenpeace argwöhnt, dass sich die USA mit dem Risikoprinzip durchsetzen werden.
Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström weist diese Befürchtungen in einem Statement am Montagnachmittag zurück. Kein Handelsabkommen der EU werde die Standards beim Verbraucherschutz, der Lebensmittelsicherheit oder dem Umweltschutz verringern.
Bei den Dokumenten handele es sich um 'konsolidierte Texte', die beide Verhandlungspositionen darstellten, aber noch keine Verhandlungsergebnisse. Es sei, so Malmström, nicht überraschend, dass die EU und die USA verschiedene Ansichten hätten – und wenn keine Einigung gefunden werden könne, gebe es eben keine Einigung. Somit seien einige der Schlagzeilen des Tages „ein Sturm im Wasserglas“. Die Bundesregierung will die Verhandlungen trotz der Veröffentlichung der Dokumente so schnell wie möglich abschließen. „Wir halten den zügigen Abschluss eines ehrgeizigen Abkommens für sehr wichtig", betont Regierungssprecher Steffen Seibert.
Greenpeace hingegen fordert, die Verhandlungen auf Eis zu legen und zunächst mit der Zivilgesellschaft über das Abkommen zu diskutieren. Deshalb seien die Dokumente veröffentlicht worden, sagt Martin Hofstetter, der am Montag für Greenpeace den eigens am Brandenburger Tor aufgestellten 'Gläsernen Lesesaal' betreut. Der Lesesaal, ein offen zugänglicher LKW mit gläsernen Wänden, in dem Kopien der geleakten Dokumente ausliegen, soll genau das ermöglichen, was laut Greenpeace bisher in den Verhandlungen fehlt: Transparenz und Zugänglichkeit.
Für den Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele, der sofort hergekommen ist, nachdem er im Bundestag vom gläsernen Lesesaal erfahren hat, sind die veröffentlichten Dokumente auch noch neu. Zwar hätte er als Bundestagsabgeordneter in dem im Februar eingerichteten Leseraum im Wirtschaftsministerium Einblick in die geheimen Dokumente bekommen können – sie allerdings weder fotografieren noch über sie sprechen dürfen. Diese Behandlung der Abgeordneten wollte er nicht legitimieren, sagt Ströbele.
Jetzt müssten die Dokumente erst einmal aufgearbeitet werden, meint Ströbele, und betont, dass vor allem die Übersetzung wichtig ist – bisher gibt es die Verhandlungsdokumente nur auf Englisch. Für die Umweltschutzorganisation Greenpeace, der die Dokumente schon ein paar Tage länger vorliegen, hat die Lektüre der Texte die „Vorurteile bestätigt, die wir schon hatten“, so Martin Hofstetter.
Am Ende des Tages ist klar, dass die geleakten Dokumente keine großen Überraschungen bieten, sondern hauptsächlich alte Befürchtungen belegen. Sie zeigen, wie weit die Verhandlungspositionen der USA und der EU noch voneinander entfernt sind. Ein schneller Abschluss der Verhandlungen, wie ihn die Bundesregierung wünscht, scheint unrealistisch.
Auch wenn die Dokumente wenig enthüllen, was nicht vorher schon geahnt wurde, bieten sie einen Einblick in die Positionen der beiden Verhandlungspartner. Vor allem lenken sie den Blick der Öffentlichkeit wieder auf die fehlende Transparenz bei den bisherigen TTIP-Verhandlungen – das ist Wasser auf den Mühlen der TTIP-Gegner*innen. Damit ist Greenpeace wahrlich ein Coup gelungen.
Kommentare 5
Endlich einmal eine gute Nachricht in dem Meer der politischen Ödnis!
Am Tag der journalistischen Freiheit gehört aber auch dazu, dass Schredderjournalisten bei den Anstalten und den Qualitätszeitungen, die gewichtigen Leaks eifrig kleinschreiben und kleinkommentieren.
Darin überbieten sich gerade Journalisten der Qualitätszeitungen und der Hauptinfomedien der Anstalten hierzulande, mit ein paar rühmlichen Ausnahmen (z.B. Prantl).
Es sind auffällg jene, die häufig und dauerhaft öffentlich - rechtliches und öffentliche privates Rede- und Schreibrecht genießen, die alle "Leaks" der Whistleblower und die damit möglichen Urteile über die Politik von EU und USA, aber auch der deutschen Regierung und der Kanzlerin, verharmlosen und die Kritik niedermachen.
Vorgehen:
1) Haben wir schon lange gewusst und wollen nun nur besser erklären, welche Vorteile TTIP, trotz der bekannt gewordenen Ungheuerlichekeiten, letzlich doch hat.
2) Was in der Wirtschaft üblich und in der Diplomatie die Regel ist, das Verhandlungsgeheimnis, muss auch als ganz normale demokratische Regel gelten, wenn es um gesellschaftsändernde, völkerechtlich verbindliche Verträge geht.
Das nämlich, wird nicht wirklich medial reflektiert: Mit TTIP, mit Arbitration und Arbitrage, kommt ein völlig neues, verbindliches, nicht mehr durch Instanzenwege und staatliche Rechtswege eingrenzbares Investorenschutzrecht zu allgemeiner und flächendeckender Gültigkeit.
Anders, als es zum Beispiel Wirtschaftsjournalisten der Südeutschen Zeitung uns einreden wollen, haben die vielfältigen Arbitrage- und Arbitrationsregeln in den USA dazu geführt, Leute in prekären Arbeitsverhältnissen oder Gewerbetreibende, die auf große Dienstleister und Firmen angewiesen sind, zu zwingen, auf Rechte und Standards zu verzichten.
Leider nehmen Journalisten wie Rolf- Dieter Krause (ARD), Alexander Hagelüken oder Jan Willmroth (SZ), nicht einmal zur Kenntnis, was ihre Kollegen von der New York Times, mit viel mehr investigativem Aufwand, dazu erforscht und zusammengetragen haben. Notorisch überschätzen sie die weiteren Angleichungen für Tariffs and Standards, die es schon längst in den meisten Bereichen gibt.
Die Angaben von wirtschaftfreundlichen Instituten und der Regierungen beidseits des Atlantiks, zum statistischen Erfolg der Handels- und Investorenschutzabkommens, werden nicht ausreichend kritisch hinterfragt!
Dabei beweisen die Ergebnisse anderer, schon länger bestehender Freihandelsabkommen (NAFTA, CETA), mit ausgedehnten Investorenschutz- und vor allem Zugangsrechten, dass vor allem wirtschaftsschwache Partner damit noch besser ausgenommen und prekarisiert, sowie total abhängig gemacht werden können.
So hat z.B. der Freihandelszugang für die subventionierte US- GM- Maisproduktion in Mexiko, zum Absterben des kleinbäuerlichen lokalen Maisanbaus geführt, der eine Basis der mexikanischen Agrarwirtschaft darstellte und viele Arbeitsplätze sicherte.
In den zwei Jahrzehnten des Bestehens des NAFTA- Abkommens, zeigten sich keine signifikanten Auswirkungen des Vertrages auf das schwankende Wirtschaftwachstum Mexikos, vor allem kein stetiger, positiver Einfluss. Jedoch ist der erwirtschaftete Reichtum im Land heute noch extremer ungleich verteilt, als je zuvor in der modernen Geschichte des Landes.
In den USA werden vor allem ungelernte und Dienstleistungsjobber dazu genötigt, weil sie sonst gar keine Arbeit bekommen, Arbeitsverträge mit Arbitrationsklauseln abzuschließen, die ihnen eine öffentliche Arbeitsrechtsklage ebenso verwehren, wie Klagen gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen.
Kleingewerbetreibende, Gastronomen, pp., die sich für ihre Telekommunikation, für Produktbelieferung, pp., an zwei, drei Monopolanbieter binden müssen, wenn sie überhaupt an den Markt wollen, müssen sich von diesen Firmen Konditionen diktieren lassen und vertraglich zusichern, im Streitfall nur über Arbitrage den "Rechtsweg" zu beschreiten.
Diese Privatleute und Gewerbetreibende haben keine Chance, die teuren Prozesse vor Privaturteilern zu bezahlen und zu überleben, wenn sie, was in 75% der Fälle eintritt, verlieren. Und regionale Gebietskörperschaften haben zunehmend kein Recht, gegen das internationale Wettbewerbsrecht, lokale oder regionale Anbieter zu bevorzugen oder Dienstleistungen als öffentliche Gemeinschaftsaufgabe und Daseinsvorsorge in Eigenregie zu regeln.
Beste Grüße und nur weiter
Christoph Leusch
Am Tag der journalistischen Freiheit gehört aber auch dazu, dass Schredderjournalisten bei den Anstalten und den Qualitätszeitungen, die gewichtigen Leaks eifrig kleinschreiben und kleinkommentieren.
Ganz übel Marietta Slomka im Gespräch mit dem Christian Schmidt, Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung, als sie doch tatsächlich und wahrlich nicht als rhetorische Nummer, Schmidt vorhielt, amerikanische Verbraucher könnte ja im Gegenzug zur Kritik an Chlorhähnchen, deutschen Bauern vorwerfen, sie belieferten die USA künftig mit keimverseuchter deutscher Geflügelware, wie es ja überhaupt um den deutschen Tierschutz nicht allzu gut bestellt sei; eine Steilvorlage für Schmidt, der sich nicht nur darauf berufen konnte, dass es in der amerikanischen Tierhaltung „noch ganz anders aussieht“, womit er meinte „schlimmer“, ohne einräumen zu müssen, dass die Tierfabriken hierzulande bereits himmelschreiend genug sind, sondern auch noch genüsslich darauf hinweisen kann, dass Vermont als erster amerikanischer Bundesstaat, EU-Normen folgt und per Gesetz eine Deklarierung genetisch veränderter Lebensmittel durchsetzt wider den Willen einer starken Food & Drug Industrie. "Doofheit" ist halt auch eine Form des Steigbügelhaltertums (...)
LG, am
Zur Abwechslung mal etwas positives über den US-Verbraucherschutz: Wer einen manipulierten Diesel gekauft hat, bekommt 5,000 USD Schadenersatz ...
@COLUMBUS
Bitte nicht vergessen diese Petition zu unterstützen :
https://act.wemove.eu/campaigns/whistleblower_schuetzen