Gütlich getrennt

Förderung Sorgen reine Frauenstudiengänge dafür, dass mehr Frauen Technik oder Informatik studieren?
Ausgabe 30/2016
Viele hätten ein anderes Fach gewählt, wenn es das Frauenstudium nicht gäbe
Viele hätten ein anderes Fach gewählt, wenn es das Frauenstudium nicht gäbe

Illustration: der Freitag; Material; Maksim Rybak/Colour Box

Kurz vor Vorlesungsbeginn am Dienstagnachmittag, der Hörsaal ist voll besetzt. Eine Vorlesung in Kunstgeschichte oder Kulturwissenschaften, könnte man mit Blick auf das Geschlechterverhältnis meinen: Die einzige männliche Person im Raum ist der Dozent. Doch die anwesenden Studentinnen erwartet kein Vortrag über Kunst, sondern eine Informatikvorlesung zum Thema „Human Interface Guidelines“ – sie studieren an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) den Bachelorstudiengang Informatik und Wirtschaft, einen von sechs IT-nahen Studiengängen in Deutschland ausschließlich für Frauen.

Die Informatikbranche ist nach wie vor männlich dominiert. Weniger als ein Viertel aller Informatikstudierenden im ersten Semester ist laut einer Studie des Digitalverbandes Bitkom weiblich. Bei den Absolventinnen und Absolventen sind es noch 17 Prozent, in den IT-Berufen dann gerade mal 15 Prozent. Und das ist kein Zufall: Kinder bekommen früh beigebracht, dass soziale Berufe Frauensache, Naturwissenschaften und Technik hingegen Männersache sind. Deshalb trauen sich Frauen nach dem Schulabschluss seltener zu, einen technischen Studiengang zu wählen. Das allerdings ist für die IT-Branche ein Problem, denn sie braucht dringend Fachkräfte.

Ein Wunsch der Unternehmen

Hier setzt die Idee der Frauenstudiengänge an: Frauen sollen dazu ermutigt werden, ein Fach zu studieren, das sie sich sonst nicht zutrauen würden. So soll dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Frauenstudiengänge sind also kein rein emanzipatorisches Projekt mit dem Ziel, Geschlechterhierarchien abzuschaffen – hinter ihnen stehen vor allem ökonomische Interessen.

Den Frauenstudiengang Informatik und Wirtschaft an der HTW Berlin gibt es seit dem Wintersemester 2009/10. Für die Einrichtung des Studiengangs habe es zwei Gründe gegeben, sagt die Professorin und Studiengangssprecherin Juliane Siegeris: „Zum einen war da die Idee, einen neuen Studiengang mit neuen Inhalten zu schaffen, zum anderen der Wunsch, mehr Frauen für die Informatik zu gewinnen.“ Und dieser Wunsch kam von den Unternehmen.

Xenia Hahn studiert den Berliner Frauenstudiengang im vierten Semester. Dafür entschieden hat sie sich, weil sie die Atmosphäre in einem Studiengang nur mit Frauen kennenlernen wollte. „Es ist ja doch etwas anderes, als wenn man allein unter 100 Männern sitzt. Außerdem hat mir der Mix aus einem bisschen BWL und einem bisschen Programmieren gefallen.“ Hätte es nicht die Möglichkeit gegeben, an der HTW unter Frauen zu studieren, hätte sie Angewandte Informatik studiert oder vielleicht eine Ausbildung gemacht, sagt sie. Interesse an Informatik habe sie schon lange, doch so geschätzt wie an der HTW wurde es nicht: „Ich hatte auch an der Schule einen Informatikkurs und war dort die einzige Frau. Die Männer wurden ernster genommen als ich. Wenn ich was gesagt habe, wurde es abgetan. Auch darum habe ich mich für den Frauenstudiengang entschieden.“

Das erste reine Frauenangebot in Deutschland wurde 1997 mit dem Frauenstudiengang Wirtschaftsingenieurwesen an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven ins Leben gerufen. Neben Wilhelmshaven und Berlin gibt es noch vier weitere Frauenstudiengänge: Elektro- und Informationstechnik in Jena, Informatik in Bremen, Wirtschaftsinformatik mit dem Schwerpunkt E-Business in Furtwangen und Wirtschaftsingenieurwesen in Stralsund. In Wilhelmshaven und Furtwangen studieren Frauen zunächst zwei bis drei Semester unter sich und wechseln dann in den gemischten Studiengang. In den anderen Studiengängen sind die Studentinnen das komplette Studium unter sich, können aber Veranstaltungen aus gemischten Studiengängen belegen.

„Wahrscheinlich würde es reichen, wenn nur das erste Jahr unter Frauen studiert wird“, sagt Juliane Siegeris von der HTW. „Wir kriegen von vielen Studentinnen die Rückmeldung, dass es vor allem die Entscheidung für das Studium ist, die dadurch leichter wird.“ Wenn die Studentinnen merkten, dass sie gut mit den Inhalten des Studiums zurechtkämen, verlören sie die Hemmungen, an gemischten Studiengängen teilzunehmen, sagt Siegeris. „Es geht darum, dass Frauen sich das zutrauen.“

Aber bringt ein Frauenstudiengang tatsächlich mehr Frauen dazu, Informatik zu studieren? Ja, sagt Siegeris – und kann das mit Zahlen belegen. In studiengangsinternen Umfragen sagen 50 Prozent der HTW-Studentinnen, dass sie nicht Informatik studiert hätten, wenn es den Frauenstudiengang nicht gäbe. Aus den anderen Informatikstudiengängen der HTW kamen zuerst Bedenken, als der Frauenstudiengang ins Leben gerufen wurde. „Sie hatten Angst, dass wir ihnen die wenigen Frauen, die sie haben, auch noch wegnehmen“, sagt Siegeris. Doch das Gegenteil sei eingetreten: „Der Frauenanteil in den anderen Studiengängen ist auch gestiegen.“

Für Siegeris selbst war die Einrichtung des Studiengangs der erste Berührungspunkt mit Frauenstudiengängen. „Ich war nicht besonders frauenbewegt davor, sodass ich gesagt hätte, ich muss diese Stelle unbedingt haben.“ Doch mittlerweile ist sie überzeugt von dem Konzept.

In ihrem eigenen Informatikstudium war Siegeris eine der wenigen Frauen – und eine der wenigen Studierenden, die Fragen stellten. „Ich dachte immer, ich sei die Einzige, die es nicht verstanden hat. Am Ende des Studiums habe ich von Kommilitonen das Feedback bekommen, dass sie es toll fanden, dass ich so viel gefragt habe – das hätten sie ruhig früher sagen können.“

Bitte mehr Fragen!

In der Informatik herrsche oft eine sehr technische Fachsprache. „Man tut immer so, als wüsste man alles, wenn man mit Begriffen um sich wirft. Wir ermutigen die Studentinnen nachzufragen“, sagt Siegeris. Und das wirkt: In der Informatikvorlesung am Dienstagnachmittag werden fleißig Fragen gestellt und Anmerkungen zum Vortrag gemacht. Der Dozent scheint sich über die aufmerksame Zuhörerinnenschaft zu freuen. Viele Nachfragen sind in Informatikvorlesungen nicht die Regel. Dozierende, die zum ersten Mal im Studiengang unterrichten, seien erstaunt, wie viel gefragt werde, sagt Siegeris.

Uni-Lehre nur für Frauen hat in anderen Ländern große Tradition. In den USA gibt es ganze Universitäten nur für Frauen, mehr als 40 solcher Women’s Colleges sind über das Land verteilt und können berühmte Absolventinnen vorweisen: Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und die ehemalige Außenministerin Madeleine Albright haben an solchen Frauenunis studiert. In Deutschland hingegen werden Frauenstudiengänge oft nicht ganz für voll genommen. „Vor allem aus anderen Informatikstudiengängen heißt es, dass bei uns alles leichter ist – was aber nicht stimmt“, sagt Xenia Hahn.

Dass es keine Unterschiede zu gemischten Studiengängen gibt, betont auch Siegeris: Bis auf die „Monoedukation“ sei der Studiengang ein „ganz normaler“, mit den gleichen Anforderungen wie die anderen. Auch das oft genannte Argument, dass Absolventinnen nicht lernten, sich in einer männerdominierten Berufswelt durchzuboxen, kennt Siegeris gut. Doch ein Kennzeichnen des Studiums sei der hohe Praxisbezug, in dem die Studentinnen mit realen Arbeitsweltsituationen konfrontiert werden: „In vielen Praxisprojekten mit externen Auftraggebern arbeiten die Studentinnen natürlich auch mit Männern aus der Branche zusammen.“

Von den Unternehmen gebe es positive Rückmeldungen, sagt die Studentin Xenia Hahn. „Die waren immer interessiert und haben nachgefragt.“ Auf dem Abschlusszeugnis steht nicht, dass es sich um einen reinen Frauenstudiengang handelt. Das sei den Studentinnen auch sehr wichtig, sagt Juliane Siegeris. Große Unternehmen, die ihren Frauenanteil erhöhen wollen, kommen dabei aber gezielt auf die Hochschule zu und wollen Kooperationsverträge abschließen.

An der HTW scheinen alle Seiten zufrieden mit dem speziellen Studiengang zu sein. Doch natürlich sind Frauenstudiengänge nicht die Lösung gegen Fachkräftemangel. Xenia Hahn ist sich sicher, dass schon an den Schulen mehr getan werden muss. „Ich habe von vielen gehört, dass es an ihrer Schule keinen Informatikkurs gab. Hätte es diesen Kurs nicht gegeben, hätte ich diesen Weg wahrscheinlich gar nicht eingeschlagen.“ Nun hört sie sich mit 30 anderen Frauen den Vortrag über Human Interface Guidelines an. Am Ende weist der Dozent – ein Gastdozent von einem Partnerunternehmen des Studiengangs – auf Jobchancen in seinem Betrieb hin. Die Studentinnen schreiben sich die Kontaktdaten auf. Um ihre berufliche Zukunft müssen sie sich wohl keine Sorgen machen.

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