Mehr Demokratie wagen!

Minderheitsregierung Die SPD versteht sich als staatstragende Partei, und doch will sie wieder eine große Koalition. Doch der Demokratie wäre mit Minderheitsregierungen besser gedient

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Auf dem Parteitag der Berliner SPD am vergangenen Wochenende wies der Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel darauf hin, dass mit der Entscheidung über das erneute Eingehen einer großen Koaltion die Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie für die nächsten Jahrzehnte bestimmt werde.

Seiner Analyse ist zuzustimmen, aber der Gang in die große Koalition ist nicht der logische Schluss des Ergebnisses der Bundestagswahl vom 22. September dieses Jahres. Die große Koalition würde das noch verbliebene sozialdemokratische Stammelektorat noch mehr resignieren lassen, hat es doch mit seiner Wahlentscheidung nur die Positionen der Bundeskanzlerin und der CDU sowie der CSU gestärkt, d.h., wer die SPD wählte, wird CDU/CSU bekommen. Andersherum verhält es sich genauso.

Die Euphorie der Nachwahldemoskopie über die Aussicht auf eine große Koaltion weicht zusehends einer Ernüchterung, seit sich herauskristallisiert, dass die angeblich nur von einer großen Koaltion zu lösenden großen Probleme unseres Staates mit höheren Kosten für die Allgemeinheit verbunden wären. (Ist es jemals anders gewesen?) Dies betrifft vor allem Wechselwählende, die sich von ihrer Wahlentscheidung für die SPD anderes erhofften als eine Unionisierung der SPD oder steigende, direkte wie indirekte finanzielle Belastungen für die eigene Person.

Über allem schwebt die öffentlich kolportierte Aussage, dass eine Regierung nur mit einer Mehrheit möglich sei. Diese Behauptung wird allerdings im Grundgesetz nicht belegt, sondern in unsere Bundesverfassung kann allenfalls das Postulat nach einer handlungsfähigen Regierung hineingelesen werden; auf die Mehrheitsverhältnisse kommt es nicht an.

Fraglich ist, ob eine große Koalition mit einer Bundestagsmehrheit von zirka 80 % mehr Handlungsfähigkeit beweist, wenn die sie tragenden politischen Lager darauf bedacht sind, nicht übervorteilt zu werden und ihre jeweilige Identität zu wahren. Eine gegenseitige Neutralisierung und ein damit einhergehender politischer Stillstand wären nicht auszuschließen. Auch dies war ein Grund für das historische Wahlergebnis der FDP im Jahre 2009: Die Wählenden wollten keine Fortsetzung der großen Koaltion, da sie zu wenig Willen zu Reformen (, die einen selbst nicht belasten,) sahen. Genauso wenig kann man wegen des erheblichen Abstandes zwischen den Wahlergebnissen von CDU/CSU und der SPD ernsthaft von einer eindeutigen Aufforderung zur Bildung einer großen Koaltion sprechen.

Aber zurück zur Handlungsfähigkeit: Auch Minderheitsregierungen können viel bewegen. Allein weil sie ihre Mehrheiten anlassbezogen immer wieder aufs Neue suchen müssen, erzeugen sie Dynamik. Für die während der Legislaturperiode getroffenen Entscheidungen trügen mehr oder weniger alle Fraktionen die Verantwortung; die Opposition könnte sich nicht in ihrer Rolle einrichten und für alle unbequemen Entscheidungen die Regierungsmehrheit verantwortlich machen.

Gegen Minderheitsregierungen in Deutschland wird auch vorgebracht, dass dieses Modell für ein Land der Größe Deutschlands unangebracht sei. Dieses Argument ist nicht nachvollziehbar. Staaten, in denen Minderheitsregierungen des Öfteren vorkommen, haben eine wesentlich längere demokratische Tradition als die Bundesrepublik Deutschland. Statt Überheblichkeit sollte Wissbegierigkeit gezeigt und gefragt werden, was Deutschland z.B. von Dänemark lernen kann.

Staatstragend wäre es also, wenn die SPD Minderheitsregierungen auf Bundesebene ermöglichen würde. Dadurch würde auch der Parlamentarismus gestärkt: Der Fokus würde sich von der Exekutive auf die Legislative verlagern. Dies entspräche auch dem Geist des Grundgesetzes, denn vom Staatsvolk wird der Bundestag gewählt, nicht die Bundesregierung.

Mochinho ist gespannt auf das Ergebnis des Mitgliederentscheids der SPD und der daraus zu ziehenden Lehren.

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